„Elektra“ von Richard Strauss am 15.10.2023 im Mainfrankentheater Würzburg – Außenspielstätte Blaue Halle/WÜRZBURG
Mit enormer Wucht
Ensemble. Foto: Nik Schölzel
In der subtilen Regie von Nina Russi gewinnt die Oper „Elektra“ von Richard Strauss mit dem Text von Hugo von Hofmannsthal neue Intensität. Auch das Bühnenbild und die Kostüme von Julia Katharina Berndt fangen den Sog der Emotionen in überzeugender Weise ein. Weiß, Schwarz und Rot sind hier die dominierenden Farben. Man sieht eine Wand, die immer wieder hin- und hergefahren wird. Die Bühne wird zum Niemandsland und zur Kampfarena. Die Farben, der Steg, das Oben und Unten und der zerstörte Kronleuchter schaffen eine unheimliche Aura. Die alte Herrscherzeit unter Agamemnon scheint so wieder lebendig zu werden, nichts ist nebensächlich. Agamemnon, Sieger im Kampf um Troja, ist bei seiner Rückkehr nach Mykene von seiner Frau Klytämnestra und deren Liebhaber Aegisth erschlagen worden. Elektra und Chrysothemis, die Töchter, leben am Hof, der jüngere Sohn Orest wächst in der Fremde auf. Elektra sinnt auf Rache, sie hält als Einzige die Erinnerung an den toten Vater lebendig, zeigt offen ihren Hass gegen die Schuldigen und wird daher wie eine Magd gehalten. In Nina Russis Inszenierung ist eine starke räumliche Verbindung zum Publikum wichtig.
Es kommt zu einer Auflösung der Grenzen zum Orchester, das teilweise auch auf der Bühne platziert ist. Ein räumlicher und bildlicher Schwerpunkt begrenzt das Niemandsland. Dies kommt auch der ergreifenden Erkennungsszene zwischen Elektra und ihrem Bruder Orest zugute, die sich gemeinsam zum Mord an ihrer Mutter Klytämnestra entschließen. Die voherige Szene zwischen Elektra und Klytämnestra ist hier an dramatischer Wucht kaum zu überbieten. Dabei wird der Königin von den Hofdamen immer wieder in fast gespenstischer Weise zugefächert. Einzelne Personen werden von Elektra zudem mit einer Lichtkamera beleuchtet. Nach dem weiteren Mord an Klytämnestras Geliebtem Aegisth steigert sich Elektra bei dieser packenden Inszenierung in eine atemlose Wut hinein, die ihren mänadischen Schlusstanz prägt. Sie scheucht das Hofpersonal gnadenlos auf, während sie das Rondell hin- und herdreht. Am Ende dieses „Triumphtanzes“ bricht sie jedoch nicht tot zusammen, sondern starrt ins Leere. Alles endet dabei in einer Endzeitstimmung.
Es ist also nicht klar, ob Elektra bleibt, das System verlässt oder daran zerbricht. Obwohl manche Szene noch detaillierter in der Personenführung sein könnte, gelingt es Nina Russi insgesamt ausgezeichnet, die ungeheure explosive Spannung dieses Werkes herauszuarbeiten und auch das übermächtige Gefühl des Triumphes und der Rache zu beschwören. Denn Elektra bricht hier ja nicht tot zusammen, sondern lebt offensichtlich weiter. Und die Opfer werden zu Tätern.
Elena Batoukova-Kerl (Elektra), Sanja Anastasia (Klytämnestra). Foto: Nik Schölzel
Auch musikalisch hat diese Produktion viel zu bieten. Elena Batoukova-Kerl ist eine Elektra von gewaltiger stimmlicher Kraft und einem enormen Ausdrucksvolumen. Das Agamemnon-Thema und die leidenschaftliche melodische Bewegung von Elektras Kindesliebe gewinnen bei ihr eine großartige Präzision. Als ihre Schwester Chrysothemis überzeugt auch Ilia Papandreou mit weit ausschwingenden Kantilenen und packender schauspielerischer Emphase. Sanja Anastasia agiert als Klytämnestra ebenfalls mit robusten gesanglichen Einsätzen, die sich dynamisch in eindringlicher Weise steigern. In weiteren Rollen fesseln Kosma Ranuer Kroon als Orest mit markantem Bariton sowie Brad Cooper als Aegisth, der seinen Häschern mit Panikattacken zum Opfer fällt. Ferner überzeugen Natalia Boldyrieva als Vertraute und Aufseherin, Milena Arsovska als Schleppträgerin, Mathew Habib als junger Diener sowie Gustavo Müller als alter Diener. Barbara Schöller (erste Magd), Veronica Brandhofer (zweite Magd), Hiroe Ito (dritte Magd), Milena Arsovska (vierte Magd) sowie Minkyung Kim (fünfte Magd) komplettieren dieses vor allem auch schauspielerisch hervorragende Ensemble.
Das Philharmonische Orchester Würzburg und der Opernchor des Mainfranken Theaters Würzburg (Einstudierung: Sören Eckhoff) werden von dem ungarischen Dirigenten Gabor Hontvari mit elektrisierender Intensität geleitet. Vor allem die motivische Kleinarbeit und alle Bereiche der Polytonalität werden so minuziös ausgeleuchtet. Und die differenzierten rhythmischen Elemente stechen immer wieder grell und heftig hervor. Auch die Anklänge an den „Rosenkavalier“ besitzen eine überwältigende Leuchtkraft. Der dissonante „Hass“-Akkord zu Beginn und die äusserste Grenze der Harmonik bei der Begegnung zwischen Mutter und Tochter hinterlassen bei dieser aufwühlenden Aufführung einen tiefen Eindruck. Und die ungeheure Spannung bei Elektras Schrei „Orest“ löst sich in einen überwältigenden Wohlklang. So ist das Geschehen explosiv bis zum Schluss. Ovationen und Jubel vor allem für Elena Batoukova-Kerl als Elektra, aber auch für das gesame Team.
Alexander Walther