WÜRZBURG / LA TRAVIATA – Premiere
27.9. 2025 (Werner Häußner)

Sophie Gordeladze und Juraj Hollý in Verdis „La Traviata“ in Würzburg. Foto: Nik Schoelzel
Ganz Paris dreht durch. Es ist Karneval. Da klingeln die fröhlichen Schellen des Tamburins selbst in ein düsteres Sterbezimmer hinein. Im letzten Akt seiner „Traviata“ hat Giuseppe Verdi den Tanz der Narren auf der Straße in den Abschied vom Leben hineinbrechen lassen, als Kontrast, Mahnung und Reminiszenz früherer Ausgelassenheit. Eine Fußnote im Sterben der Violetta Valéry.
Ganz anders Olivier Tambosi in seiner gemeinsam mit der Sängerin und Regisseurin Christiane Boesiger erarbeiteten Inszenierung für das Mainfranken Theater Würzburg: Da wird das kurze Ständchen der fröhlich Feiernden zum Schlüssel für das Finale. Die grellen Masken und bunten Kostüme des engagiert agierenden Opernchors begleiten die letzten Minuten Violettas. Clowns und Narren deuten entgeistert oder belustigt nach oben, als sie sich aus dem Bett erhebt und vermeintlich über ihre Krankheit triumphiert. Zum Leben wiedergeboren? Eine Illusion. Tambosi erinnert szenisch an die letzten Sätze, die Verdi in „Falstaff“ vertont hat: Alle sind wir Gefoppte, einer macht den anderen zum Narren. Der Glaube im Herzen? Geschwätz. Und so drückt Doktor Grenvil (Gabriel Fortunas) der „Traviata“ eine rote Clownsnase ins Gesicht.
Dass es von Anfang an keine Chance für die Halbweltdame gibt, macht schon das Vorspiel klar: Violetta sitzt auf einem Bett, zieht sich die Infusion vom Arm ab, kleidet sich langsam in Glitzerschwarz und Silberfuchs. Noch hat sie die Kraft, das Krankenlager aus ihrem Lebenskreis zu drängen – am Ende des Zweiten Akts sollte ihr das nicht mehr gelingen. Tambosi und Boesiger liefern ausreichend Indizien für einen über sozialen Realismus hinausgehenden Ansatz: Die Chorszenen richten den Blick nach innen, auf den Todes- oder besser Lebenskampf einer gesellschaftlich unheilbar versehrten Frau.
In der ersten Chorstretta in düsterem Licht singen keine Festgäste, sondern Gespenster, dass es nun Zeit sei, zu gehen. Die Stierkämpfer auf dem Fest bei Flora verkörpern die pure Aggression einer übergriffigen Männlichkeit. Auch das Finale, bei dem die Solisten zwischen einer unbeteiligten Menschenmenge stehen, unterstreicht, dass es um Grundsätzlicheres geht als um ein naturalistisches „Zeitstück“: Die Liebe ist auf der Würzburger Bühne der von Vater Germont erwähnte „trügerische Traum“. Der mythische Zusammenhang von Liebe, Krankheit und Tod ist zugespitzt auf den unaufhaltsamen Weg zum Tode; der Durchbruch aller irdischen Bedingtheiten in die endgültige Freiheit eines neuen Daseins findet nicht statt.
Tambosi und Boesiger arbeiten ihren Ansatz konsequent durch, verzichten aber merkwürdigerweise nicht auf ein paar peinliche „Traviata“-Klischees. Davon betroffen ist der Frauenchor, der mit gereckten Champagnerflaschen herumtänzeln darf. Auch die Luftschlangen-Symbolik kommt schnell an ihre Grenzen. Feinripp-Unterhemd und gelber Unterrock sind ebenso nicht gerade geniale Einfälle Lena Weikhards für die entspannte Atmosphäre auf dem Land. Wett gemacht werden solche flachen Momente auf der begrenzten Bühne mit Raum-Segmenten auf einer Drehscheibe durch beziehungsreich-poetische Bilder. Tod und Liebe verbinden sich auf innigste Weise, wenn Violetta vor einer weißen, wie ein Sarkophag wirkenden Badewanne in den Armen Alfredos liegt und ein kunstvolles Blumengesteck im Hintergrund an die weißen Blüten der Kamelie, aber auch an ein Beerdigungsbouquet erinnert.
Mit Sophie Gordeladze hat das Mainfranken Theater eine kompetente Gestalterin der Titelrolle gewonnen, für die man, einem zutreffenden Sänger-Bonmot zufolge, eigentlich drei Stimmen braucht. Gordeladze hat die Partie bereits bei ihrem Westeuropa-Debüt in Gars am Kamp und später u.a. am Grand Théâtre in Genf gesungen. Von den „drei Stimmen“ liegen ihr die lyrische und die dramatische Richtung am besten: „Dite alla giovine“ mit bebender Delikatesse, der herrliche melodische Bogen von „Perché venni … Pietá di me…“ in flutend-erfülltem Ton. „Addio del passato“ dagegen scheint Sophie Gordeladze zu sehr in die Blässe des nahenden Todes zu rücken – da bleibt das dynamische Drängen zu zaghaft, glüht das Bitten in „sorridi al desío“ zu matt. Aber das saubere Timbre der Sängerin aus Georgien, ihre versierte Technik und ihr einnehmendes Spielen hinterlassen einen sympathischen Eindruck.
Zumindest in Sachen Sympathiewerte kann ihr Partner Juraj Hollý mithalten: Der Tenor aus Mannheim, der in Bratislava studiert, beim Hans-Gabor-Belvedere-Gesangswettbewerb in Wien 2010 einen Spezialpreis gemacht und an der Wiener Kammeroper debütiert hat, präsentiert sich als differenziert singender Alfredo. Er setzt nicht auf Kraft und großen Ton, sondern auf fein schattierte Nuancen, muss auch in der Stretta seiner sensibel gestalteten Arie „De‘ miei bollenti spiriti“ nicht forcieren. Das Duett im letzten Akt, in dem er noch einmal seinen Hang zur Weltflucht ausdrückt, singt Hollý im Kostüm eines Bajazzo in wehmütig lyrischem Ton. Weniger überzeugend wirkt sein Alfredo in der szenischen Aktion: Der schüchterne junge Mann im ersten Akt bleibt stocksteif; der erst verzückte, dann gekränkte Liebhaber im zweiten beschränkt sich auf den Vortrag geschmackvoller Töne. Die immer wieder kehlige Tonbildung verhindert außerdem, dass Hollýs Tenor präsent in den Raum ausstrahlen kann.
Mit Leo Hyunho Kim als Giorgio Germont hat Würzburg einen vorzüglichen Bariton. Gerundet und balsamisch singt er sein „Di Provenza il mar …“. Doch wenn es auf Charakterisierung ankommt, bleibt sein Ton neutral ästhetisch – so im Duett mit Violetta und bei der späten Einsicht im letzten Akt. Germont bleibt ein grauer, allzu statischer, unbeteiligter bürgerlicher Patriarch, der auch angesichts des Sterbens der Traviata keine wandelnde Reue spüren lässt. Barbara Schöller zeigt als genervt-besorgte Annina, wie aus wenigen Sätzen ein Rollenporträt entstehen kann. Daniel Fiolka als Douphol und Vero Miller als Flora, wendig wie eine glitzernde Schlange, verstehen es, szenische Akzente zu setzen.
Die Würzburger Spielzeit-Eröffnungspremiere in der Oper war gleichzeitig der erste Abend des neuen GMD Mark Rohde. Er bestätigt den Eindruck, den er bei früheren Dirigaten in Hannover und seiner letzten Station Schwerin hinterlassen hat. Sein Stil ist klar, seine Umsicht zeigt sich in hilfreichen Zeichen an heiklen Stellen. Das Philharmonische Orchester führt er zu homogenem Klang bei flüssigen, nicht überzogenen Tempi. Rohde scheint noch auf Nummer Sicher zu gehen: Das untergründige Drängen der rhythmischen Figuren im Kartenspiel Alfredos mit Douphol, sinnlich ausgebreitete Streicherphrasen oder zupackende Akzente sind nicht zu hören – da fehlt es am Hauch von Wehmut, an passionierter Glut. Die Blechbläserakzente und -attacken erklingen zu massiv: Mit der Akustik des Dauerprovisoriums „Blaue Halle“ muss sich Rohde noch anfreunden. Bis zur nächsten Herausforderung, Beethovens „Fidelio“ am 7. März 2026, wird ihm das zweifellos gelungen sein.
Werner Häußner

