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ZÜRICH/ Kunsthaus: OTTILIE ROEDERSTEIN. Eine Schweizer Künstlerin wiederentdeckt

01.03.2021 | Ausstellungen

Kunsthaus, Zürich: Ottilie Roederstein. Eine Schweizer Künstlerin wiederentdeckt, 18.12.2020 – 05.04.2021

Kooperation mit dem Städel Museum, Frankfurt am Main

«Ihre Art Sachlichkeit ist äussert sympathisch»

Kurz vor dem erneuten Lockdown am 22. Dezember 2020 konnte das Kunsthaus Zürich noch seine der Malerin Ottilie W. Roederstein gewidmete Retrospektive eröffnen. Trotz ihrer einst internationalen Wertschätzung ist Roederstein, die die Schweiz im Ausland oft als einzige Frau neben Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Cuno Amiet vertrat, fast unmittelbar nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten. Nach über achtzig Jahren, nach den Gedenkausstellungen von 1938 in Frankfurt, Zürich und Bern ist die Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit rund siebzig Werken die erste monografische Werkschau in der Schweiz, die das stilistisch vielfältige Oeuvre der Künstlerin wieder einem breiten Publikum zugänglich macht.

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Ottilie W. Roederstein, Selbstbildnis mit verschränkten Armen, 1926, Tempera auf Leinwand, 55,1 x 46 cm Städel Museum, Frankfurt am Main. Foto © Städel Museum, Frankfurt am Main.

Ottilie Wilhelmine Roederstein wurde am 22. April 1859 in Zürich geboren. Ihre Eltern Reinhard und Alwina waren zwei Jahre zuvor aus dem Tal der Wupper nach Zürich gekommen, von wo aus der Vater als Vertreter einer Elberfelder Textilfirma in Süddeutschland und Italien arbeitete. Roedersteins Berufswunsch dürfte entstanden sein, als Eduard Pfyffer 1868/1869 die Familie Roederstein, die Eltern und ihre drei Töchter Johanna, Helene und Ottilie malte. In einer Zeit, als Frauen noch keine schöpferische Kraft zugestanden wurde und die Ausbildungsmöglichkeiten für Kunstschaffende in der Schweiz noch sehr bescheiden waren, setzte Ottilie ihren Berufswunsch gegen den Willen der Mutter, für die es undenkbar war, dass ihre Tochter Kunstmalerin werden würde, durch. Schon hier gelang Roederstein was zum Charakteristikum ihres Lebens wurde, sich einen Freiraum zu schaffen, von dem die meisten ihrer Zeitgenossinnen nur träumen konnten. 1876 erhielt Roederstein ersten Zeichenunterricht bei dem bereits erwähnten Eduard Pfyffer: So konnte Ottilie die Ausbildung beginnen und war doch unter Kontrolle der Eltern.

Im September bot sich Roederstein eine Chance der Enge des heimischen Zürich zu entfliehen: ihre ältere Schwester Johanna hatte geheiratet und zog mit ihrem Mann nach Berlin. Berlin war zu dieser Zeit noch keine Kunstmetropole, bot aber doch deutlich mehr Möglichkeiten als Zürich. Roederstein nahm nun Stunden bei Porträtmaler Karl Gussow und schloss bei dieser Gelegenheit Freundschaft mit Annie Stebler-Hopf (1861-1918). Langsam wuchs die Idee der beiden Künstlerinnen, ihre Ausbildung in Paris zu beenden. Dieser Traum eines jeden Künstlers bot ihnen die Möglichkeit in den prestigeträchtigen Salons auszustellen und die Kulturhauptstadt des 19. Jahrhunderts als Sprungbrett zu einer internationalen Karriere zu nutzen.

Im Spätherbst 1882 trafen Roederstein und Stebler-Hopf in Paris ein, das wesentlich mehr Ausbildungsmöglichkeiten als jede andere europäische Stadt bot und für beide Frauen trotz aller Einschränkungen die Befreiung aus den gesellschaftlichen Zwängen bedeutete. Bis Roederstein im Frühling 1887 nach Zürich zurückkehrte, besuchte sie das «Atelier des dames» von Carolus-Duran (Charles Auguste Émile Durand, 1837-1917) und Jean-Jacques Henner (1829-1905). 1885 lernte Roederstein bei einem Heimaturlaub ihre spätere Lebensgefährtin Elisabeth Hermine Winterhalter kennen.

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Ottilie W. Roederstein, Helene Roederstein mit Schirm, 1888, Öl auf Leinwand, 115 x 84,5 cm, Privatsammlung Zürich. Foto © Kunsthaus Zürich.

1891 zogen Roederstein und Winterhalter nach Frankfurt am Main. Winterstein erhielt dort, wo Frauen erst 1899 zum Medizinstudium zugelassen wurden, die einmalige Möglichkeit eine gynäkologische Praxis zu eröffnen. Für Roederstein war die seit der Reichsgründung rasant wachsende Stadt ebenfalls interessant, da es hier ein reiches, ambitioniertes, selbstbewusstes Bürgertum mit entsprechendem Repräsentationsbedürfnis gab. Frankfurt bot den beiden Frauen günstige Rahmenbedingungen zur privaten wie beruflichen Entfaltung: die partnerschaftliche Verbindung war für die Beiden der Ausweg aus der starren geschlechterspezifischen Rollenzuweisung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zugleich entwickelte die Beziehung auch eine menschliche Komponente und die beiden Frauen wurden einander Stütze im Leben.

1909 zogen Roederstein und Winterhalter in ein eigenes Haus mit Atelier in Hofheim am Taunus. Roederstein konnte sich nun vollständig auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren und Winterhalter hielt ihr den Rücken frei. Roederstein wurde zur festen Grösse im Kulturbetrieb und war eine der meistbeschäftigsten Porträtmalerinnen ihrer Zeit. Am 26. November 1937 starb Ottilie Roederstein, am 13. Februar 1952 Elisabeth Winterhalter.

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Ottilie W. Roederstein, Quitten, 1929, Tempera auf Leinwand, 38,3 x 46,3 cm, Kunstmuseum Bern, Geschenk der Künstlerin.
Foto © Kunsthaus Zürich.

Roederstein hat nach ihrer fast fünfzig Jahre dauernden Karriere ein faszinierendes Oeuvre hinterlassen, das sich zum Grossteil aus Porträts und Selbstporträts zusammensetzt. Die Porträts sicherten den Lebensunterhalt: hier zeigt sich, wie sich Roederstein über lange Zeit immer wieder erfolgreich dem Markt anpassen konnte. Die Selbstporträts entstanden als Ausdruck des Selbstverständnis und Nachweis der Emanzipation und Bestätigung des Erreichten. Eine beeindruckende Bandbreite malerischer Ausdrucksmöglichkeiten, grosses technisches Können und eine gesunde Offenheit gegenüber neuen Strömungen charakterisiert Roedersteins Schaffen. Cuno Amiet äusserte sich anlässlich des siebzigsten Geburtstags der Künstlerin: «Ihre Art Sachlichkeit ist äussert sympathisch».

Die selbst gestellte Aufgabe, Roedersteins beeindruckende Karriere gebührend zu würdigen und im Kontext ihrer Zeit zu verorten, ist dem Kunsthaus Zürich mustergültig gelungen.

28.02.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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