Herbert Blomstedt. Foto: Staatskapelle Dresden
Zürich: BRUCKNERs VIERTE – Besuchtes Konzert: 13.12.2019
Blomstedt, einer der ganz Grossen
Wenn Herbert Blomstedt zielgerichtet auf das Dirigentrenpult zueilt, dann können wir uns auf eine überaus lebendige und aktuelle Interpretation von Anton Bruckners 4. Sinfonie in Es-Dur gefasst machen. Denn seine vollendeten zweiundneunzig Jahre gibt man Blomstedt nicht, von solch dynamischem Zugriff und geistiger Frische ist der sichtlich uneitle schwedische Dirigent mit einer langen internatonalen Karriere. Und wenn Blomstedt geäussert hat, dass bei Bruckner „alles Substanz“ ist, dann glauben wir ihm das. Denn wie er den Linzer Meister so intensiv, ohne Schnörkel und quasi-religiöses Getue interpretiert, das überzeugt einen einfach. Die Direktheit der Aussage, die der Dirigent aus der Partitur herauskristallisiert, wirkt alters- und zeitlos. Die für die Zuhörer seinerzeit befremdlichen Harmonien wirken in dieser Lesart für uns nun wieder ganz neu und unverbraucht.
Gespielt wurde die 2. Fassung, die der Musikwissenschaftliche Verlag Wien 2018 unter dem Paronat der Wiener Philharmoniker erarbeitet hat. Sie unterscheidet sich – abgesehen von vielen minimalen Bereinigungen – vor allem in den letzten acht Takten der Sinfonie, wo das eingangs gespielte Hornthema nur mehr rhythmisch zitiert wird. Vermutlich hatte Bruckner seinerzeit das Hornthema noch einmal eben durch das Horn spielen lassen, um dem Publikum seine Intention zu verdeutlichen. Hier wurde nun die Absicht Bruckners wieder hergestellt.
Die Aufführung war unter einen grossen Bogen gespannt, sodass sich auch beim Zuhörer keinerlei Ermüdungsserscheinungen oder Konzentrationsschwächen einstellen konnten. Die siebzig Minuten Spieldauer gingen wie im Flug vorüber.
Dazu trug im Wesentlichen das fabelhaft disponierte Tonhalle-Orchester bei, das inzwischen zu den weltbesten Orchestern gehören dürfte. Der Streicherklang ist bei aller Transparenz kompakt, die Holzbläser haben ihre wunderschönen Soli, vor allem im langsamen Satz, und die Blechbläser, zusammen mit dem Schlagzeug, sind wirklich fantastisch.
Eingangs hörten wir von Mozart die sog. Kleine C-Dur Sinfonie KV 338 in einer beschwingten Wiedergabe. Bei diesem Idomeneo-nahen Werk legte Blomstedt auch schon die Vorahnungen vom Klang des späten Mozart und sogar Beethovens frei. Und wie mir zugetragen wurde, soll Blomstedt nach der Probe des Mozartschen Werkes gesagt haben, das sei jetzt Champagner gewesen…und jetzt kommt das Bier! Wohl überflüssig zu sagen, dass das Bier wie der Champagner über genügend Kohlensäure verfügen, welche die Werke ebenso wie die Getränke voll Lebensfreude sprudeln lassen. Kein Wunder, gab’s spontan eine Standing Ovation.
John H. Mueller