Federico Logi, Akiko Tsujii. Foto: Nik Schölzel
WÜRZBURG: RIGOLETTO
18.12. 2019 (Werner Häußner)
„Rigoletto“ sollte ursprünglich den Titel „La Maledizione“ tragen, und mit Flüchen kannte sich Verdi einigermaßen aus: Als jähzorniges Kind hatte er einem Priester, der dem nachlässigen Messdiener einen Tritt versetzt hat, einen Blitz aufs Haupt gewünscht. Dass sich die Verwünschung später tatsächlich erfüllte und der arme Mann von einem Blitz erschlagen wurde, hat den Knaben sehr beschäftigt. Wenn Verdi später die Geschichte, wie es heißt, „mit Vergnügen“ zum Besten gegeben hat, darf man dahinter eine Strategie der Bewältigung vermuten.
Der „Fluch“ als Titel hätte das Stück allerdings auf eine metaphysische Ebene verschoben und die menschlichen Sehnsüchte, Blockaden und Konflikte mit einem Blick auf das Walten übernatürlicher Kräfte verschleiert. „Rigoletto“ dagegen benennt die zentrale Figur des Werkes, und mit diesem Fokus inszeniert der Würzburger Intendant Markus Trabusch an seinem Haus die Verdi-Oper als Tragödie einer in sich verschlossenen, sich selbst zerbrechenden, zwischen schneidendem Zynismus und überzogener Fürsorge zerriebenen Vaterfigur.
Halb Weißclown, halb Joker: Das geschminkte Gesicht lässt nur mittelbar ablesen, welche Regungen diesen Rigoletto bewegen: Alles ist Maske, Theater. Tod und Teufel spielen als Handpuppen mit, ziehen über die knappen, aber präzis konzentrierten Worte des Librettos von Francesco Maria Piave eine weitere Ebene des Spiels. Wenn Rigoletto im zweiten Akt nach der Entführung seiner Tochter den Chor der Höflinge zur Rede stellen will, trägt er den Schweif eines Drachen – wie das Krokodil im Kaspertheater: Er mutiert zur Schlange („serpente“) aus dem Fluch Monterones.
Verkleidung, Verstellung, Vortäuschung durchziehen das ganze Stück: Der Duca erscheint mit Hoodie als „armer Student“ und Sparafucile zieht der Leiche Gildas in der Plastikplane noch die zurückgelassenen Schuhe des Herzogs an. In diesem oft verspotteten Finale („Wer ist statt seiner hier im Sacke?“) lässt Trabusch eine Wahrheit durchbrechen, die sich aus dem Stück gut begründen lässt: Wie im Theater des „magischen Realismus“ schreitet die Mutter Gildas, die geheimnisvoll abwesende Frau Rigolettos, durch die Szene (Hiroe Ito), legt sich auf die Totenplane, während Gilda sich nach hinten in die Weite des Bühnenbilds von Susanne Hiller bewegt, dorthin, wo zuletzt die verwehenden Töne der Canzone des Herzogs erklungen sind.
Dass gerade dieser Moment nicht überzeugend gelingt, ist schade: Während der gebrochene Rigoletto mit den Worten „Gilda, mia Gilda! … É morta!“ die Erscheinung der Mutter im Arm hält und damit endlich zum Verlusttrauma seines Lebens vordringt, kippt Gilda rücklings in die weiträumige Dämmerung des Hintergrunds – und man denkt unwillkürlich an den Sprung der Tosca. Dieses durchaus beeindruckende Ende hätte eine geschicktere Bühnenlösung verdient.
Der Blick Trabuschs auf die Hintergründe und Abgründe der Figuren ist ansonsten weitaus präziser, als man das aus der früher üblichen oberflächlichen Stereotypie, mit der die italienische Oper szenisch geringgeschätzt wurde, gewohnt war. So nimmt Scherhezada Cruz als Gräfin Ceprano den tändelnden Ton des Herzogs auf und zeigt damit, dass sie dem Abenteuer wohl nicht abgeneigt sei. Der Duca von Roberto Ortiz erscheint dagegen als Melancholiker, den die Party-Gesellschaft hinter halbtransparenten Wänden anödet. Sein Auftritt („Questa o quella“) ist eher der eines genervten Schwarmobjekts als der eines zynischen Libertin. Der „Donna è mobile“-Schlager verdeckt in Trabuschs Konzept mit seiner trivialen Außenseite eine tiefe Enttäuschung: Die Chance auf eine authentische Beziehung mit Gilda ist vertan; der Herzog versteht nicht, warum ihn „Leben und Seele“ verlassen hat, projiziert seine Verletzung auf „la donna“ an sich und versucht, sie mit käuflichem Sex zu verdrängen.
Aufschlussreich auch, wie Trabusch in die Beziehung zwischen Gilda und dem Herzog hineinleuchtet: Die behütete Klosterschülerin – Susanne Hiller steckt sie in ein spießiges, Attraktivität verhüllendes Kostüm – wird von der jungen Japanerin Akiho Tsujii dargestellt. Gilda ist mit ihren Fragen nach ihrem Woher und Wohin alleine; wenn sie ihren Vater darauf anspricht, spielt der Tod als Handpuppe neckisch mit. Der Herzog freilich erkennt ihr Streben, Identität aus Geschichte zu entwickeln. Er bringt als Geschenk Kirschblütenzweige und Kimono mit: die Einladung an Gilda, sie selbst zu werden? Auf jeden Fall gewinnen das Duett zwischen ihr und dem Herzog und dessen für einen Libertin gar nicht passende, ernsthafte große Szene „Ella mi fu rapita – Parmi veder le lagrime“ eine Authentizität, die auch in anderen Inszenierungen bemerkt, aber noch selten so konsequent ausgestaltet wurde.
Der Zynismus ist eher Giovanna vorbehalten, die von Barbara Schöller in graue Berechnung gekleidet wird: Ungerührt wiegt sie Rigoletto in Sicherheit, ungerührt nimmt sie das Geld des Herzogs an. Fazit: Eine Produktion, die mit Hermann Schneiders subtil reflektierter Würzburger Inszenierung von 2004 konkurrieren kann – und auch an den emotional bewegenden „Rigoletto“ auf der mainfränkischen Bühne der achtziger Jahre mit dem großartigen Darsteller David Midboe anknüpft.
Der definitive Fortschritt in Würzburg lässt sich im Musikalischen feststellen: Enrico Calesso ist seinen Vorgängern überlegen, weil er ins Orchester die italienische Tradition – ohne die früher damit verbundenen Schlampereien – einbringt. Die besteht in einer ausgefeilten Tempo-Dramaturgie, in sorgsamem Umgang mit dem „tempo rubato“, im Verzicht auf modisches Gehetze und vor allem im Atmen mit den Sängern. Die Phrasierung bleibt stets flexibel und locker, das Metrum lebendig. Eine Stretta wie „Si, vendetta“ lässt Calesso fiebrig pulsieren, treibt aber nicht das Tempo, sondern die innere Energie an. Es gibt keine Plattitüden in der Orchester-Tongebung. Und den blühenden Kantilenenbogen der Oboe darf man an größeren Häusern gerne suchen.
Weil Calesso gerade in Linz „Il Trovatore“ dirigiert, hat die Dezember-Vorstellungen des „Rigoletto“ der Erste Kapellmeister Gábor Hontvári übernommen. Der Absolvent der Weimarer Musikhochschule zeigt dabei, dass er nicht umsonst Zweiter im Wettbewerb um den Deutschen Dirigentenpreis 2019 geworden ist. Hontvári führt prägnant, sichert die Balance im Orchester, findet auch – nach einem sehr langsamen Einstieg in das Preludio – angemessene Tempi. Gleichzeitig zeigt sich, wie gut es für einen jungen Dirigenten ist, in die Stadttheater-Routine einzusteigen statt eine Überflieger-Karriere zu machen: Hontvári neigt zu starren Metren, die in Übergängen „schulmäßig“, aber schematisch verlangsamt. Und er achtet nur zeitweise auf die Sänger. Dass er zum Beispiel mit der Gewittermusik des vierten Aktes keine Spannung aufbaut, keinen musikdramaturgischen Bogen schlägt, zeigt wohl Mangel an Erfahrung: Er behandelt sie wie lyrische Einschübe in die Entwicklung der Szene.
Federico Longhi. Foto: Nik Schölzel
Licht und Schatten werfen die Sänger des Würzburger Ensembles. Mit Federico Longhi und Kosma Ranuer alternieren zwei unterschiedliche Typen in der Titelpartie: Longhi gestaltet außerordentlich sprachbewusst und in der Tongebung variantenreich, pflegt stimmlich eher einen veristischen Ansatz als die klangsatte Eleganz des Kavaliersbaritons, beeindruckt in der verletzlichen Resignation ebenso wie im zynisch-schneidenden Tonfall der Eingangsszene und in den Momenten, in denen sein Existenz-Konstrukt zerbricht. Kosma Ranuer ist der zurückhaltendere, vor allem in den intimen Szenen überzeugende Sänger. Obwohl er in der Vorstellung am 18. Dezember an Krankheitsfolgen litt, war die Tonbildung tadellos, eher schlank als füllig, in den entscheidenden Momenten eindringlich präsent.
Auch Akiho Tsujii, bereits mehrfach in Würzburg hervorgetreten – unter anderem als Zerbinetta –, nimmt mit einer in jedem Moment bewussten Gestaltung für sich ein. Ihre Stimme ist weder die eines Koloratur-Singvögelchen noch die eines echten italienischen soprano lirico-leggiero. Für letzteren fehlt ihr die zuverlässig gestützte dramatische Spannung, für ersteres die leichte Souveränität der Acuti. Dass Tsujii dennoch eine Gilda von Format singt, zeigt sich vor allem im vierten Akt, in dem sie sich im Quartett in einsamer Brillanz auszeichnet. „Caro nome“ und die Duette mit dem Herzog und mit Rigoletto gestaltet sie mit Gespür für die Gefühlslagen der Figur zwischen schwärmerischer Hoffnung, rührender Hilflosigkeit und einer jugendlich wilden Entschlossenheit zum Tode im Finale.
Die dritte Schlüsselrolle des Stücks ist mit Roberto Ortiz höchst problematisch besetzt: Er hat seine Partie hörbar intensiv studiert; er ist sich in jedem Moment seiner Worte bewusst, gestaltet den Herzog als einen Menschen auf der Suche nach der Wahrheit seines Daseins. Was nützt aber der Kopf, wenn die Kehle nicht will? Der Tonbildung des Tenors fehlt die Eleganz des Timbres, die belcanteske Rundung, die Lockerheit und – ganz basal – der „schöne“ Klang. Stattdessen sind die Töne in einem stets quäkigen Timbre gebildet, in der Vokalisierung sticht ein überstark in die maschera gedrücktes „i“ heraus. Dieser störende Ton ist auch nicht zu gestalten: Das Quartett des vierten Aktes zerstiebt so in lauter isolierte Einzelstimmen, zumal auch die Maddalena Katharina von Bülows sich durch mühsame Höhe und substanzloses Zentrum quält und Rigoletto und Gilda vergeblich versuchen, so etwas wie eine Balance zu dem anderen Paar herzustellen.
Nicht allzu viel Vergnügen auch in anderen Rollen: Igor Tsarkov ist ein rauer, kein elegant-geschmeidiger Sparafucile mit wacklig gebildeten Tönen; Mathew Habib ein Borsa, der eher im Musical als in der italienischen Oper eine Heimat hat. Barbara Schöller (Giovanna), Daniel Fiolka (Monterone), David Hieronimi (Marullo) und Taiyu Uchiyama (Graf Ceprano) beweisen zuverlässige Ensemblearbeit. Der Chor des Mainfrankentheaters leistet sich in der Einstudierung von Anton Tremmel keine Blöße. Trotz der Einschränkungen ein sehens- und wegen der musikalischen Formung durch die Dirigenten auch hörenswerter „Rigoletto“.
Werner Häußner