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WÜRZBURG/ Mainfrankentheater: WOZZECK zum Abschied von GMD Enrico Calesso

14.02.2025 | Oper international

WÜRZBURG: WOZZECK zum Abschied von GMD ENRICO CALESSO
12.2.2025 (Werner Häußner)

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Wieder einmal „Wozzeck“. Zuletzt 2013 gab es in Würzburg Alban Bergs Chefstück in einer durch und durch stimmigen, vielschichtigen Inszenierung des heutigen Linzer Intendanten Hermann Schneider. Jetzt, 100 Jahre nach der Uraufführung, versucht sich Sigrid Herzog an der niederschmetternden Geschichte des einfachen Soldaten, dessen Leiden an unerträglichen gesellschaftlichen und psychischen Zuständen zu einem Mord führt. Wie vor zwölf Jahren steht der scheidende GMD Enrico Calesso am Pult des merklich weiterentwickelten Philharmonischen Orchesters Würzburg.

Die Musik überzeugt, die Szene nicht. Das liegt nicht so sehr an der Bühne von Harald Thor, der in der Ersatzspielstätte „Blauen Halle“ versucht, aus nichts etwas zu machen. Aber das Dauerprovisorium für das bis mindestens 2029 geschlossene Große Haus des Mainfrankentheaters lässt auch einer an ärmliche Verhältnisse gewöhnten Fantasie nur wenig Spielraum. Ein leuchtend umrahmter, erhöhter Kasten im Zentrum als Refugium für Marie und ihr Kind, eine fahrbare Treppe, ein Steg mit einer Art Kanzel, wechselnde Lichtfarben (Stefan Bolliger), die zwischen zitathaftem 19. Jahrhundert und zeitloser Ärmlichkeit schwebenden Kostüme Tanja Hofmanns – das war’s.

Jetzt wäre es an Sigrid Herzog gelegen, mit einer straff pointierten Regie die kargen szenischen Voraussetzungen zu Bedeutungsräumen zu erweitern. Doch der Versuch blieb im Unentschieden hängen, auch wenn deutlich ist, dass Herzog über das bloße Sozialdrama hinaus strebt. Sie liest das Stück aus der Perspektive Wozzecks, in dessen Wahrnehmung die Figuren ohne Namen – der Doktor, der Hauptmann, der Tambourmajor, die Handwerksburschen – überspitzte, groteske Züge annehmen: Mathew Habib als fettleibiger Hauptmann plärrt seine pseudophilosophischen, moralingetränkten Belehrungen in die Welt; Alexander Kiechle gibt als Doktor eine bestürzende Studie eines enthumanisierten, auf seine Ideen fixierten Wissenschaftlers.

Der Tambourmajor (Brad Cooper, ein trefflicher Charaktertenor) wird von zwei Soldaten auf einer Plattform hereingezogen, als käme er vom Karnevalsumzug. Dass sich Marie in den verdorbenen Zauber von blauem Uniformtuch und goldenen Knöpfen und Epauletten verguckt, wird deutlich. Nicht aber dass dahinter eine Sehnsucht steht, wenigstens ein Mal als Mensch erkannt und anerkannt zu werden. Figuren am Rande bleiben die souverän gestaltende Barbara Schöller als tief desillusionierte Margret und – mit schönen Tönen – Julian Habermann als Andres.

Ein Kessel unter Druck

Kosma Ranuer Kroon ist Wozzeck, mit kahlem Schädel und einer Uniform, die auch einem Sträfling dienen könnte. Wortkarg, in sich gekehrt, ein menschlicher Kessel, in dem die Wut kocht und immer höheren Druck erzeugt. Ranuer singt rau, manchmal an der Grenze seiner Technik, aber stets expressiv bei sich selbst. Er wägt die Worte, hat den Mut zur hässlichen Farbe, zum fahlen Ton in den bizarren Visionen seiner gequälten Seele. Anders als Georg Büchner es wollte, wird Wozzecks psychischer Zustand zu einem entscheidenden Faktor seines Dramas.

Isolation und Interaktion: Für diese beiden Pole von Wozzecks Existenz findet die Regie Herzogs keine starken Szenen.

Vor allem die Beziehung zu Marie bleibt unscharf: Das liegt auch an Kristin E. Mantyla. Ihr wunderschön timbrierter Sopran, ihre Lust an der Linie und am kantenlos modellierten Ton lässt sie merkwürdig unberührt erscheinen und die Regie sorgt nicht dafür, ihr Spiel aus Vordergründigem zu lösen. Wenn sie mit dem Tambourmajor loszieht, wirkt sie in ihrem roten Kleid und ihrem ungebrochenen Umgarnungslächeln wie eine Vorstadt-Carmen. Dem zunehmend spannungsgeladenen Verhältnis zu Wozzeck fehlt die konfliktive Kraft; ihr Selbstbehauptungswille hat keine tragische Größe. Auch die Rolle des Kindes (Celian Gronert), seine fast permanente Präsenz, bleibt unscharf. Die unheimliche Wucht der Szene am Teich im dritten Akt schrumpft zu einem milden Grusical.

Trost der Musik

Bleibt der Trost der Musik, den das Philharmonische Orchester reichlich spendet. Enrico Calesso, seit 2011 Generalmusikdirektor, hat seinen Vertrag nicht verlängert und konzentriert sich ab Ende der Spielzeit auf seinen 2023 angetretenen Posten als Musikdirektor des Teatro Verdi in Triest und seine Tätigkeit als ständiger Gastdirigent des Landestheaters Linz, wo er im Mai Gioachino Rossinis „Guillaume Tell“ leiten wird.

Calesso hält in seinem letzten Dirigat im Musiktheater das Klangbild des Orchesters transparent genug, um Alban Bergs formale Meisterschaft abzubilden, scheut aber auch nicht die Wucht der dramatischen Szenen. Noch ausgeglichener als bei seinem „Wozzeck“-Dirigat 2013 schafft es Calesso, in vollendeter Eleganz und Dichte die Dialektik von formaler Distanz und dramatischer Wirksamkeit auszuspielen.

Die Würzburger lassen in allen Orchestergruppen aufhorchen: Die Balance der Instrumente und die solistischen Leistungen sind akkurat gearbeitet, der innere Drive der Musik stimmt ebenso wie ihre Gestik. Calesso kommt es weniger auf kantige Härte an: Manche Stellen klingen geradezu impressionistisch, in anderen singen die Geigen wie bei Puccini. Ein „Wozzeck“, der musikalisch die Klischees des „Modernen“ meidet.

Werner Häußner

 

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