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WUPPERTAL: RIGOLETTO. Neuinszenierung

24.04.2017 | Oper

WUPPERTAL: RIGOLETTO

Besuchte dritte Vorstellung am 23. April 2017

Premiere am 9. April 2017

Seit dieser Saison ist Berthold Schneider Opernintendant in Wuppertal und hat die Aufgabe, ein Haus, welches zwei Spielzeiten lang aus Kostengründen zu einem En-Suite-Spielplan mit Sängergästen verdonnert wurde, neu zu einem Ensembletheater aufzuforsten. Wie das mit den ja wohl kaum verbesserten Finanzen langfristig zu bewerkstelligen ist, mag erst einmal Geheimsache bleiben. Was das Künstlerische betrifft: Schneiders Spielplan ist ehrgeizig, fantasievoll, fordernd. Kompliment.

Für Verdis „Rigoletto“ hat der Intendant einen spektakulären Regisseur verpflichtet. TIMOFEJ KULJABIN arbeitet hauptsächlich in Nowosibirsk, macht primär Schauspiel, aber auch kontinuierlich Oper. Seine „Tannhäuser“-Regie erregte 2014 Aufsehen, vorwiegend positiv. Die Tatsache, dass der Titelheld im Venusberg als Jesus Christus auftrat, führte später freilich zur Entlassung des Intendanten.

Findet sich im Wuppertaler „Rigoletto“ irgendwo vordergründig Plakatives, selbstgefällig Anbiederndes, billige Effekthascherei? Mitnichten. Der 33jährige Regisseur wagt freilich krasse Behauptungen. Zunächst war er „von der Kraft und Emotionalität der Musik beeindruckt“. Freilich wurde ihm sehr bald bewusst: „Einiges von der Handlung und den Personen ist restlos im 19. Jahrhundert verhaftet, so dass es in der heutigen Realität kaum mehr als lebendig empfunden werden kann.“ Was nota bene auch für viele andere Werke gilt. An den modernisierten Übertiteln, wo Worte manchmal neues, mitunter sogar umdeutendes Gewicht erhalten, wird das besonders deutlich.

Laufen solche Feststellungen und Maßnahmen auf einen Freibrief für Regiewillkür hinaus? Mit Kuljabins Äußerungen ist fraglos vorsichtig umzugehen, aber sie formulieren auf animierende Weise notwendige interpretatorische Ziele. Das Konzept gehört freilich in die richtigen Hände. Im Wuppertaler „Rigoletto“ geht es zur Gänze auf.

Bei Kuljabin ist der Titelheld kein jammerndes bucklicht Männlein, sondern ein (auch im Fernsehen vielbeschäftigter) Entertainer und Animator, welcher dem Herzog, Spitzenkandidat von „Mantua United“ in einem fiktionalen Staat, ironisch-bösartig gewürzte verbale Unterstützung gibt. Freilich: wie’s bei Rigoletto da drinnen aussieht, geht niemand was an. Der große emotionale Zwiespalt in seiner Person bleibt bei Kuljabin also erhalten, wird aber verschärfend auf heutige Verhältnisse projiziert. Machtallüren, gewürzt mit erotischen Eskapaden – so lebt sich’s gut auf dem politischem Hochparterre, wo die Luft von serviler Beflissenheit nur so dampft.

Ein eigenes Schicksal ist das von Gilda. Ob sie das Tun ihres Vaters psychisch frühzeitig belastet hat, wird in Kuljabins Inszenierung nicht eindeutig thematisiert. Dennoch wirkt es schlüssig, dass sie nicht in den häuslichen vier Wänden eingesperrt lebt, sondern als Patientin in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt untergebracht ist. Dass Gilda an ihrer treuherzigen Liebe zum Herzog festhält, obwohl sie sich dessen unablässige Techtelmechtel unter Vaters Zwang in Videoaufzeichnungen ansehen muss, passt zur pubertären Euphorie des Mädchens.

Die vielen klugen und erhellenden Bildeinfälle Kuljabins lassen sich in ihrer Fülle nicht angemessen aufzählen oder gar detailliert beschreiben, sind aber Beweise sonder Zahl für Könnerschaft. Die Empfehlung kann im Grunde nur sein: hingehen, ansehen, sich anrühren lassen. Das geschieht freilich nicht ohne Schmerzen. Das letzte Bild ist regelrecht grausam. Rigoletto hat Gilda in einem Müllsack gefunden, aber er kann sich an ihrer Leiche nicht festweinen, weil der „Dienst“ ruft. Die High Society Mantuas bedarf des „Hofnarren“ erneut, und er wird allen Wünschen wie gehabt willfahren. Über der aufs Neue angespielten Introduktionsmusik senkt sich der Schlussvorhang.

Timofej Kuljabins mit viel Bitternis und Grimm gesättigte Inszenierung ist als Musterbeispiel für eine gelungene Gratwanderung zwischen kritischer Werkhinterfragung und gleichzeitig verantwortungsvollem Respekt hoch zu benoten. Bühne (OLEG GOLOVKO bietet Realistisches) und Kostüme (GALYA SOLODOVNIKOVA) dienen seinem Konzept mustergültig. Auch noch andere wichtige Künstler scheint Kuljabin aus Russland nach Wuppertal importiert zu haben (Licht, Bild-Design, Dramaturgie).

JOHANNES PELL (als GMD vom Bonner Rhein an die Wupper gewechselt) hat Verdis Musik fest im Griff, dirigiert animiert und dramatisch zielstrebig (etwas eigenwillig die Ritardandi im Quartett). Exzellent neben dem Orchester auch der von MARKUS BAISCH einstudierte Chor.

Der schlanke, baritonal jedoch herrlich ausladende PAVEL YANKOVSKY hat den Rigoletto bereits 2012 in Nowosibirsk verkörpert (Ausschnitt auf Youtube). Seine Darstellung ist von fast schon beängstigender Intensität. Das gilt auch für  die Lybierin RALITSA RALINOVA, welche die Schizophrenie Gildas mit nervöser Gestik unterstreicht und dennoch mit bezaubernder Süße singt und leuchtkräftige Staccati offeriert (klavierbegleitete Darbietung von „Caro nome“ auf Youtube). Umwerfend in seiner vokalen Verve, schlanker Höhenpotenz und darstellerischer Virilität der Südkoreaner SANGMIN JEON als Duke. Nach vorsichtigen Anfangsjahren sollten sich in Anbetracht dieser Rollengestaltung für den Sänger bald Türen öffnen. Alle Protagonisten wurden in der besuchten dritten Vorstellung mit frenetischem Beifall des vollbesetzten Hauses bedacht (sonntägliche Nachmittagsvorstellungen scheinen besonderen Anklang zu finden). Mit guten Leistungen sind ergänzend zu nennen: LUCIA LUCAS (Monterone), CATRIONA MORISON (Maddalena) und SEBASTIAN CAMPIONE (Sparafucile).

Christoph Zimmermann

 

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