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ZÜRICH: LA DAME BLANCHE von François Adrien Boieldieu – Free Opera Company Zürich

19.02.2015 | Oper

ZÜRICH: LA DAME BLANCHE von François Adrien Boieldieu – Free Opera Company Zürich – besuchte Aufführung: 18.2.2015

Mit Geist, Witz und Esprit

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George Brown (André Gass) mit dem Ehepaar Dikson (Tamás Bertalan Henter und Pauline Persoud) und dem dörflichen Ensemble. Copyright: Free Opera Company/Mirjam Bollag Dondi

Gleich zu Beginn unterbricht der Spielleiter Philipp Scherer die Aufführung, wenn der auf alt gedrehte und projizierte Film reisst, und klärt das Publikum über ein merkwürdiges Geschehen einer Geistererscheinung im nahe gelegenen Schloss auf, nämlich der geheimnisumwitterten Weissen Dame. So wird mit „Witz und Laune“ das Juwel der französischen Opéra comique präsentiert. François Adrien Boieldieu hatte das Libretto von Eugène Scribe nach einem Roman von Sir Walter Scott vertont und war von Rossini und vielen andern berühmten Zeitgenossen, darunter sogar Wagner, dafür verehrt worden. Immerhin, die Opéra comique wurde bereits 1825 uraufgeführt und war bahnbrechend für die französische Oper.

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George Brown (André Gass) mit der Dame blanche (Annina Gieré) und dem Spielleiter (Philip Scherer). Copyright: Free Opera Company/Mirjam Bollag Dondi

 Die aus lediglich fünf guten Solo-Sängern (Anna Gössi, Ewa Zmudzka-Grzyb, Yannick Badier, Eeelke van Koot und José Coca Loza) bestehende  Dorfgemeinschaft singt frisch und tanzt ebenso (Choreographie: Anne Sophie Fenner). Allein für die Taufe des frisch Geborenen fehlen Taufpate und das nötige Geld. Das Ehepaar Dikson (Tamás Bertalan Henter und Pauline Persoud) befürchtet das Schlimmste. In dem auf die durchlässige Leinwand projizierten Film sieht man ein kleines Flugzeug, dieses torkelt durch die Luft. Der mit dem Fallschirm abgesprungene Pilot fällt förmlich vom Himmel und ist – ganz witzig überhaupt vom Regisseur und Intendanten Bruno Rauch inszeniert – der „Deus ex machina“ – auf persiflierte Weise sozusagen. Dieser gibt sich als George Brown aus und ist so unerschrocken, anstelle von Dikson ins Schloss Avenel zu gehen, um dort die herumgeisternde Weisse Dame zu treffen. Gleich mit einem pfeffrigen Soldatenlied präsentiert sich der spielfreudige und gut aussehende Tenor André Gass mit einer echten „Florez-Arie“ mit Verve und hohen Tönen. Pauline Persoud als Jenny Dikson ist sogleich vom schmucken Offizier angetan und singt die Ballade von der weissen Dame, ein Kabinettstück der feinen Ironie mit einem sachten Hieb auf alle Horror-Stories der damaligen Zeit. Dass Pauline Persoud dies in perfektem französischem Stil tut, ist absolut lobenswert. Auch ihr Ehemann Tamás Bertalan Henter gibt den ängstlichen Ehemann Dikson mit interessant timbriertem Tenor hervorragend. Während nun George Brown, der ja eigentlich der vermisste Erbe des Schlosses Avenel ist, auf die Erscheinung der weissen Dame wartet, singt er die weltberühmte Arie „Viens, gentille dame…“ erstaunlich stimmsicher. Allerdings dürfte man dem jungen Sänger raten, nicht allzu sorglos mit seiner Stimme umzugehen und die von Natur aus vorhandene Extremhöhe nicht allzu sehr zu strapazieren. Ein leichter Schleier legte sich dann im Folgenden auf seine Stimme, der aber wieder im 3. Akt verschwunden war. André Gass ist ein grosses Talent, aber mit seinem Temperament scheint manchmal auch seine Stimme durchzugehen. Etwas mehr Zurückhaltung in Spiel und Stimme würden diesem begabten jungen Mann sicher von Vorteil sein. Sonst aber trug André Gass diese Aufführung, allerdings waren ihm und dem Ensemble das etwas ledern aufspielende Orchester der Chamber AArtists – CHAARTS unter Leitung des umsichtigen Emmanuel Siffert keine wirklich inspirierende Unterstützung, wenn gleich auch alle Ensembles, an denen diese Oper reich ist, prima gelangen und perfekt sassen. Der Eindruck von einem wenig eleganten Klangbild mag auch an der trockenen Akustik des Theaters Rigiblick liegen, welche wohl die Sänger und Sängerinnen dazu verführte, ein Zuviel an Ton zu geben. Als dann die Weisse Dame höchstpersönlich erschien – natürlich ein ausgemachter Fake – und aus dem Film auf die Bühne trat (fabelhafte Filmeinspielungen von Aladin Hasic) konnte die charmante Anna von Annina Gieré stimmlich – vermutlich indisponiert – nur mässig gefallen: eine angestrengte, nicht fokussierte Höhe und ein beträchtliches Vibrato störten den an und für sich positiven Gesamteindruck. Dass sie in ihrer grossen Arie zudem noch einen Hustenanfall zu bewältigen hatte, trug auch nicht zum unbehelligten gesanglichen Genuss bei. Schade, denn die Stimmen von André Gass und Annina Gieré mischten sich gut in dem Duett. Im 3. Akt kommt es dann zur witzigen Versteigerungsszene, in welcher der intrigante Hausverwalter Gaveston (der etwas arg übertreibende Richard Helm) unterliegt und die von ihm unterdrückte Zofe (köstlich darstellerisch und stimmlich mit erstaunlichem Alt Bettina Schneebeli) triumphiert. Anna vermag mit der im Sockel einer Statue wiedergefundenen Schatulle mit dem nötigen finanziellen Inhalt George Brown zu motivieren, das Schloss zu ersteigern, was ihm auch gelingt. Er gewinnt damit auch die Weisse Dame, die ihn als Anna seinerzeit gesund gepflegt hatte (eine Isolde vor der Zeit Wagners?). So führte der echt schottisch wirkende Spielleiter Philipp Scherer (der auch nur einen leider kurzen Gesangseinsatz als Dorfrichter absolvieren durfte) zu einem Happy-End, das von den projizierten witzigen Texttafeln in Stummfilmmanier  – köstlich gereimt von Bruno Rauch – unterstützt wurde. Dass Jenny die Schatulle heimlich klaut und in ihrem Kinderwagen versteckt, ist eine köstliche ironische Brechung dieser witzigen Aufführung. Also alles in allem eine bezaubernde, witzige, geistreiche und ironisch fermentierte Aufführung der jungen Free Opera Company unter Leitung des umtriebigen Intendanten, Regisseurs, Texters (gesungen wurde französisch, die Dialogtexte waren von ihm neu gestaltet), schlechthin der Seele des ganzen Unternehmens nämlich Bruno Rauch. Die grossen staatlich subventionierten Häuser dürften sich hier ein Vorbild nehmen, dass man mit wenig Ressourcen auch Operngeschichte – zumindest in Zürich! – schreiben kann.

John H. Mueller

 

 

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