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Zürich: I PAZZI PER PROGETTO (Gaetano Donizetti)

Total schräg!

21.06.2018 | Oper


«Schön schräg» mit Pascal Ganz (Venanzio), Helen Sherman (Cristina) und Rafal Pawnuk (Dr. Darlemont). Copyright: Remy Bourgeois

Zürich: I PAZZI PER PROGETTO (Gaetano Donizetti) – 20.6.2018

Total schräg!

Das Off-Shore private Unternehmen namens „Opernverein“ hat sich diesmal der Opera Buffa „I Pazzi per Progetto“ von Gaetano Donizetti angenommen. Diese kleine Buffa wurde 1830 am Teatro Fondo in Neapel uraufgeführt und erscheint seither eher selten auf den Spielplänen der grossen Häuser. Nun, das überaus witzige Werk ist nicht abendfüllend und sollte am besten mit einem weiteren kurzen Werk kombiniert werden. Der „Opernverein“ setzte jedoch darauf, es abendfüllend zu verlängern und polsterte es mit Ausschnitten aus andern Werken Donizettis auf. Das mag ja ganz witzig sein, da wir uns ja in einem Irrenhaus befinden. Dort halten sich nämlich neben „echten“ Kranken auch solche auf, die es aus irgendeinem andern Grund dorthin verschlagen hat. Einem „On dit“ zufolge sollen ja unliebsame Verwandte aus Scheidungs- und Erbschaftsgründen dorthin versorgt worden sein. Kommt uns doch irgendwie bekannt vor… Die Handlung ist einfach, ungetreue Eheleute finden sich in der „Klapsmühle“ ein und spielen vor, selbst „pazzi“ zu sein. Das Qui-pro-quo wird zum Finale hin natürlich entwirrt und „die Paare finden sich“, zumeist diejenigen, die am kompromisslosesten gegeneinander vorgehen. Im Gegensatz zu der damals aussterbenden „Opera seria“ mit ihren adligen Befindlichkeiten hatte die „Buffa“ den Vorteil, sich mit den Alltagsproblemen der kleinen Leute zu befassen. Wir erinnern uns da doch an Pergolesis genialen Einakter „La Serva Padrona“. In der Buffa darf auch der dritte Stand intrigant und erotisch sein. Dabei kann es auch ganz ordentlich zur Sache gehen, wie das köstliche Ensemble vorführt, wo Cristina mit jedem ihrer Liebhaber ein erotisches, kurzes Duett hat. Donizetti hat auch mit spitzer musikalischer Feder Opern-Klischees hinterfragt und parodiert. So wirken Auftritts-Arien wie Barock-Auftritte mit dem entsprechenden Pomp für Norina und den General, das eigentliche Ehepaar auf der Flucht voreinander.  

Der Regisseur Christian Seiler hat zusammen mit Caspar Dechmann, der auch als Dirigent die Aufführung leitete, und Peter Bachmann das Werk einem Face-Lifting unterzogen und daher leider doch zeitweise wegschnitten, hinzugefügt und mit musikalischem Botox aufgebläht. Doch die hauptsächliche Verfremdung geschah vor allem durch eine Personenführung, die äusserst körperbetont war und die berufliche Verbindung des Regisseurs zum jüngst verstorbenen Schweizer Pantomimen Dimitry nicht verleugnen kann. Für die körper-intensive Choreographie zeichnet Bruno Catalano. Das einfache, brauchbare Bühnenbild war bei Anna Wohlgemuth und das Kostümbild (historisch angelehnt) bei Isabel Schumacher bestens aufgehoben.

Es ist schon gewaltig, was dem ausgewogenen agierenden und hervorragend singenden Ensemble abverlangt wird. So „darf“ die Primadonna ihre schwere Koloraturarie auf einem Bein stehend singen, während sie das andere – fast wie bei der Pirouette der Schweizer Eisläuferin Denise Biellmann – mit einer Hand hochhält. Mit diesem dauernden Gezappel und Herumrennen wird der Abend unnnötig überladen und entbehrt leider des dramatischen Zugs. Was zu Beginn witzig ist, wird immer wieder repetiert und bewirkt ein Déjà-vu.


Donizetti sucht die Töne der Sopranistin. Mit Eva Fiechter (Norina) und Ivan Georgiev (Donizetti). Copyright: Remy Bourgeois

 

Neu eingefügt sind drei (nicht singende) Personen, die teilweise die Handlung kommentieren, aber auch in diese eingreifen. Es ist der schon im Wahnsinn verdämmernde Donizetti selbst (hervorragend in Spiel und Maske Ivan Georgiev), seine an Cholera erkrankte Frau Virgina Vasselli (Alexandra Gentile) und als ewig lächelnder, schmieriger Intrigant Donizettis Impresario Barbaja der französisch parlierende Yan Juillerat. Ein interessanter Schluss wurde hier erfunden und inszeniert. Die in die Klinik Geflüchteten sind auch Flüchtende vor den vor der Türe herrschenden Kriegswirren. Und als dann am Schluss eine gewaltige Bomben-Detonation das Haus erschüttert und das Licht ausgehen lässt, ist klar, dass auch die „Pazzi per Progetto“, also die „mit Absicht Irren“, nun Gefangene dieses Hauses und ihrer selbst geworden sind. Es gibt kein Entrinnen mehr aus der Situation. Ein betroffen machender Schluss. 

Durch diese vielen Einfügungen, die zwar gut und auch weitgehend durch die historischen Gegebenheiten dokumentiert sind, wurde der Abend inklusive einer Pause von zwanzig Minuten auf gute drei Stunden ausgewalzt. Und das ist eindeutig zu lang für eine Buffa und bekommt ihr nicht. Die Ideen waren gut und nahezu überbordend – weniger wäre aber mehr gewesen. Man schätzt auch diese ungeheure Arbeit, die hinter dieser Inszenierung steckt, und die Professionalität, mit der das Ganze umgesetzt wird; aber kurz und gut, es ist einfach zu lang.

Gesungen wurde durchwegs solide und sogar auch hervorragend. Da ist mal die Schweizer Sopranistin Eva Fiechter, die sogar in den eingeschobenen Lucia-Szenen bewies, dass sie Crescendo- und Decrescendo auf höchsten Tönen beherrscht. Neben ihr war als die „üppige Blondine“ Helen Sherman mit hell timbriertem, flexiblem Mezzo unterwegs; zudem spielte sie auch die etwas ordinär anmutenden Szenen mit Verve. Kein Tenor, aber fünf tiefe Männerstimmen nahmen Einsitz in der musikalischen Klapsmühle. Als Dr. Darlemont wirkte der baumlange Rafal Pawnuk mit schönem Bass und köstlicher Körpersprache, während der General von Jorge Martínez das Macho-Gehabe gut parodieren konnte. Er sang auch sehr gut, wenn auch sein angenehm klingender Bariton etwas guttural geführt wird. Am besten gefiel Akseli Vanamo als Darsteller und Sänger des fahnenflüchtigen Trompeters Eustachio, der sich in der Maske des Dr. Caligari als Irrenarzt in die Klinik eingeschlichen hat. Er vermochte mit seinem hervorragenden Parlando, seiner flexiblen Stimme dem an Rossini angelehnten Belcanto-Stil perfekt zu entsprechen. Sehr gut auch Christoph Engel als Darlemonts Diener Frank und Pascal Ganz als Venanzio –  beide stummfilmartig geschminkt, wie überhaupt die ganze Truppe mit bleichen Gesichtern und weitaufgerissenen Augen zugange war (Maskenbild Cornelia Kohler, Lea Stalder).

Die Mitglieder des kleinen Orchesters (Raúl Castro Estévez (Klarinette), Karin Yamaguchi (Horb), Gerald Karni (Viola), Rosamund van der Westhuizen (Cello) und Aimi Sugo (Klavier) standen unter dem Leitung des erfahrenen Dirigenten Caspar Dechmann, welche alle als offenbar „echte Irre“ in die Handlung einbezogen waren und zudem fabelhaft musizierten.

Wenn der Opernabend vielleicht auch nicht in jeder Beziehung überzeugte, so war es doch eine anregende Begegnung mit einem selten aufgeführten Werk Donizettis in einer Aufführung, die sich durch hohe Professionalität auszeichnete.  

John H. Mueller            

 

 

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