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WÜRZBURG / MUSIKHOCHSCHULE: 5. SINFONIEKONZERT des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS unter GMD ENRICO CALESSO mit der Uraufführung der Zweiten Sinfonie von CHRISTOPH EHRENFELLNER

22.04.2023 | Konzert/Liederabende

WÜRZBURG / MUSIKHOCHSCHULE: 5. SINFONIEKONZERT des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS unter GMD ENRICO CALESSO mit der Uraufführung der Zweiten Sinfonie von CHRISTOPH EHRENFELLNER
21.4. 2023 (Werner Häußner)

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Christoph Ehrenfellner. Copyright: Ehrenfellner

Würzburg ist mit Wien in vielerlei Hinsicht verbunden, historisch etwa durch die prominente Rolle einiger Schönborn-Fürstbischofe in der Habsburger Monarchie. Das Musikleben Würzburgs orientierte sich – auch im 19. Jahrhundert noch – an Wien, und sprachlich heißen etwa Fisolen (grüne Bohnen) im alten Würzburger Dialekt „Fasäerli“, ein Wort, das im übrigen Deutschland kein Mensch versteht. Eine musikalische Reminiszenz an Wien verkörperte das fünfte Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Würzburg unter seinem GMD Enrico Calesso. Der hat ebenfalls Bezüge in die österreichischen Lande: Er hat in Wien bei Uroš Lajovic studiert und den Würdigungspreis der Universität Wien erhalten, war ab 2008 drei Saisonen lang musikalischer Leiter der Oper Klosterneuburg und ist ständiger Gastdirigent in Linz – zuletzt mit einer hoch gelobten „Forza del Destino“.

Diesmal wird der Blick nach Wien gelenkt durch Anton Bruckner. Dessen Vierte Sinfonie, 1881 in Wien uraufgeführt und als bombastisches Chaos heftig kritisiert, ist alles andere als das. Calesso und das Philharmonische Orchester Würzburg machen die Großform beispielhaft hörbar. Trotz widriger Akustik gelingt es, die Staffelung der instrumentalen Blöcke durchsichtig zu halten. Die formale Logik der vier Sätze baut sich schlüssig auf und wird durch die Dramaturgie des Klangs gestützt. Calesso nimmt Bruckners Anweisung „nicht zu schnell“ ernst und gibt dem Blühen der Tremoli, den sonoren Passagen der Hörner, dem dichten Gewebe der Streicherstimmen Zeit, sich zu entfalten. Dass dann zum Beispiel die Flöten etwas behäbig wirken, bleibt ein Detail am Rande.

Im zweiten Satz genießen die Celli ihren markanten Auftritt und überzeugen wieder einmal wie so oft; die Balance zwischen Streichern und Bläsern stimmt und Calesso lässt den Satz zum diskreten Schreiten der Pauke gelassen ausschwingen. Die Dynamik hält er möglichst im Zaum: Während im ersten Satz das erste große Tutti des Orchesters das Fortissimo gefährlich prall ausreizt, sind die Steigerungen im Verlauf der Sinfonie sinnvoll kalkuliert: Für den monumentalen letzten Satz bleibt eine Reserve. Hervorzuheben sind die klangsatten Hörner und das Blech, das diesmal einen strahlend unverkratzten Bruckner-Choralklang in den Raum setzt.

Das Wien-Thema erschöpft sich nicht mit Bruckner: Das Konzert begann mit einer Uraufführung eines Auftragswerks des Mainfrankentheaters, das sich bereits in seinem Titel auf Wien bezieht: „La Petite de Vienne“ nennt der aus Salzburg stammende Komponist Christoph Ehrenfellner seine zweite Sinfonie op. 55 (die erste wurde 2017 in Sondershausen uraufgeführt). Der 1975 geborene Ehrenfellner war zum Beispiel 2021 mit einer Konzert-Fantasie für Klavier und Streicher („Der Wanderer“) mit dem Wiener Kammerorchester im Konzerthaus zu erleben. Seine erste Oper war „Mae Mona“, 2009 am Max Reinhardt Seminar in Wien uraufgeführt; seine neueste ist „Karl und Anna“ nach einem Drama des in Würzburg geborenen Schriftstellers Leonhard Frank. Sie wird nach coronabedingter Verzögerung 2023/24 im neuen Kleinen Haus des Würzburger Theaters uraufgeführt.

Ehrenfellner will sich vom Mainstream der Avantgarde bewusst absetzen. „Das zynisch Gebrochene der Avantgarde bleibt meinem Wesen fremd“, bekennt er in einem Programmheft-Interview. Seine Bezugspunkte sind die Wiener symphonische Tradition und – im Falle seiner neuen, 25minütigen Sinfonie – Mahler und Schönberg, den er mit dem Quartenthema aus der Kammersinfonie op. 9 zitiert. Die „kleine Wienerische“ nimmt ihr Thema ernst, enthält sich aber nicht eines hintersinnigen Humors, der sich auch musikalisch Bahn bricht.

Ehrenfellner will – wie einst Mozart – Liebhaber und Kenner gleichermaßen zufrieden stellen. Er setzt auf eine klassische sinfonische Architektur und will musikalisch erzählen. Motive und Motiventwicklung, nachvollziehbare Harmonik, kontrapunktische Verdichtung und eine Richtung des Erzählens – das sind Stichworte, unter denen auch er selbst seine kompositorische Arbeit beschreibt.

Das Ergebnis ist erwartungsgemäß ganz anders als bei der gängigen Avantgarde, die oft Steigerungsdramaturgie mit klanglicher Raffinesse und Originalitätssucht zusammenbringt. Wer sich auf Ehrenfellners dichtes Gewebe einlässt, wird beim Hören – und wohl viel mehr noch beim Lesen der Partitur – formal Bekanntes entdecken, das aber manchmal mit Schalk, manchmal irritierend querständig instrumental ausgefüllt wird. Stellenweise meint man, so hätte Beethoven geschrieben, hätte er über die Avantgarde-Mittel des 20. Jahrhunderts verfügt.

Dann aber rauschen auch Motive, Erinnerungen und Assoziationen vorbei, die auf das Wiener Erbe verweisen: Die Quarte könnte auch aus Glucks „Iphigenie in Aulis“ stammen, das Triolenmotiv, das Ehrenfellner wienerisch-tänzerisch entwickeln will, gibt Haydn ebenso die Ehre wie meinetwegen Joseph Lanner. In zweiten Satz blüht zaubrisch eine zarte Blume aus „Parsifal“ auf, und bei der Quart im dunklen Blech könnte im nächsten Moment auch der Sturm des „Fliegenden Holländers“ losbrechen – wenn das Detail nicht ganz anders weiterziehen würde. Leise Tremoli im zweiten Satz, ein paar Hornchoraltakte im ersten – schon sind wir für einen Moment bei Bruckner. Und die Steigerungen, Attacken und süßen Violinseligkeiten des letzten Satzes – man hört, dass des Komponisten Instrument die Geige ist – leuchten aus einer Mahler-Sinfonie herüber.

Ob man nun die formale Arbeit durchschaut oder nicht: Das Kaleidoskop der Erinnerungen dreht sich zu immer neuen Klangbildern. Wo der Kenner nachlesen möchte, freut sich der Liebhaber an der Lust des Entdeckens. Die Philharmoniker sind engagiert und mit kreativer Lust bei der Sache, und der Komponist unterhält sein Publikum mit launig erklärenden Worten. Zeitgenössisches zum Erfassen und „Anfassen“: So findet neue Musik den Weg aus dem Ghetto.

Werner Häußner

 

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