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ZÜRICH/ Oper: I VESPRI SICILIANI –  Die Meinungen von Kritik und Publikum gingen schon früh auseinander

11.07.2024 | Oper international

Giuseppe Verdi: I vespri siciliani • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 10.07.2024

 (8. Vorstellung • Premiere am 09.06.2024)

 Die Meinungen von Kritik und Publikum gingen schon früh auseinander

Nach den Jahren 1930, 1951, 1971 und 2004 erlebt die Sizilianische Vesper ihre fünfte Produktion am Opernhaus Zürich. Obwohl man es eigentlich besser wissen könnte, oder doch sollte, wird nach zwei Produktionen in deutscher Sprache und zwei Produktionen in italienischer Sprache immer noch eine italienische Übersetzung gegeben.

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Foto © Herwig Prammer

Gerade bei selten gespielten Werken kann sich ein Blick in die Zeitungen durchaus lohnen. So berichtet die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) zur Zürcher Erstaufführung: «Mit eindrucksvollen Aufführungen von „Macht des Schicksals“ und „Macbeth“ hat die Zürcher Oper schon in den letzten Jahren erfolgreich an der immer neue Werke der Vergessenheit entreißenden Verdi-Renaissance Anteil genommen. Während ihr bedeutendster Vorkämpfer, Franz Werfel, nach dem besonders weitreichenden Erfolg des erstgenannten Werkes neuerdings auf den Schiller-Piaveschen „Simone Boccanegra“ zurückgriff, hat Gian Bundi von dessen feinsinnigem Verhältnis zur Oper u.a. das Textbuch zu Hans Hubers „Schöner Bellinda“ und eine Neubearbeitung der tauridischen Iphigenie von Gluck gewichtiges Zeugnis ablegen liebevolle und sachkundige Bemühungen der zwischen dem populären Operndreigestirn Rigoletto-Troubadour-Traviata und der Boccanegra-Erstfassung entstandenen „Sizilianischen Vesper“ zugewandt, indem er ihr eine den musikalischen Ansprüchen ganz vorzüglich gerecht werdende, aber auch als Textbuch angenehm zu lesende Übersetzung zuteil werden ließ» (NZZ, 22.09.1930, Abendausgabe). Zur Aufführung berichtet der Kritiker: «Präsentiert sich demnach die deutsche Bearbeitung in vorbildlicher Fassung, so bleibt doch noch die wichtigere Frage zu beantworten, ob sich die Erweckung der „Sizilianischen Vesper“ um ihrer musikalisch-dramatischen Qualitäten willen überhaupt gelohnt habe. Die Vox populi hat in Zürich jedenfalls so gut wie in Stuttgart (das die deutschsprachige Erstaufführung in der letztjährigen Spielzeit herausbrachte) lebhaft zu ihren Gunsten gesprochen. Nicht oft findet man in Zürich ein solch zahlreiches und beifallsfreudiges Publikum, wie es dieser Samstags-Aufführung beschieden war!» (NZZ, 22.09.1930, Abendausgabe). Zum Werk äussert er sich ebenfalls: «Die Vorzüge des Werkes bieten sich ja auch unmittelbar dar; es sind kaum spezielle, wohl aber allgemeine Vorzüge der Verdischen Musik, die sich auch in der „Vesper“ wiederfinden: „die Macht, das Feuer und die Größe“, die schon der liebenswürdige Adolphe Adam, der Komponist des „Postillons von Lonjumeau“, dem italienischen Kollegen gegenüber neidlos anerkannte. Wir werden seinem vor fünfundsiebzig Jahren anläßlich der Pariser Uraufführung der „Vêpres“ abgegebenen Urteil, das Verdi außer der „Eleganz, Fülle und Leichtigkeit“ der frühern italienischen Melodie auch „Kraft, Energie und ein wenig unbändige Leidenschaft“ zuspricht, gerne heute noch beipflichten, wenn uns euch die Zeit für gewisse Schwächen des Werkes das Ohr geschärft hat. … Daß in der Premiere mit Ausnahme des überflüssigen (auf Pariser Bedürfnisse zugeschnittenen) Jahreszeiten-Balletts das Werk vollständig dargeboten wurde, ist verdienstvoll und zeugt von Verantwortungsbewußtsein» (NZZ, 22.09.1930, Abendausgabe). Es ist festzustellen, dass die von Werfel initiierte Verdi-Renaissance schon früh ein Eigenleben entwickelt hat, und dass das Publikum, die Vox populi, wie es der Kritiker formuliert, die Vorbehalte der Kritik («Dem Werk fehlt der grosse Atem anderer Verdi-Opern, es wirkt uneinheitlich, inkonsistent», NZZ, 25.05.2004) nicht unbedingt teilt.

Dies ist so auch in der Kritik der zur zweiten Zürcher Produktion (NZZ, 20.03.1951, Morgenausgabe) festzustellen: «Schwierigkeiten bereitete ihm nur das von Eugene Scribe, unter Assistenz von Charles Duveyrier, aus Resten seines literarischen „Lagers“ zurechtgezimmerte Textbuch. … Das Publikum nahm die interessante, seit 1935 nicht mehr im Spielplan erschienene „Verdi-Novität“ an ihren musikalischen Höhepunkten und am Schluß mit starkem Beifall auf».

In der Besprechung der Produktion von 1971 (NZZ, 27.09.1971, Morgenausgabe) wird zusätzlich die Fassungsfrage thematisiert: «Es wäre freilich gerade in solchem ZusammenhangSeine Handlung zieht sich etwas mühselig dahin; wirkliche dramatische Höhepunkte sind selten und sie wirken fast alle ein wenig künstlich»] doch die Frage aufzuwerfen, ob die Zürcher Aufführung nicht besser auf das italienische Original verzichtet und dafür die Honolka-Bearbeitung, die sich in den Aufführungen von Hamburg und München doch wohl bewährt hat, herangezogen hätte. Ganz abgesehen davon, daß ein deutscher Text die direkte Verständlichkeit der Handlung, und sie wäre doch sicher bei einem so weitgehend unbekannten Werk auch als vernünftige Forderung zu erkennen, gefördert hätte: eine dramaturgische Straffung, wie diese Bearbeitung sie verwirklicht, hätte gewisse Längen, die in der Zürcher Inszenierung durchaus auffielen, vermeiden können. Man kann den Sinn von Aufführungen in der Originalsprache auch in sein Gegenteil verkehren …»

Es bleibt festzuhalten:

1) Die Verdi-Renaissance entwickelte schon früh ein Eigenleben.

2) Die Meinungen von Kritik und Publikum gingen schon früh auseinander.

3) Die französische Fassung, also die Urfassung, konnte sich bei diesem Werk noch nicht durchsetzen.

An diesem Abend, so konnte unfreiwillig mitgehört werden, fiel dem Publikum das Hauptproblem der «Inszenierung» Calixto Bieitos (Bühnenbild: Aida Leonor Guardia; Kostüme: Ingo Krügler)durchaus auf: der Geschichte, die die Oper erzählt, ist rücksichtslos eine Geschichte «nach Geschmack des Regisseurs übergestülpt. In Ermangelung eines Empfängers der Kritik, kam diese beim Applaus nicht zum Tragen.

Ivan Repušic dirigiert sichtbar freier als bei der Premiere, legt sein Hauptaugenmerk aber wie bei der Premiere weiterhin auf die Effekte der Partitur. So bestätigt sich der Eindruck der Premiere: Noch «knalliger» kann man die Vespri kaum dirigieren. Das ist besonders schade, den im parallel gezeigten «Andrea Chénier» ist eine ganz andere Philharmonia Zürich zu erleben, wird hörbar, wie enorm wichtig ein guter Dirigent ist. Die Chöre (Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger und Zusatzchor Opernhaus Zürich, Choreinstudierung Janko Kastelic) klingen trotz Zwang zu forcieren herrlich satt, differenziert und soweit möglich textverständlich.

Maria Agresta kann als La duchessa Elena nur bedingt überzeugen. Die Stimme spricht leicht an und trägt gut, wird aber im Forte und den Höhen mit zunehmendem Vibrato rasch unangenehm scharf. Quinn Kelsey überzeugt als Guido de Monforte mit frei strömender Stimme und tadelloser Phrasierung. Die Bühnenpräsenz ist leider eher diskret. Giovanni di Procida ist bei Alexander Vinogradov in bester Kehle. Purer Genuss. Sergey Romanovsky (Arrigo) agiert von Anfang an unter Druck und mit viel Vibrato. Die Stimme wirkt, als würde sie permanent aufgehellt. Die Nebenrollen sind mit Irène Friedli als Ninetta, Jonas Jud als Il sire di Bethune, Brent Michael Smith als Il conte Vaudemont, Raúl Gutiérrez als Danieli, Omer Kobiljak als Tebaldo, Stanislav Vorobyov als Roberto und Maximilian Lawrie als Manfredo überzeugend luxuriös besetzt.

Zur Sizilianischen Vesper kaum Neues.

Dernière: 13.07.2024, 19.00.

 

11.07.2024, Jan Krobot/Zürich

 

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