Michael Nagy (Don Alfonso). Copyright: Monika Rittershaus
Opernhaus Zürich: COSÌ FAN TUTTE – Premiere am 4.11.2018
„Wenn Sex die Liebe verrät“
Im Vorfeld hatte man vernommen, dass Intendant Andreas Homoki, trotz der Situation, dass Kirill Serebrennikov in Moskau unter Hausarrest gestellt ist, zu seinem Versprechen gestanden ist und eine Lösung mit dessen Co-Regisseur Evgeny Kulagin gefunden hat, die geplante Produktion mittels Anwalt und Socialmedia auf die Beine zu stellen. Und wie man am Premierenabend feststellen konnte: es hat prima geklappt.
Und was stellt Kirill Serebrennikov auf die Bühne? Es wäre Augenwischerei, wenn man erwartet hätte, dass der russische Regisseur ein Rokoko-Tändelspiel hätte ablaufen lassen. Nein, er versetzt die Handlung in die heutige Zeit, in das heutige Russland, das die westlichen Attribute des Kapitalismus und des Schicki-Micki-Lebensstils zum Lebensinhalt erklärt hat.
So sieht man – zu den Klängen der Ouvertüre – wie auf einer doppelstöckigen Bühne (Bühne: Nikolay Simonov, Kostüme: Tatiana Dolmatovskaya, Lichtgestalt: Franck Evin) die Damen und Herren, jeweils nach Geschlechtern getrennt, sich der körperlichen Fitness widmen. Klar, heutzutage muss man einen Hochglanz-Body anbieten, dass man noch eine Chance hat, „auf dem Markt“ eine Partnerin, einen Partner zu finden. Oben also Fiordiligi und Dorabella, beides attraktive Sängerinnen, die sehr wohl auch in wenig Textil gut aussehen und dazu auch noch gut singen. Unten dann die Herrenabteilung, wo die Männer unter sich sind und mehr herumalbern als wirklich hart trainieren. Also ein vertrautes Bild.
Don Alfonso wettet – wie gehabt – mit Ferrando und Guglielmo auf die Untreue der beiden Frauen. Er überbringt den Damen die Nachricht, dass die Männer vermeintlich in den Krieg ziehen werden. Aber nun lässt sich Serebrennikov einen Theatertrick einfallen, indem den Damen vorgegaukelt wird, dass ihre Geliebten im Krieg – der durch Videos illustriert wird – fallen und sie beim Terzett „Soave sia il vento“ bereits die Urnen erhalten. Despina ist hier nicht nur die mit einer gehörigen Summe Geldes bestochene Zofe, sondern eher der Personal Coach der beiden Damen, und notiert beflissen, was in dieser zynischen Versuchs-Anordnung Alfonsos geschieht. Der zweite Theatercoup ist, dass die neuen Verehrer wie „Kaninchen aus dem Zylinder des Magiers“ auftauchen, die zudem reiche Scheichs sind und dazu auch das entsprechende Frauenbild mit-importieren. Langer Rede kurzer Sinn, die Damen sind von diesen Macho-Karikaturen (mit Six-Pack, Gel im Haar, Tattoos), die nur das Eine wollen, hingerissen – Fiordiligi braucht dazu allerdings länger bis fast zum Ende des 2. Aktes. Dorabella schmilzt dahin wie Butter an der Sonne.
Ruzan Mantashyan, Anna Goryachova. Copyright: Monika Rittershaus
Und nach viel Aktion und leider auch etwas klamaukigem Betrieb auf der Bühne, vor allem im Finale des 1. Aktes, ändert sich dann die ganze Situation und es ist „Fertig mit lustig“. Enttäuschung macht sich bei den Männern breit über das Verhalten der Partnerinnen, die doch nicht treu sind, und die Situation kippt ins Tragische. Das ist auch ganz im Sinn Mozarts, der ja „Così fan tutte“ kurz vor der Französischen Revolution geschrieben hat, als sich die Gesellschaft in Auflösung befunden hat, und Werke wie „Les Liaisons dangereuses“ (Choderlos de Laclos) geschrieben wurden, die offensichtlich ein Abbild ihrer Zeit sind. So wie sie es eben heutzutage auch sind: Die Menschen haben sich nicht geändert, sondern nur die Perücken und Kostüme – wie Ota Šik es einst so treffend formuliert hat.
Serebrenniko bzw. Kulagin, sein ausführender Co-Regisseur vor Ort, neigt in seiner Personenführung zuweilen zur Überdeutlichkeit, fast zu Klamauk-artiger Aktion auf der Bühne, was die agilen Sänger-Darsteller wohl perfekt umzusetzen vermögen. Es gibt auch Anspielungen an die #MeToo-Bewegung und Gender-Debatte: Die zweite Arie der Despina, die sie mit einem eindeutigen Video auf einer heruntergezogenen Leinwand verdeutlicht, wird zum Frauenrechts-Plädoyer. Sehr schön und bewegend auch, wenn Fiordiligi bei ihrer Arie „Per pietà“ die Bettwäsche wechselt, wo sich der Macho Sempronio soeben geräkelt hatte, und dann ihrem abwesenden Geliebten einen kleinen Altar errichtet. Doch auch sie wird – diesmal von der Stimme Ferrandos – wankelmütig und ergibt sich ihrem „Trieb-Tier“, dargestellt durch das Macho-Double. Doch was kommen muss, ist die ebenfalls inszenierte Rückkehr der echten Geliebten gerade zum Zeitpunkt der „Fake“-Hochzeit. Und wenn dann zum Finale, nachdem der doppelte Bühnenboden hochgezogen worden ist und den Bühnenraum leer wiedergibt, und nach dem Trommelwirbel für die heimkehrenden Soldaten plötzlich eine Rückung anstatt nach Dur nach dem d-Moll der Don Giovanni-Ouvertüre intoniert wird, ist das verblüffender Effekt, aber auch ein Eingriff in die Partitur, der aber bewusst auch schmerzen soll. Mit dem Eintritt des d-Moll ist symbolisch der Tod als letzte Wahrheit gemeint. Und die beiden Bräute, die wie „verkaufte“ Stammesbräute eingekleidet worden sind und offenbar bereit waren, die Stellung der Frau in einer solchen Gesellschaft einzunehmen, realisieren urplötzlich den Scherbenhaufen, den sie durch ihre Handlungsweise mitverursacht haben. Don Alfonso, der seine Wette gewonnen hat, tanzt mit Despina ein Tänzchen und schreibt dann an die Rückwand „Così fan tutte“, streicht aber das „e“ durch und ersetzt es durch ein „i“. Verstanden?
Anna Goryachova, Frédéric Antoun, Michael Nagy, Andrei Bondarenko, Ruzan Mantashyan. Copyright: Monika Rittershaus
Gesungen wurde durchwegs sehr ordentlich, ohne dass die Aufführung in der Balance gestört worden wäre. Einzeln hervorstechende Sängerleistungen würden den Gesamteindruck nur stören. So war Ruzan Mantashyan eine überzeugende Fiordiligi und sang vor allem ihre zweite Arie „Per pietà“ wunderschön, wo sie wirklich mit einem Mal an diesem Abend wahre Herzenstöne erklingen liess. Mit vollmundigem Mezzo war Anna Goryachova ihre in der Erscheinung fast identische Schwester Dorabella, die wir in Zürich in verschiedenen Partien in bester Erinnerung haben. Ferrando war der Latin Lover Frédéric Antoun, der mit baritonal gefärbtem Tenor eher eine rollen-unübliche Besetzung war. Auch bei ihm gelang vor allem die zweite Arie hervorragend. Als sein Kumpan war Andrei Bondarenko ein sympathischer Guglielmo, der mit vollem Bariton und ebenfalls ausgezeichnetem Spiel überzeugte. Dann als relativ jugendlicher Don Alfonso war Michael Nagy der zynische Drahtzieher, der mehr am Alkohol denn an Frauen interessiert scheint. Und als seine Helferin war Rebeca Olvera wiederum ein erotisch-raffinierte, dabei doch auch „ein bisschen méchante“ Despina. Beiden, Nagy und Olvera, gebührt ein besonderes Lob, denn sie konnten mit Stimmfarben charakterisieren und den Rezitativen durch Vokalfärbungen unerwartete Akzente verleihen. Ein besonderes Lob für das Continuo, das die Secco-Rezitative eben nicht „secco“, d.h. trocken, wirken liess: Andrea Del Bianco (Hammerklavier) und Christine Theus (Cello).
Die beiden Macho-Doubles waren sehr gut mit Francesco Guglielmo als Sempronio (Alter-Ego von Ferrando) und mit David Schwindling als Tizio (Alter-Ego von Guglielmo) besetzt. Beide konnten sowohl den Macho als auch deren Karikatur wirksam darstellen.
Der Chor des Opernhauses Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) meisterte seine wenigen Einsätze sicher und professionell. Die Philharmonia spielte unter dem energie-geladenen Dirigat von Cornelius Meister hervorragend, manchmal wohl etwas arg laut und schnell, sodass im Endeffekt an diesem langen Abend die Spannung keine Minute nachzulassen drohte.
Ein absolut faszinierender Musiktheaterabend! Sehr bewegend auch, dass die Solisten beim Schlussvorhang – und erst dann – ein T-Shirt mit der Aufschrift „FREE KIRILL“ trugen und sich so mit dem inhaftierten Kirill Serebrennikov loyal erklärten.
John H. Mueller