Giuseppe Verdi: Un ballo in maschera • Opernhaus Zürich • Dernière: 19.01.2024
(10. Vorstellung • Premiere am 08.12.2024)
Oscar war noch immer nicht beim Optiker
Oscar war noch immer nicht beim Optiker: vielleicht schafft er’s ja bis zur Wiederaufnahme. Ohne das ewige Brille-Hochschieben wäre die Inszenierung vielleicht etwas weniger «englisch», würde aber keinesfalls an Qualität und Stringenz einbüssen.
Foto © Herwig Prammer
Die Produktion (Inszenierung: Adele Thomas) hat, abgesehen von der arg klamaukig-outrierten Konzeption Oscars und dem Gekreische der Tänzer (Choreografie: Emma Woods) beim «Cancan», ihre Qualitäten. Thomas baut gute Spannungsbögen und nutzt gekonnt die Vorteile der Drehbühne (Ausstattung: Hannah Clark). Die Drehbühne mit ihrem pavillonartigen Aufbau ist wahlweise Hörsaal (Clark erzählt die Geschichte als Rückblende und beginnt mit der Obduktion des ermordeten Riccardo), Audienzsaal des Grafen Riccardo, Hütte der Wahrsagerin Ulrica, dunkle Strasse (Galgenberg, vor den Toren Bostons), Arbeitszimmer Renatos und Ballsaal und ermöglicht pausenlose Szenenwechsel. In den Bildern ohne Beteiligung des Chores schirmen die Aufbauten die Bühne nach hinten ab, was den Solisten natürlich sehr zugute kommt. Die zeitliche Verschiebung ist werkgerecht, da die Geschichte – wie beim «Rigoletto» die Leiche im Sack – erhalten bleibt und weiter funktioniert. Und Verdi kam es bei der Verschiebung von Stockholm in die neue Welt nicht auf das Ambiente an, sondern dass die darin eingekleidete Erzählung erhalten bleibt. Und den Sehgewohnheiten der Gegenwart – auf das Verständnis der Bilder durch das Publikum kam es den Komponisten an – entspricht die Zeit des Bürgerkriegs (mit den mächtigen Koteletten – in den Vereinigten Staaten nach Ambrose Burnside, einem General im Sezessionskrieg, «sideburns» genannt – und Bärten der Männer und den wallenden Kleidern der Frauen) eher als ein mit plüschiger Phantasie gestaltetes «Ende des 17. Jahrhunderts».
Die Philharmonia Zürich unter dem souveränen GMD Gianandrea Noseda überzeugt einmal mehr mit leidenschaftlicher Spielfreude und balsamischem Wohlklang. Wunderbar zart klingen die Streicher, besonders das Cello zu Amelias «Morrò, ma prima in grazia» (3. Akt), makellos die Bläser, so das Horn zu Renatos «Alla vita che t’arride» (1. Akt), herrlich knackig das Schlagwerk. Janko Kastelic (Choreinstudierung) hat Chor der Oper Zürich perfekt vorbereitet und dieser geniesst sichtlich die Auftritte in den herrlichen Kostümen. Mit kompaktem, sattem Klang und reichlich Brio begeistert er das Publikum.
Charles Castronovo gibt den Riccardo mit leidenschaftlichem Schmelz und endlosem Atem. Er erfüllt seine Rolle mit intensiver Bühnenpräsenz und ist Erika Grimaldi als Amelia ein idealer Bühnenpartner. Grimaldis Sopran läuft während der Vorstellung zu grosser Form auf. Die Stimme sitzt tadellos, Grimaldi gestaltet die Partie hochmusikalisch. Während die mittlere und untere Lage wunderbar voll klingt, neigt die Stimme in der Höhe sporadisch dazu schärfer zu werden. Die Duette der beiden bersten nur so von Emotionen und sind ein dramatischer Hochgenuss. George Petean ist weiter in Höchstform und gibt einen Renato , den man sich intensiver, szenisch wie musikalisch, nicht vorstellen kann. Agnieszka Rehlis gestaltet mit tadellos ansprechendem Mezzo und verführerischen Farben eine tadellose Ulrica. Katharina Konradi überzeugt musikalisch als Oscar. Die arg outrierte, «froschige» szenische Darstellung dürfte ihr von der Regie vorgegeben sein. Brent Michael Smith als Samuel und Stanislav Vorobyov als Tom sind zwei mustergültige Verschwörer. Martin Zysset glänzt als Un giudice. Steffan Lloyd Owen als Silvano und Álvaro Diana Sanchez als Un servo d’Amelia ergänzen das souveräne Ensemble. Lucien Hebeisen gibt an diesem Abend wieder die Doppelrolle der Söhne Riccardos und Renatos. Beim Schlussapplaus fehlt er leider.
Oscar war noch immer nicht beim Optiker: vielleicht schafft er’s ja bis zur Wiederaufnahme.
Keine weitere Aufführungen in der Saison 2024/2025.
20.01.2024, Jan Krobot/Zürich