WÜRZBURG / Mozartfest: LIEDERABEND WALTRAUD MEIER zum 40-jährigen Bühnenjubiläum
am 2.7. 2016 (Werner Häußner)
Der 4. Mai 1976 hat im persönlichen Kalender von Waltraud Meier einen besonderen Platz: Zum ersten Mal stand sie als Solistin auf der Bühne des Stadttheaters ihrer Heimat Würzburg, sang Lola in Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“. Vierzig Jahre später kehrt sie nun auf die Bretter zurück, auf denen sie einst als 19-Jährige debütiert hatte – mit einem Liedprogramm, Mahler und Wagner gewidmet. Ein denkwürdiger Abend, organisiert vom Würzburger Mozartfest, dessen Intendantin Evelyn Meining dafür gesorgt hatte, dass die Sängerin wieder einmal in ihrer Heimat zu erleben war. Den eigentlichen Jahrestag hat Waltraud Meier übrigens an der Met gefeiert – als Klytämnestra in Richard Strauss‘ „Elektra“ in einer Inszenierung des von ihr vor allen anderen Regisseuren hochgeschätzten Patrice Chéreau.
Waltraud Meier hat ihre Wurzeln weder vergessen noch je verleugnet: Ihr „rollendes“ fränkisches „R“ war Interviewern und Essayisten öfter eine Erwähnung wert – als gehöre dieser Konsonant zur couleur locale und nicht zum Rüstzeug jedes Sängers, der korrektes Italienisch und Deutsch artikulieren will. Auch im Künstlergespräch auf der Bühne nach dem Konzert macht Waltraud Meier keinen Hehl aus ihrer Liebe zu Würzburg. „Hier bin ich viel mehr aufgeregt als anderswo bei einem größeren Ereignis“, gesteht sie dem Überraschungsgast Frank Markus Barwasser alias Erwin Pelzig. „Des is scho a besondere G’schicht“. Der Kabarettist sorgt für die Lacher, um ernste philosophische Gedanken bemüht sich vorher Sir Peter Jonas, früherer Intendant der Bayerischen Staatsoper München. Ihm erzählt Waltraud Meier, was sich aus ihrer Sicht in vierzig Jahren verändert hat: „Heute geht es oft um Effekte und Show statt um tiefe Emotionen. Da geht man raus auf die Bühne als Klytämnestra, und statt ‚toi toi toi‘ wird einem ‚Viel Spaß!‘ gewünscht. Man stelle sich das vor: Viel Spaß in ‚Elektra‘! Das zeigt: Die Begriffe stimmen nicht mehr. Erfüllung auf der Bühne ist doch mehr als ein dummer Spaß.“
Mit dem „Spaß“ auf der Bühne hatte es Waltraud Meier – ganz im Gegensatz zur humorvollen Fränkin als Privatperson – nie so sehr: Die Auftritte in komischen Opern dürften sich an zwei Händen abzählen lassen und gehören in die Frühphase ihrer Karriere; eine Ausnahme waren ihre köstlichen Auftritte in Loriots ironisch-hintersinniger Inszenierung von Friedrich von Flotows „Martha“ in Stuttgart. Auch in ihrem Würzburger Liederabend gab es keinen „Spaß“, und das Humorvolle, das man in Gustav Mahlers „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ entdeckt, hat einen bitteren, galligen Beigeschmack.
Ernste Themen also: Mahlers „Kindertotenlieder“ auf Gedichte Friedrich Rückerts – ebenfalls ein Franke –, Wagners „Wesendonck-Lieder“, drei Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ und die fünf Rückert-Lieder Mahlers von 1901/02. Jede einzelne dieser kostbaren musikalischen Miniaturen wäre eine eigene Analyse wert: Was Waltraud Meiers Mezzosopran an tiefem Samt und leuchtender Höhe als Tribut an die Zeit gezahlt hat, erhält sie im Reichtum von Facetten und in subtil gestaltender Ausdruckstiefe wieder zurück. Wenn im ersten der „Kindertotenlieder“ die helle Sonne für alle aufgeht, erreicht ihr Licht das trauernde Ich nicht: Das Unglück trifft die Seele allein – und die Sängerin nimmt für diesen Moment die Stimme ins Verschattete zurück. Sicher gibt es die Hoffnung des „ew’gen Lichts“, das sie in der Stimme erglühen lässt. Aber der Bogen ist fragil, die Hoffnung gründet nicht fest. Das „Freudenlicht der Welt“ spendet in solchem Moment keinen Trost: Die „Welt“ trägt den Anhauch der Verzweiflung.
Waltraud Meier kann solche inneren Entwicklungen, solch emotionale Ergriffenheit, solches Wechsellicht auf seelische Zustände mit Wort und Stimme ausdrücken. Ihre Sprachfähigkeit war seit jeher enorm, ließ ihre Bayreuther Kundry von 33 Jahren zu einem hochexpressiven Ereignis werden. Heute scheint das Wort-Ton-Verhältnis noch durchdrungener, noch inniger durchdacht zu sein. „Nun seh‘ ich wohl, warum so dunkle Flammen“ hat eine innere Wende, wenn sich der Strahl des Blicks „zur Heimkehr schicke“ – und Meier gibt diesem Moment eine brennende Intensität, die mit „Dorthin, wo wannen alle Strahlen stammen“ in eine andere Farbe bricht: verhaltener, fahler, in einem gelöst-jenseitigen Ton. Es fröstelt einen, wenn sie mit den Worten des Rückert-Gedichts sagt, dass die kühlen Sterne in künft’gen Nächten der einzige Widerhall dieser geliebten, lebendigen Augen sein werden.
Wenn Mahler den „Freudenschein“ im dritten Totenlied („Wenn dein Mütterlein“) in abgründige Tiefen führt, wird das bei Waltraud Meier zu einem gespenstischen Schlusspunkt einer unheimlichen Illusion. Und wenn das lyrische Ich sich in der Vorstellung wiegt, die Kinder seien nur ausgegangen und würden bald wieder nach Haus gelangen, rückt Meier diese Sätze nicht nur sprachlich in das Zwischenreich eines kränkelnden Wunschbilds, sondern gibt ihnen mit hellem Timbre ein weich-fragiles Mezzopiano, das sich im folgenden „Jawohl, sie sind nur ausgegangen“ zur trügerischen Zuversicht verfestigt. Mit derartigen Subtilitäten gestalten – das ist das Privileg singender Menschen, die Höhen und Tiefen eines Lebens erfahren und nicht aus Notenstudium oder in Meisterkursen abgelesen haben.
Und Wagner? Die Lieder auf Texte Mathilde Wesendoncks sind Waltraud Meier seit langem sehr nahe; sie hat sie immer und immer wieder durchdrungen. Im ersten klammert der Begriff des Engels den musikalisch-rhetorischen Bogen klanglich – am Anfang schwärmerisch leuchtend, am Ende tröstlich in mildem Ton. „Erlösung“ steht im Zentrum; darauf liegt der Akzent, hervorgehoben durch behutsame Attacke. Die Unruhe in „Stehe still!“ ist drängend, fast hastig, „genug des Werdens“ kommt einem Aufschrei nahe. Und in der wunschlosen Versunkenheit der dritten Strophe findet Meier zum sanft leuchtenden Ton der Isolde.
In Mahlers „Rheinlegendchen“ und in der „Fischpredigt“ erleben wir Waltraud Meier, das „Theatertier“. Sie verwandelt die Lieder mit den Mitteln von Stimme und Sprache in beredte Szenerien, mit der ganzen Lust am darstellend-rhetorischen Singen, aber ohne den Hang zu übertriebener oder gar musikalisch nicht abgesicherter Artikulation. „Wo die schönen Trompeten blasen“ wird so zu einem Meisterstück zwielichtig-doppelbödigen Erzählens; in diesem Lied macht auch der sonst eher zurückhaltende Pianist Joseph Breinl deutlich, dass es hier nicht um ein Scherzo, um eine unbeschwerte Liebesszene geht. In den fünf Rückert-Liedern steuert Waltraud Meier etwa die Ergebung in den Willen des „Herrn über Tod und Leben“ („Um Mitternacht“) mit nuancenreicher Steigerung an und hat für jede Strophe von „Liebst du um Schönheit“ eine eigene, charakterstarke Farbe.
Nach all den Jahren großer Opernpartien will sich Waltraud Meier nun intensiver dem Liedgesang widmen; der Würzburger Auftakt verspricht für diesen neuen Abschnitt ihrer Karriere erfüllende Jahre. Man wird, wie sie im Interview im Programmheft sagte, von ihr „Herzensangelegenheiten“ hören, bei denen sie musikalisch und spirituell in die Tiefe loten wird. Dass sie dem Theater daneben noch etwas treu bleibt, verspricht nicht nur die Rückkehr nach Bayreuth 2018 als Ortrud, sondern auch eine Szene wie die der Zugabe: Als Reverenz an das Mozartfest kleidet die große Tragödin die Miniatur „Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte“ (KV 520) in den ironischen Ton wohlgesetzt affektierter Dramatik – und beweist damit, dass ein intelligenter „Spaß“ dann doch ihrem Bühnenwesen nicht fremd ist.
Werner Häußner