Am Ende war’s der Apfelbaum – Yvonne Prentki & Benedikt ter Braak veröffentlichen eine CD mit Liedern von und über Frauen.
Von Guido Krawinkel.
Copyright: Rebekka ter Braak
„Ich würde sagen, das hat sich wie ein Mosaik zusammengefügt“, sagt Yvonne Prentki über das Programm ihrer neuen CD, die sie mit dem Pianisten Benedikt ter Braak aufgenommen hat. Zu hören sind Liebeslieder und Lieder von Komponistinnen, Lieder an und von Frauen also, darunter auch die „Mädchenblumen“ von Richard Strauss, ein frühes Opus des Komponisten, in dem sich zeittypisch Frauenverehrung und Frauenbild der damaligen Zeit vereinen. „Die Strauss-Lieder haben wir schon früher gemeinsam erarbeitet und aufgeführt. Dann haben wir irgendwann angefangen, uns mit Komponistinnen zu beschäftigen und vor allem mit Josephine Lang. Und dann ist aus diesen verschiedenen Bausteinen die Idee entstanden, dieses Album zu entwickeln“, so Prentki.
„Eigentlich ist Strauss‘ Zyklus ja für einen Tenor ausgelegt: der Mann besingt die Frau“, sekundiert ihr Klavierpartner, Benedikt ter Braak. Für Sängerin und Pianist galt es hier, innerlich einen Rollenwechsel zu vollziehen. Und siehe da: „Dieses Stück ging plötzlich total gut auf, plötzlich entstand richtig tolle Musik. Es war aber auch ein bisschen ein beschämender Moment, in dem man dann gemerkt hat, was da passiert. Hier werden Frauen die ganze Zeit besungen, aber warum werden sie denn eigentlich nie thematisiert?“ Das war der Anlass für die beiden, auf die Suche zu gehen, sich mit dem Rollenbild der Frau auseinanderzusetzen, das aus Strauss‘ Liedern spricht und selbiges mit Werken von Frauen zu kontrastieren, die diesem Frauenbild etwas entgegensetzen.
„Die Diskussion hat sich verändert“, so Prentki, „und ich glaube, dass Künstler angefangen haben, sich auch ganz anders mit Rollenbildern auseinanderzusetzen. Die MeToo Bewegung hat sicherlich auch noch vieles dazu beigetragen und so wird jetzt glaube ich ganz anders über solche Inhalte reflektiert als noch vor zehn oder 15 Jahren. Ich habe in dieser Zusammenarbeit auch angefangen, ganz anders dahinter zu blicken und mir ganz andere Gedanken zu machen als zum Beispiel noch im Studium, als ich das erste Mal mit diesen Strauss-Liedern in Berührung gekommen bin. Wir haben gemeinsam recherchiert und uns alles hin und her geschickt. Benedikt ist dann irgendwann auf Josephine Lang gestoßen und sagte: Ich habe da was! Das war wirklich ein richtiger Schatz.“
Aber wie kamen die beiden überhaupt auf eine Komponistin wie Lang, die selbst Kennern des Liedrepertoires kaum geläufig sein sollte? Daran ist im Grunde genommen ein Apfelbaum Schuld. „Es fing an mit Harald und Sharon Krebs aus Kanada, die haben sich der Musik von Josephine Lang verschrieben, haben eine Biografie über sie geschrieben und haben auch hin und wieder auf YouTube Videos veröffentlicht. Die habe ich dann angeschrieben“, erzählt ter Braak die Geschichte. Und von diesen beiden bekamen Prentki und er dann nicht nur die Geschichte von Josephine Lang geliefert, sondern auch jede Menge Lieder. Dabei sind auch die Kanadier mehr oder weniger zufällig auf Josephine Lang gestoßen. Bei ihren musikwissenschaftlichen Recherchen hatten sie unter anderem den Lageplan von Langs Haus in Tübingen gefunden, da war alles ganz detailliert mit Legende beschrieben. Aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund standen in Langs Garten auch zwei kanadische Apfelbäume. Und das haben sie als Omen genommen. ‚Das ist doch ein Zeichen, wir müssen eine Biographie über sie schreiben.‘ Und dann haben sie angefangen.“ Daneben haben Prentki und ter Braak natürlich auch andere Komponistinnen gefunden. „Wenn man erstmal recherchiert, welche Komponistinnen es neben Fanny Hensel oder Clara Schumann gibt, gibt es im Prinzip gar nicht so wenige, es gibt sogar unglaublich viele Komponistinnen, die gerade zu Zeiten der Romantik Lieder veröffentlicht haben. Da gibt es ein riesiges Potenzial zu entdecken.“
Auf die Werke von Ethel Smyth und Nadia Boulanger kamen die beiden dann, weil die Komponistinnen sie mit ihrer Tonsprache und durch ihre Biographie ganz besonders fasziniert haben. „Das waren zwei, bei denen wir gesagt haben: das reizt uns irgendwie, das macht was mit uns. Und die finden wir ganz besonders faszinierend“, so ter Braak. „Ethel Smyth wollten wir aber auch dabei haben, weil sie für die feministische Sache eingestanden ist. Wenn man bedenkt, wie früh das war, dass sie ja noch vor der ersten feministischen Welle aktiv war und noch vor Simone de Beauvoir, ist es schon faszinierend, auch wie prägnant sie erkannt hat, wo die Probleme in patriarchalen Strukturen sind.“ Bei vielen Konzerten haben sie zudem festgestellt, dass sie vor allem auf diese Werke eine positive Rückmeldung bekommen. „Man kriegt eigentlich nie eine Rückmeldung über den Strauss.“
Derzeit geben sie viele Liederabende mit diesem Repertoire, ein weiteres Programm ist schon in Vorbereitung. „Wir sind am Recherchieren“, sagt Prentki. „Wir sind am Überlegen. Wir schreiben Förderanträge. Sowas muss ja auch finanziert werden. Und wir sind schon dran zu überlegen, wie wir das realisieren könnten. Denn es gibt sehr, sehr viel zu entdecken. Unsere Neugier ist richtig entfacht worden, noch mehr in diese Richtung zu graben und noch mehr Musik zu finden, die auf jeden Fall ihren Platz im Repertoire verdient hat.“
Yvonne Prentki – Sopran / Benedikt ter Braak – Piano
„Ich sehe still vorüberziehen“
Lieder von Richard Strauss, Josephine Lang, Nadia Boulanger & Ethel Smyth
Ars Produktion 2024
Guido Krawinkel