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ZÜRICH/ Oper: HÄNSEL UND GRETEL

Kann man? Muss man?

25.03.2019 | Oper

Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel, Opernhaus Zürich, Besuchte Vorstellung: 24.03.2019

 (13. Vorstellung seit der Premiere am 18.11.2018)

Kann man? Muss man?

Kann man Humperdinck wie Wagner dirigieren. Man kann. Muss man Humperdinck wie Wagner dirigieren? Muss man nicht.

Der Blick in den Graben offenbart zwei versenkte Sitz-Reihen des Parketts: die Philharmonia Zürich tritt also in grosser Besetzung an. Markus Poschner hat seine Musiker gut im Griff und so kommt beim bestens disponierten Orchester Humperdincks Musik gut zur Geltung. Unklar ist, ob der grosse Klang gewollt ist oder am schwach besetzten Haus oder am Stück des Abends vorher, dem Tannhäuser, liegt. Trotz der Lautstärke, bei der die Solisten alles in allem gut mithalten können, ist der Klang nie rustikal oder gar grob.


Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

In den beiden Hauptrollen waren die Ukrainerin Olga Kulchynska als Gretel und  die Deutschtürkin Deniz Uzun als Hänsel zu erleben. Beide haben ihre Rollen sehr gut und mit grosser Textverständlichkeit gesungen, aber was das Spiel und die Bühnenpräsenz angeht, stand Uzun im Schatten von Kulchynska, die mit ihrem lebendigen, jugendlichen Spiel für sich einzunehmen wusste. Irène Friedli und Matthias Hausmann (rolle offenbar kurzfristig vom angesetzten Markus Brück übernommen) waren ihre Eltern Gertrud und Peter, der Besenbinder. Hausmann überzeugte mit sicher geführter Stimme und enormer Textdurchdringung, während dem Friedli mehrfach schrill und quäkend klang. Irène Friedli verkörperte zusätzlich noch die Knusperhexe Rosine Leckermaul. Die Norwegerin Hamida Kristoffersen und die Chinesin Sen Guo ergänzten das Ensemble als Sandmännchen und Taumännchen. Zum positiven Eindruck beigetragen haben die Tänzer (Pouria Abbasi, Michel Briand, Kemal Dempster, Ivan Larson, Henry Monsanto, Vida Peña, Oliver Pfulg und  Brian Witschi), der Kinderchor der Oper Zürich, die SoprAlti der Oper Zürich und der Zusatzchor des Opernhauses Zürich (Choreinstudierung: Janko Kostelic).


Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Kann man „Hänsel und Gretel“ so inszenieren? Man kann. Muss man „Hänsel und Gretel“ so inszenieren? Muss man nicht.

Wie nicht anders zu erwarten, war sich die Kritik der Tagespresse in der Bewertung der Inszenierung von Robert Carsen absolut uneins. Vielleicht wurde übersehen, dass es sich hier nicht um eine Kinderoper handelt.

Carsen will explizit kein folkloristisches Spiel auf die Bühne bringen, sondern die schwierige Situation, in der sich die Geschwister und ihre Eltern befinden, realistisch und in grösstmöglichem Kontrast zur Welt der Knusperhexe zeigen. Er möchte die Entwicklungsgeschichte der beiden Kinder, die für ihn gleichrangig wie Mozarts Zauberflöte grundlegende Fragen der Menschheit betrifft, mit der Welt, in der wir Zuschauer leben verknüpfen.

Gideon Davey hat Carsen dafür einen Art Grossstadt-Hinterhof geschaffen, in dem die Familie in einem Wohnwagen-Wrack lebt. Die Armut sticht sofort ins Auge. Als die Mutter nach Hause kommt, ist zu dezent sehen, dass sie dem ältesten Gewerbe der Welt nachgeht. Der Vater arbeitet in der Vorweihnachtszeit, in die Carsen die Verhandlung verlegt hat, als Nikolaus. Sein Kostüm war schon länger nicht mehr in der Wäsche… Wenn Hänsel und Gretel zum Ende des zweiten Bildes einschlafen und träumen, öffnen sich, man könnte sich Garagentore vorstellen, die Wände ihres Hinterhofs und wie in Schaufenstern werden materielle Güter (zum Beispiel neue Fahrräder) und immaterielle Güter (Sicherheit und Geborgenheit), die die Geschwister nicht kennen und für sie unerreichbar sind, sichtbar. Aber selbst im Traum bleibt die Realität präsent: Sandmännchen wie Taumännchen hängen gleich dem Vater an der Flasche. Die Engel aus dem Abendsegen erinnern starke an eine Gang, die im Drogengeschäft arbeitet. Das Haus der Knusperhexe besteht dann aus einer unzähligen, weihnachtlich geschmückten Tannenbäumen, einem grossen roten Ledersessel und einem gemütlichen Kamin. Ganz dem Sessel entsprechend tritt die Hexe dann auch als Nikolaus auf. Am Schluss tritt eine Gruppe Gartenzwerge auf. Plötzlich halten sie Fotografien in den Händen. Es sind die von der Hexe gefangen gehaltenen Kinder.

Die Kostüme, ebenfalls von Davey geschaffen, entsprechen der Alltagskleidung der heutigen Zeit. Die Lichtgestaltung, die viel zur realistischen Wirkung der Inszenierung beiträgt, wurde von Robert Carsen und Peter van Praet geschaffen, die Choreographie von Philippe Giraudeau.

Kann man „Hänsel und Gretel“ so inszenieren? Man kann „Hänsel und Gretel“ anspruchsvoll inszenieren, denn die Schweiz ist nicht Deutschland und das Stück hat hier nicht die Tradition wie in Deutschland.

Muss man „Hänsel und Gretel“ so inszenieren? Hat man einen Regisseur zur Hand, der sein Handwerk so gut wie Robert Carsen versteht, muss man „Hänsel und Gretel“ so inszenieren!

Weitere Aufführungen: 20.04.2019/19.00, 22.04.2019/14.00, 25.04.2019/19.30.

24.03.2019, Jan Krobot/Zürich

 

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