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ZÜRICH/ Landesmuseum: FARBEN IM LICHT – Glasmalerei vom 13. bis 21. Jahrhundert. Pralle Farben

17.07.2021 | Ausstellungen

AUSSTELLUNG: Farben im Licht • Glasmalerei vom 13. bis 21. Jahrhundert, Landesmuseum Zürich, 16.07.2021 – 03.04.2022

Pralle Farben

Mit einer fulminanten Schau zum Thema Glasmalerei beginnt die Reihe der Ausstellungen der Amtszeit von Denise Tonella, die am 01.04.2021 die Leitung des Schweizerischen Nationalmuseums (Landesmuseum Zürich, Château de Prangins, Forum Schweizer Geschichte Schwyz und Sammlungszentrum Affoltern am Albis) übernommen hat.

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Flumser Madonna: Kirchenfenster, um 1200; Herkunft: Kapelle St. Jakob, Gräpplang bei Flums; farbige Gläser, bemalt; Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Einen ersten Höhepunkt erlebte die Glasmalerei in den gotischen Kathedralen. Seither wirkt der Bann des atmosphärischen Lichts der farbigen Glasscheiben auf die Menschen. Die ältesten Glasmalereien finden sich in der Schweiz in Kirchen und Klöstern aus dem 13. Jahrhundert: dazu gehören die Kathedrale von Lausanne, das Kloster Königsfelden als Grablege der Habsburger oder der Chor des Berner Münsters.
Die «Flumser Madonna», ein Kirchenfenster mit dem romanischen Bildtypus der thronenden Madonna, ist das älteste figurative Glasfenster der Schweiz. Das Kreuzfenster aus San Vittore Mauro in Poschiavo (GR), möglicherweise in der Dombauhütte von Como entstanden, ist ein faszinierendes Zeugnis der lombardischen Kunst in der Südschweiz. Fünf durch ihre intensive, pralle Farbigkeit faszinierende Figurenscheiben sind in Kreuzesform angeordnet und zeigen in der Mitte Maria mit dem Jesuskind, flankiert von Johannes dem Täufer und Petrus, darüber Gottvater und darunter die betende Stifterfamilie. Rasch haben wohlhabende Stifter die Kosten für die Glasgemälde übernommen: entweder liessen sie dann sich oder ihr Wappen auf der Scheibe darstellen.

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Standesscheibe Bern; Hans Jakob Güder (um 1631–1691), 1675; Herkunft: Kirche Othmarsingen; farbige Gläser, bemalt; Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Die Tradition der Scheibenstiftung weitete sich in der Eidgenossenschaft rasch über den kirchlichen Raum hinaus aus: es entstanden Kabinetts‐ und Standesscheiben. Verwandte oder Freunde, bedeutende Persönlichkeiten oder staatliche Institutionen übernahmen die Kosten für die Kunstwerke
und konnten sich im Gegenzug darin verewigen. So wurden die Scheiben zum Sinnbild der Beziehung von Schenkendem und Beschenkten
Eine posthume Zeichnung im Kopienband zur Zürcherischen Kirchen‐ und Reformationsgeschichte (1605) von Heinrich Thomann zeigt den Reformator bei seiner Arbeit im Studierzimmer. Die bemalten Fenster, die der Reformator nicht als Götzenbilder einstufte, sin der einzige Schmuck im Raum, in dem Butzenscheiben das einfallende Licht brechen. Die Verwendung im Umfeld einer so bekannten Persönlichkeit bescherte der Glasmalerei ein weiteres Aufblühen. Eine besondere Spielart der Glasmalerei im 16. Jahrhundert sind die Grisaille‐ und Schliffscheiben, farblose, nur mit Braun‐ oder Schwarzlot bemalte Gläser oder geschliffene Monolith‐Gläser.
Eine besondere Tradition der Eidgenossenschaft ist die Standesscheibenstiftung: Die eidgenössische Orte («Stände») schenken sich im 16. und 17. Jh. gegenseitig ihre Wappen in ihre Ratsstuben, Wirtshäuser oder Klöster. Das Sinnbild des Zusammenschlusses gleichberechtigter Orte ist eine der
frühesten Ausdrucksformen eidgenössischen Nationalgefühls. Der älteste erhaltene Standesscheibenzyklus befindet sich im Tagsatzungssaal (ab 1426 Versammlungsort der eidgenössischen Tagsatzung) in Baden (AG). Der älteste Zyklus aus der Sammlung des Nationalmuseums ist der Oswald Göschel zugeschriebene, der 1507 für das Rathaus von Lachen (SZ) entstand. Nach dem Tod des Zürcher Sammlers und Dichters Johann Martin Usteri, der den Zyklus zu Beginn des 19. Jahrhunderts erworben hatte, gelangten die Scheiben ins Schloss von Grodziec (Polen).
Um 1894 kaufte die Gottfried Keller‐Stiftung die 16 erhaltenen Scheiben zurück: zwei sind verschollen, eine ist in der Kirche von Sędzimirów (Polen) eingebaut. Nach der Gründung des modernen Bundesstaats wurde die Tradition der Standesscheibenstiftung als Zeichen des nationalen Zusammenhalts wiederaufgenommen. Gemeinsame Stiftungen der Orte gingen 1861 ins Bundesrathaus (heutiges Bundeshaus West), 1891 in die Ruhmeshalle des Landesmuseums, den Ort der hier besprochenen Ausstellung und 1902 in die Kuppel des Bundeshaus. Im 20. Jahrhundert wurde
die Tradition im Rahmen der Jahrhundertfeiern der Zugehörigkeit der Kantone zur Eidgenossenschaft (der 1. August 1291 als Gründungsdatum der Schweiz wurde erst 1891 festgelegt).

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Bildfenster; Karl Wehrli (1843–1902); um 1880; farbige Gläser, bemalt; Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Das 19. Jahrhundert war geprägt durch den Wunsch ältere Glasmalereien zu restaurieren und wieder neue Buntfenster herzustellen. Das Wissen um die alten, nicht mehr bekannten Techniken war wiederherzustellen, was als Grundlage der modernen Konservierungsforschung gelten kann. Eisen und Glas als neue Baustoffe brachten dann auch neue Bauformen: Ausstellungs‐ und Gartenpavillons, Warenhäuser, Hotelfestsäle und Veranden an Bürgerhäusern. Trotz Zäsuren wie der Weltwirtschaftskrise und zwei Weltkriegen setzte sich die Blüte der Glasmalerei im 20. Jahrhundert
fort. Mit den Glasfenstern von Marc Chagall im Fraumünster oder den Glasfenstern von Sigmar Polke im Grossmünster hat die Stadt Zürich zwei Prunkstücke zu bieten.
Mit «Farben im Licht» ist dem Landesmuseum ein grandiose Schau gelungen. Absolute Empfehlung.

16.07.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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