Paul Lincke: Frau Luna • Operettenbühne Hombrechtikon • Premiere 30.08.2025
Berliner Luft im Zürcher Oberland
Die Operettenbühne Hombrechtikon meldet sich nach der Krise, Corona-Altlasten und der Wahl von Offenbachs «Orpheus in der Unterwelt», wagemutig mit einem «untypischen» Stück zurück. Mit «Frau Luna» kommt Berliner Luft ins Zürcher Oberland.
Foto © Dennis Yulov
Der Komponist von «Frau Luna», Paul Lincke, ist ausserhalb Berlins heute eigentlich nur noch für seinen Marsch von der Berliner Luft und besagte Operette bekannt. 1866 in der werdenden Grossstadt Berlin als Sohn des Magistratsdieners August Lincke kam Paul bei Hausmusikabenden schon früh mit Musik in Kontakt. Sein Vater spielte Geige und nutzte dies, um mit durch seinen Freund Kaakstein vermittelten Aushilfen im Orchester der Lindenoper das Familieneinkommen aufzubessern. Nach dem frühen Tod des Vaters (1871) war Linckes Mutter gezwungen mit ihren vier Kindern an den südlichen Stadtrand, in die Eisenbahnstrasse in der Nähe des Köpenicker Tores und der Kaserne des Garde-Pionier-Bataillon umzuziehen. Hier kam Lincke mit reichlich Militärmusik in Kontakt und dies sollte seine spätere Karriere und seinen Kompositionsstil prägen. Linckes Mutter Emilie ermöglichte mit Näharbeiten dem Sohn den Besuch der Volks- und Realschule. Karriereentscheidend war, das Familienfreund «Onkel Kaakstein» entdeckte, dass Paul das absolute Gehör besass. So erhielt Paul zum Weihnachtsfest 1877 eine Violine und Onkel Kaakstein vermittelte dann 1881 Pauls Eintritt in die von einem Freund geleitete Stadtpfeiferei von Wittenberge. In seinen drei Jahren bei der Stadtpfeiferei lernte Paul mindestens vier Instrumente spielen und erhielt auch tieferen Einblick in die Handhabung der anderen Orchester-Instrumente. Als Mitglied einer Stadtpfeiferei, die das Privileg hatte zu öffentlichen Ereignissen wie bürgerlichen Anlässen (Hochzeiten, Begräbnissen) die notwendige Musik zu liefern, kam Linke hier ausgiebig mit Marschmusik wie auch Sinfoniekonzerten und allgemein «Gebrauchsmusik» in Kontakt (eine Ausbildung, die in ähnlicher Form auch Franz Lehár durchlief). «In dem kleinen Wittenberge habe ich den Grund für mein Schaffen als Komponist gelegt und dort gelernt, was andere auf der Akademie nie erfahren haben». Nach nur drei Jahren verliess Lincke Wittenberge und machte ab Herbst 1884 Schritt für Schritt an den Berliner Theatern, es gab damals bis zu 12 Theater, die ein eigenes Orchester unterhielten, seine ersten praktischen Berufserfahrungen: zuerst mit dem Uminstrumentieren oder Komplettieren von Musiknummern und Komposition von Liedern und Musik für die Umbaupausen, dann mit eigenen Werken. Als Kapellmeister am Königstädtischen Theater lernte Linke 1887 den Liedtextdichter, Übersetzer, Filmregisseur und Filmproduzent Heinrich Bolten-Baeckers kennen, der sein bevorzugter Librettist und ein enger Freund werden sollte. Am 6. Juni 1897, kurz vor Linckes Aufbruch nach Paris, kam das erste gemeinsame Werk der beiden, «Venus auf Erden», zur Uraufführung. Als Abschluss seiner Kapellmeister-Laufbahn ging Lincke für zwei Jahre ans Varieté Folies Bergère nach Paris, einem der führenden Etablissements seiner Art im damaligen Zentrum der europäischen Vergnügungsindustrie. Dieses Engagement ermöglichte Lincke, unter anderem durch allabendliche Dirigate, ein eingehendes Studium des zeitgenössischen Show-Geschäfts. In seinen späteren Werken hat sich allerdings kaum etwas niedergeschlagen. Nach Linckes Rückkehr zum Beginn des Jahres 1899 kam es am 1. Mai des Jahres zur Uraufführung von «Frau Luna». Die heute aufgeführte Fassung stammt aus dem Jahre 1922, als Lincke sein Erfolgswerk mit einem Bild und dem Best-of seiner Hits (darunter die «Berliner Luft») ergänzte, um das Sinken seines Sterns als Komponist (letztlich vergeblich) aufzuhalten. Das Aufglühen seines Sterns im Nationalsozialismus schien dem Komponisten, der am 3. September auf dem Rückweg aus dem von ihm als Exil empfundenen Aufenthalt in Marienbad im Harz starb, nicht unrecht gewesen zu sein.
Foto © Dennis Yulov
Stefan Wieland (Regie & Textfassung) hat für die Produktion eine behutsam modernisierte Textfassung erstellt und belässt das Werk dabei in seinem Berliner Umfeld. Wieland erzählt die Geschichte eng am Text und wird dabei massgeblich vom genialen Bühnenbild Dave Leutholds unterstützt, das mit einer Drehbühne (eine beachtliche Investition für einen Verein!) und Brecht-Vorhängen arbeitet. Mitentscheidend für die eindrückliche Szene ist die Lichtgestaltung von Foto-Video-Licht und Martin Brun, die sich ohne weiteres mit «grossen» Bühnen messen kann. So kommt das überschäumend farbenfrohe, enorm reichhaltige Kostümbild von Sabrina Claudia Moser erst richtig zur Geltung: Klassische Kleidung und Hochsteckfrisuren in Berlin, Glanz und Glimmer mit reichlich Moosgummi auf dem Mond.
Tereza Kotlánová begeistert als Frau Luna / Flora mit klaren Höhen und blitzsauberen Koloraturen, Andres Esteban mit markantem Tenor als träumerischer, ursympathischer Fritz Steppke. Lena Kiepenheuer überzeugt in der Rolle seiner Verlobten Marie Pusebach und Venus. Steppkes Freunde Lämmermeier und Pannecke sind bei Stefan Wieland und Pascal Ganz in besten Händen, oder besser Kehlen. Felicitas Brunke gibt eine herrlich resolute Witwe Pusebach, die ganz dem klassischen Bild einer «Schlummermutter» entspricht. Erich Bieri gibt einen klangprächtigen, schneidigen Theophil, Wachtmeister und Haushofmeister auf dem Mond. Julia Zeier als Stella / Ella, Daniel Bentz als Prinz Sternschnuppe / Egon und Dieter Werner als Mars ergänzen das formidable Ensemble.
Caspar Dechmann hat die musikalische Leitung des Abends inne und verleiht dem zwischen Revue und Musical changierenden Werk den nötigen Schmiss. Chor, Ballett und Orchester der Operettenbühne Hombrechtikon agieren auf gewohnt bemerkenswert hohem Niveau.
Weitere Aufführungen:
05.09.2025, 19.00; 06.09.2025, 19.00; 07.09.2025, 15.00; 12.09.2025, 19.00; 13.09.2025, 19.00; 14.09.2025, 15:00; 19.09.2025, 19.00; 20.09.2025, 19.00; 21.09.2025, 15.00; 26.09.2025, 19.00; 27.09.2025, 19.00; 28.09.2025, 15.00.
04.09.2025, Jan Krobot/Zürich