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ZÜRICH/ Ballett Zürich: WINTERREISE – Live stream der Wiederaufnahme

26.02.2021 | Ballett/Performance

Ballett Zürich

„WINTERREISE“ 23.2. 2021– Live stream der Wiederaufnahme

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Alexander Jones und Inna Bilash in Christian Spucks „Winterreise“. Copyright: Gregory Batardon

Im Oktober 2018 hatte Zürichs Ballettdirektor Christian Spuck den berühmten Liederzyklus choreographisch in Szene gesetzt. Dafür hatte er sich allerdings nicht für das Original von Franz Schubert entschieden, sondern die 1993 vom 2019 verstorbenen Hans Zender für ein 25köpfiges Orchester eingerichtete instrumentale Erweiterung mit dem Untertitel „eine komponierte Interpretation“ gewählt. Unter Hinzuziehung von Geräuschen, die in den musikalischen Rhythmus übergehen, der phasenweisen Verlagerung der Singstimme in die Sprachweise eines Melodrams oder atonaler Einsprengsel sowie vielfältigen instrumentalen Aufsplitterungen entstehen Klangräume, die das Los des einsamen Wanderers in deutlich erweiterter Form über die Spätromantik bis in die Moderne suggestiv greifbar machen.

Da gibt es u.a. feierliche Bläserakkorde, ein signalartiges Trompetensolo ebenso wie verstörende Fanfaren, zart kammermusikalische Streichereinsätze, ein wehmütiges Akkordeon und eine Gitarre und Harfe als Rhythmusinstrument anstatt des originalen Flügels. Bedrohlich anschwellende Töne suggerieren den reißenden Bach, schleppend lastende Akkorde ein beschwertes Herz. Mal dienen Klopfgeräusche als Überleitung zwischen zwei Liedern, Weltuntergangstöne liegen über dem abschließenden Leiermann. Benjamin Schneider koordiniert diese Tradition und Innovation auf einen Nenner bringende musikalische Einrichtung mit der Philharmonia Zürich wie als eigenständiges und doch auf die Bedürfnisse der Choreographie genau eingehendes Werk.

Dem musikalischen Kosmos entspricht die Einrichtung der Bühne von Rufus Didwiszus als abgeschlossene, unentrinnbare kalte Landschaft in abschattierten Grautönen, erhellt von gleißenden Neondeckenlichtern. Darin fügen sich die hauptsächlich in Grau und Schwarz gehaltenen Kostüme von Emma Ryott. Von Anzügen über nacktem Oberkörper, Pullovern (teils mit hochgeschlossenem Kragen), Shorts bis hin zu schleppenartigen Anhängen reichen die Varianten. Warum in jenem Moment gerade das eine oder andere gewählt wurde, erschließt sich dabei nicht immer. Männer auf Stelzen mit Geäst im Nacken, eine Frau mit einer Krähe oder eine andere mit spitzem Schnabel und langen Krallen – Symbole dieser Art durchziehen die ganze Aufführung und schaffen zusätzliche Stimmungsbilder in Bezug zu Spucks Choreographie, die im Rahmen seines bekannten neoklassischen Stils bleibt, kaum noch überraschend Neues bietet, aber doch in vielen sehr ausdrucksvollen Passagen und Metaphern die Nöte und Schmerzen des einsamen Wanderers versinnbildlicht. Dieser Protagonist des Liederzyklus mit Texten von Wilhelm Müller ist kein solistisches Zentrum, er taucht in vielerlei Gestalten verteilt auf mehrere Tänzer auf, mal mit Partnerin oder in der Gruppe. Am ehesten könnte der Sänger des Tenorparts auch als szenische Verkörperung des Wanderers betrachtet werden, steht er doch zu Beginn wie integriert neben einem Tänzer auf der Bühne, ehe er an seinen Platz im Orchestergraben tritt, zwischen durch und vor allem am Ende wieder auf die Bühne klettert und diese langsam schreitend im Hintergrund verlässt. Mauro Peter gibt dieser Gestalt mit seinem feinen und doch gehaltvollen lyrischen Tenor das passende Gewicht von innigem Versenken bis zum ausbrechenden Schmerz. Das attraktive Timbre und der kultiviert abgemischte und transparente Einsatz seiner Stimme tun ein Übriges, dass er auch über einige schwächere Momente auf der Bühne dominiert.

Doch zurück zum Tanz, der keine konkrete Verbildlichung der einzelnen Stationen des Wanderers erfüllt, mehr die verschiedenen Themen des zerrissenen Charakters in unterschiedlichen Kombinationen abstrahiert und vor allem dort berührt, wo diverse Tempowechsel, Verlangsamungen und Beschleunigungen, aber auch spezielle Formen wie klappernde Hände, wie Flügel abgewinkelte Arme oder wellenartig durch eine Gruppe gehende Motionen Sinnhaftigkeit bekommen.

Die Solisten der Compagnie Giulia Tonelli, Elena Vostrotina, Katja Wünsche, Jan Casier, Alexander Jones und William Moore sollen stellvertretend für ihre Kollegen hervorgehoben sein, sind ihnen doch vor allem diverse Duos in unterschiedlichen Kombinationen anvertraut und stehen sie für die Geschlossenheit, mit der sich alle in diese nachdenklich machenden, bisweilen verstörenden Stimmungsbilder einbringen.

2019 wurde diese Choreographie für den Prix de Benois nominiert, jetzt wurde sie aufgrund großer Publikumsnachfrage wieder aufgenommen, leider nun ohne dieses, aber dennoch als wichtige Motivation und Konditions-Aufrechterhaltung für die TänzerInnen sowie als Freude für hoffentlich viele Zuschauer von zuhause.

Udo Klebes

 

 

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