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ZÜRICH: L’INCORONAZIONE DI POPPEA . Neuinszenierung

Sex and Crime, nicht nur im Alten Rom…

28.06.2018 | Oper


Julie Fuchs, David Hansen. Copyright: Monika Rittershaus

Zürich: L’INCORONAZIONE DI POPPEA – Premiere vom 24.6., besuchte Aufführung 27.6.2018

Sex and Crime, nicht nur im Alten Rom…

Die Zeiten der anämischen Barock-Aufführungspraxis als quasi vegane Erdnusskost scheinen endgültig vorbei zu sein. Denn was die letzte Premiere der Zürcher Opernsaison 17/18 auf die Bühne stellte, war ein sowohl musikalisch als auch szenisch höchst sinnliches Theatererlebnis. Und nicht nur das, denn Calixto Bieito versteht es, die dramatische Handlung immer wieder mit den Mitteln des modernen Regietheaters zu brechen und zu ironisieren. Klischees werden benutzt und gleich wieder hinterfragt, dies mit bitterer Ironie und mitunter auch mit Witz und Spass. Bieito zeigt eine nach wie vor aktuelle Spass-Gesellschaft und nimmt dabei den brutalen Geschehnissen nichts von ihrer Stringenz. Von „Gestern“ ist diese Oper Monteverdis weit entfernt, dabei wurde sie doch in der Zeit der Hochblüte des Barock um 1642 in Venedig uraufgeführt. Das Libretto von Francesco Busenello hat die Qualität eines Shakespeare und die herrliche Musik Monteverdis kann nicht nur das Publikum zu allen Zeiten, sondern auch die Darsteller in wahre Seelentiefen ver-führen.

Was da Ottavio Dantone an Klang- und Farben-Reichtum, an Sinnlichkeit, an dramatischer Zuspitzung aus der Barockformation La Scintilla der Philharmonia des Opernhauses Zürich herausholt, ist einfach fabelhaft. Die blutrünstige Story von Nero und Poppea, die beide im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen gehen, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Sex and Crime – besser kann man es gar nicht ausdrücken. Und Regisseur Bieito tippt eben nicht nur an, sondern greift in die volle Kiste des Theaters und manchmal auch darüber hinaus. Er scheut sich nicht, im Verhalten der damaligen Zeit auch das Verhalten heutiger Menschen aufzuzeigen, wie beispielsweise die Präsenz der Social-Media, die dauernde Überwachung durch den Grossen Bruder mit vielen im Raum verteilten omnipräsenten Live-Kameras (Video-Design: Sarah Derendinger). Verschiedene Leinwände verdoppeln nicht nur zeitgleich das Bühnengeschehen, sondern es werden auch in vorproduzierten Videoproduktionen die Gesichter der handelnden Personen zugleich überhöht und durch die Vergrösserung auf der Leinwand demaskiert. Sehr eindrucksvoll die flackernden Augen des irren Nero. Sogar Bilder aus dem Publikum werden live auf die Leinwände übertragen und so in die Handlung miteinbezogen. Die Darsteller filmen und fotografieren sich eitel und selbstverliebt in Selfies. Da dafür eine Guckkastenbühne nicht genügen könnte, baute die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst (Lichtgestaltung: Franck Evin) einen elliptischen Catwalk um das Orchester herumführend, während auf der eigentlichen Bühne auch Opernbesucher Platz nehmen. Dies alles funktioniert in der in diesem Rahmen gegebenen und eigenen Inter-Aktion ganz fabelhaft, sodass die mitunter langen Rezitative szenisch stets in Spannung gehalten werden.

Das gesamte Ensemble ist durchweg auf hohem Niveau in Stimme und Spiel. Allen voran die Protagonisten: David Hansen vermag mit ans Hysterische grenzendem Einsatz seines technisch versierten Countertenors die durchgeknallte Persönlichkeit Neros faszinierend darzustellen. Für die Poppea ist Julie Fuchs eine Idealbesetzung. Sie ist nicht die Frau, der man die Brunnenvergifterin sogleich auf hundert Schritt ansehen würde, nein, die Sängerin stellt die Poppea als eigentlich ganz nettes Mädel dar, das sehr wohl seine Klauen ausfahren und „ganz anders“ sein kann: Hinter ihrer hübschen Stirn gebiert das Hirn manche abscheuliche Tat. Julie Fuchs, die in schwangerem Zustand die Rolle singt, legt sich kaum Grenzen ihrer Körperlichkeit an, so katzenhaft biegsam und lauernd ist ihre Darstellung. Ihre lyrische Stimme kann sie zu dramatischen Steigerungen aufbauen, um dann gleich wieder in den süssesten Tönen ihre Absichten durchzusetzen. Als verstossene Ehefrau Ottavia leidet Stéphanie d‘Oustrac nicht nur in ergreifendem Pathos, sondern kann auch ganz schnell zur Furie werden und den Mord an Poppea anzetteln. Ihre fulminante darstellerische und stimmliche Leistung wurde zu Recht lautstark bejubelt. In verblüffend männlicher Aufmachung (Kostüme: Ingo Krügler) bot Delphine Galou mit ihrer Darstellung des Ottone eine perfekte Rollengestaltung. Zudem sang sie mit weichem Mezzo ihre langen Monologe äusserst beeindruckend. Als Drusilla durfte Deanna Breiwick zuerst als höchst attraktive Marilyn Monroe-Imitation verblüffen, fand dann in ihrer Verzweiflung und ihrem Reuegeständnis zu beeindruckendem Format. Dieses besass in reichem Ausmass der mit einem herrlichen Bass ausgestattete Nahuel Di Pierro, der als Seneca einen theaterwürdigen Auftritt aus dem Dunkel ins Gegenlicht, sekundiert vom Orgelpositiv, hatte. Sein Selbstmord mit den Einsätzen seiner aus dem Off singenden Schüler mit „Non morir Seneca“ geht einem noch lange nach. Sehr gut war der Tenor Manuel Núñez Camelino, der hier nicht als Amme (Nutrice), sondern als Diener und Berater interpretiert wird. Auch Arnalta war hier ein männlicher Betreuer der Poppea mit Emiliano Gonzales Toro, der berückende Tenortöne für sein einlullendes Schlaflied für Poppea fand. Schön ironisiert war das allegorische Trio mit dem Countertenor Jake Arditi als Amore (und Famigliare), Virtù mit der komödiantisch begabten und schönstimmigen Hamida Kristoffersen und Florie Valiquette als Fortuna, die auch gleich noch als Damigella brillieren konnte. Dieses die ganze Handlung begleitende Trio beobachtet das Geschehen mehr, als es dieses beeinflusst. Eitel und selbstverliebt schreiben sie sich die Erfolge zu, die auch ohne sie eingetreten wären. Das Schicksal nimmt auch so seinen Lauf; eine hübsche Brechung durch das Mittel der Ironie! Köstlich auch der Valletto von Gemma Ni Bhrain. Absolut dem hohen Niveau entsprechend auch in weiteren Rollen gleich mehrfach besetzt: Thobela Ntshanyana, Michael Hauenstein und Kristofer Lundin.

Und es sei nochmal lobend hervorgehoben: Die Scintilla unter Ottavio Dantone bringt den Opernabend erst richtig zum Blühen. Neben lyrisch verklingenden Phrasen vernahm man auch, dass intensiver Ausdruck sehr wohl zum Stil des Barock in der heutigen Aufführungspraxis passt. Die „Klangrede“, wie es Harnoncourt so treffend formuliert hat, wurde hier in den Rezitativen zum äussersten getrieben. Langweilig war es nie und dazu ein wahrer Ohrenschmaus!


Julie Fuchs, David Hansen. Copyright: Monika Rittershaus

Und nachdem alle störenden Hindernisse aus dem Weg geräumt sind, haben Nero und Poppea ein sehr sinnliches Liebesduett. Dann gibt’s den grossen symphonischen Abschluss, wo die bereits aus dem Leben geschiedenen Figuren witzigerweise als Engel wiederkehren und dem in grossem Staat auftretenden Kaiserpaar mit Luftballons in Form von goldenen Herzen und mit viel Goldflitter huldigen. Bei allem Witz und aller Ironie handelt es sich aber nicht um eine Komödie…

John H. Mueller 

 

 

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