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WÜRZBURG: NIXON IN CHINA von John Adams – Premiere

21.05.2018 | Oper

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WÜRZBURG: NIXON IN CHINA von John Adams – Premiere
am 19.5.2018 (Werner Häußner)

Zwischen den Wänden in dem China-Rot, das die 68er vom Einband der „Mao-Bibel“ noch allzu gut kennen, ist die Arbeiterklasse am Werk: Hämmer schlagen, Spaten stechen in die Erde. China im Jahr 1972. Ruhig schwingende Musik schwenkt um zu minimal patterns in scharfer Artikulation. Fähnchen werden verteilt. Das Licht wandelt sich, rote Raum-Elemente richten sich aus. Und dann schweben drei Aliens vom Himmel, in Astronauten-Raumanzügen, wie wir sie aus den Aufnahmen von den Apollo-Missionen kennen. Richard Nixon, US-Präsident, schickt sich an, den unbekannten Stern China zu erobern.

So beziehungs- und anspielungsreich beginnt Tomo Sugao seine Inszenierung von John Adams‘ Oper „Nixon in China“ am Mainfrankentheater Würzburg. Und er wird im Lauf des mehr als dreistündigen Abends trotz der zwei Pausen die Spannung nicht verlieren. Sugao lässt keine Hänger zu, auch nicht in den ausgedehnten Soloszenen, zieht immer wieder Knoten im losen Handlungsfaden straff, kapituliert auch nicht im undramatisch konzipierten dritten Akt, der nur noch eine Meditation über Gedankenfetzen und Aphorismen ist.

Dramaturgisch eigentlich eine Implosion, manifestiert sich in diesem zerfaserten, rein aus Musik und Bild existierenden Akt die postmoderne Aporie, die verlorene Konsistenz der Weltbilder. Sugao wirft die Figuren zurück auf, wenn man so will, ihre historisch-ideologischen Wurzeln: Tchou En-lai, vorher wie alle Chinesen im adrett-unifomen Mao-Look, individualisiert sich in einem traditionellen Gewand, das den vorher im Text verdammten Konfuzianismus im Bild einholt. Nixon, vorher in seinem aus den zeitgenössischen Fotos bekannten Mantel, aber mit Cowboyhut, wandelt sich zu einer Melange aus Superman und Kaiser Augustus. Kostümbildner Pascal Seibicke hat mit unerschöpflicher, aber stringent am Konzept der Inszenierung ausgerichteten Fantasie einen Wunder-Kosmos aus Kostümen geschaffen.

Mao Tse-tung bleibt sich gleich, aber seine pechschwarzen Haare nehmen das hennaähnliche Rot an, in das alle Figuren getaucht sind. Die wandern fast eine halbe Stunde durch sich wandelnde Räume, schleppen sich gegen das Drehen der Bühne weiter, bis Tchou En-lai die entscheidende Frage stellt, wieviel „von dem, was wir taten, gut war“. Eine perspektivische Frage, der die Antwort fehlt: Gegeben wird sie vielleicht durch die Geschichte, vielleicht erst durch den Jüngsten Tag.

Tomo Sugao setzt auf einen souverän entwickelten Mix aus vertrauten Bildzitaten aus dem Fundus von Dokumentationen, Propagandamedien und symbolisch geladenen Szenerien. Die Fähnchen schwenkenden Massen bei der Ankunft Nixons, die Idylle der aussäenden und schaffenden Arbeiter und Bauern zu Beginn des zweiten Akts gehören dazu. Dann wieder konterkariert Sugao die Verbrüderungsszenen mit Tableaus, die auf die kaum überwindbare Trennung der Lebenswelten verweisen – etwa, wenn eine Barriere, gekrönt von einem Haufen leerer McDonalds-Einwegbecher Chinesen und Amerikaner separiert.

Die Würzburger Inszenierung entzieht sich souverän dem Naturalismus der Uraufführungsproduktion von Peter Sellars in Houston 1987: Der Anspruch von Julia Katharina Berndt, statt der Szenerie die Musik zu bebildern, geht auf. Verschiebbare Flächen-Elemente öffnen oder schließen Räume, bilden Mauern oder Durchgänge, lassen auf der häufig sich drehenden Bühne den unaufhaltsamen Fluss, aber auch die Momente kaum merklich sich verändernder Statik in der Musik von John Adams bildlich erfassbar werden. Der Szene fehlt auch die Ironie nicht, die von Seibickes Kostümen noch unterstrichen wird: Wenn die First Lady Pat Nixon mit einem Fransenkleid auftritt, als käme sie soeben aus „Annie get your gun“, hat das ebenso beziehungsvollen Witz wie die ledrig-bräunlichen Pionier-Kostüme der amerikanischen Delegation.

Vor allem aber lenkt Sugao von Anfang an das Spiel in eine surreale Richtung: Die drei Astronauten, die mit dem Sternenbanner posieren, als stünden sie auf dem Mond, „eingeblendete“ Szenen wie ein Friedhof voller Kreuze, die Auflösung des berühmten Handschlags zwischen Nixon und Tchou in einen angedeuteten Tanz, die zeitweilige, unaufdringliche Verdoppelung der Figuren durch Tänzer brechen eine eindimensionale, erzählende Linie auf. Im zweiten Akt verschmelzen die Akteure der politischen Modelloper „Das rote Frauenbataillon“ mit den Staatsgästen zu einem alptraumhaften Spiel brutaler Gewalt, das Maos Frau Chiang Ch‘ìng mit einer Slave aus einer Schnellfeuerwaffe beendet, bevor sie sich selbst abknallt. Damit spielt die Regie auch auf die Rolle an, die Maos Frau als Mitglied der „Viererbande“ in der Kulturrevolution und nach Maos Tod spielte.

Die Protagonistin des Spiels ist Maos Frau, von Akiho Tsujii virtous gesungen, zeitweilig durch drei Tänzerinnen (Kaori Morito, Camilla Matteucci, Bianca Hopkins) vervielfacht. Sie ist die Gegenspielerin der Amerikaner. Durch sie erwacht Mao, mit gewaltigem Bauch, auf einer Liege aus einer Art Agonie, bevor er im Gespräch mit Nixon von seinen Sekretärinnen sorgsam notierte „Weisheiten“ von sich gibt („Mein Geschäft ist die Philosophie“). Sie tauscht im zweiten Akt eine Cola-Dose gegen eine traditionelle chinesische Teekanne, bevor ihr „rotes Frauenbataillon“ zu hinreißend kitschiger Propagandamusik marschiert und sie das verhasste Produkt amerikanischen Lebensstils zerquetscht. Sie zwingt Mao in einer dramatisch getanzten Pantomime in die Knie, bevor sie ihr Massaker beginnt. Bei ihrem Solo-Tanz im Gewitter gewinnt diese Figur geradezu apokalyptische Züge.

Anders Mao Tse-tung, getanzt von Davit Bassénz, gesungen von Paul McNamara. Er trägt in der frappant das Original nachempfindenden Maske – Wolfgang Weber und sein Team leisten an diesem Abend phantastische Arbeit – die Züge einer Überperson, eines enthobenen Götzen. McNamara gibt ihm schneidende Klänge mit, eine gefährliche Präsenz. Und meistert die stimmlich unangenehme Partie mit gestalterischer Bravour.

Von den anderen Partien hat John Adams die Frau des Präsidenten, Pat Nixon, wohl mit der sangbarsten musikalischen Linie begünstigt. Mit klarem, ausgeglichenem Sopran und schimmernder Gleichmäßigkeit in der Tonbildung deutet Silke Evers den Charakter einer im Grunde gutwilligen, naiven amerikanischen höheren Tochter aus, die beim „Damenprogramm“ weder das Spiel Madame Maos durchschaut, noch mit der schockierenden Manifestation der fremden, revolutionären Kultur fertig wird: Als sie im Doppelbett erwacht, muss sie unter dem Cowboyhut ihres Mannes Chiang Ch’ing erkennen.

Wesentlich stärker gefordert ist das Quartett der mächtigen Männer: Daniel Fiolka muss als Nixon dramatisch und oft in hoher Lage singen. Während ihm die Höhen schwer fallen, kann er in der ausdrucksstarken Deklamation ebenso punkten wie in der Darstellung: der ahnungslose Staatsgast, der drei erschrocken sich zierenden Damen jovial die Hände schüttelt, gerät schnell an die Grenzen seiner geistigen Aufnahmefähigkeit, presst sich im Wirbel der rasch mutierenden Bühnenbauten voll innerem Schmerz die Fäuste an die Schläfen. Bryan Boyce hat als Henry Kissinger eine Rolle im beziehungsreichen Hintergrund, die er kraftvoll ausfüllt; sein tanzendes Pendant Alessandro Giovine enthüllt seine latent gewalttätige Seite. Taiyu Uchiyama ist auf der chinesischen Seite der steife Funktionär, dem – eindrucksvoll auch von Tänzer Juan Bockamp ins Bild gesetzt – die Hände gebunden sind. Barbara Schöller, Marzia Marzo und Hiroe Ito vervollständigen als präzis agierendes Sekretärinnen-Trio das Sängerensemble auf der Bühne.

Das Philharmonische Orchester Würzburg und der glänzende Chor plus Extrachor unter GMD Enrico Calesso tragen die über dreistündige Aufführung, ohne in der Konzentration nachzulassen. Im Vorspiel zieht Calesso John Adams‘ gleichmäßig aufsteigende Achtelgruppen über den langen, liegenden Basstönen fast zu sehr im Legato durch, realisiert aber spannend, wie sich die Regelmäßigkeit allmählich auflöst – in den Chor „Soldiers of Heaven“ mit seinen chromatischen und jetzt mit Bindebögen notierten Ketten hinein.

Aus solchen oft unmerklich fortschreitenden Veränderungen macht Calesso Ereignisse, und in „The people are the heroes now“ gelangt die Musik zu harmonisch simplen Patterns á la Philip Glass, die Calesso mit der nötigen Prägnanz nimmt. Doch Adams‘ Partitur ist weit mehr als „minimal“: Die Strauss-Anklänge und süffigen Wagner-Imitate realisieren die Würzburger Musiker mit Intensität und Lust am üppigen Klang. Eine Leistung, die sich nicht zu verstecken braucht. So wird das Würzburger Wagnis, 30 Jahre nach Philip Glass‘ und Robert Morans „Juniper Tree“ („Der Machandelbaum“) wieder einmal eine amerikanische Oper dieser Stilrichtung auf den Spielplan zu setzen, zum heftig akklamierten Erfolg.

Werner Häußner

 

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