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WÜRZBURG: LES HUGUENOTS – Premiere

03.10.2016 | Oper

WÜRZBURG: LES HUGUENOTS – Premiere am 2.10.2016 (Werner Häußner)

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Copyright: Theater Würzburg

Es scheint geschafft: Einer der einflussreichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, Giacomo Meyerbeer, kehrt auf die Bühne zurück. Und das nicht nur wie bisher mit der einen oder anderen gut gemeinten Ausgrabung oder Pflichtübung zu diversen Jubiläen, sondern in einer Reihe ambitionierter Inszenierungen an verschiedenen Theatern. Das Mainfrankentheater Würzburg, nicht gerade im Fokus des Feuilletons trotz einer Reihe von ehrgeizigen und gelungenen Projekten abseits des Mainstreams, rückt in Sachen Meyerbeer dabei an eine prominente Position: „L’Africaine“ 2011 war eine Pioniertat noch vor der gerühmten, szenisch längst nicht so gelungenen Chemnitzer Aufführung. Jetzt spannt die Würzburger Bühne alle Kräfte an und bringt als erste Opernpremiere der neuen Intendanz von Markus Trabusch Meyerbeers „Les Huguenots“ – sechs Wochen vor der Premiere in Berlin mit Juan Diego Flórez als Raoul, in einer der wohl anspruchsvollsten Tenorpartien des gesamten Repertoires.

Eine gewagte, aber nachprüfbare Behauptung: Der Würzburger Raoul, Uwe Stickert, wird sich mit Flórez messen können. Der junge Tenor hat Meyerbeers Angstpartie bereits in Nürnberg bravourös gesungen, hat dort und in Weimar auch als Arnold in Rossinis „Guillaume Tell“ brilliert, ist aber – kaum verständlich, doch für das Würzburger Publikum und vielleicht für ihn auch zum Glück – noch nicht an den Bühnen angekommen, die gerne von sich behaupten, bei ihnen spiele die Musik. Was da weitab von der breiten Straße der Stars zu hören ist, beglückt als Gesangskunst vom Feinsten.

Eine helle, zu schwereloser Lyrik wie zu heldisch-kraftvollen Tönen fähige Stimme, flexibel, farbfreudig, mit leicht ansprechender Höhe und fettfreier Mittellage. Die gefürchteten Hochtöne einwandfrei gestützt, bruchlos in Linien eingebunden, verfärbungsfrei und ohne Druck gebildet. Dazu kommt, dass der Mann gestalten kann. Wenn er in seiner Romance im ersten Akt („Plus blanche que la blanche hermine“) mit „Ange ou mortelle! Qu’elle était belle!“ den unverhofften Anblick einer wunderschönen Frau preist – in die er sich auf der Stelle verliebt hat –, schwebt die Stimme mit federleichter Süße hinüber zum „toujours, toujours“. Im fünften Akt zeigt Stickert aber dann auch, dass ihm die Klänge der Wut, des Schmerzes und der verzückten Begeisterung nicht fremd sind. Den Tenor, der zurzeit Raoul so vollendet singen kann, muss man noch finden.

Für Würzburg spricht, dass es in anderen, nicht gerade leichten Partien, ebenfalls höchst erfreuliche Solisten zu hören gibt. Das betrifft nicht nur Claudia Sorokina, eine mit Meyerbeer erfahrene Sängerin. Sie war die Isabella in „Robert le Diable“ in Erfurt und die Sélika in „Vasco da Gama“ (bisher „L’Africaine“) in Chemnitz. In Würzburg gibt sie der Marguerite de Valois die nötige Brillanz, das kapriziöse Koloraturenwerk, aber auch – selbst wenn die Bildung der Töne nicht ohne Anspannung möglich ist – den dramatischen Impetus.

Doch wir hören auch aus dem Würzburger Ensemble konkurrenzfähige Leistungen: Karen Leiber etwa macht als Valentine aus ihrer Szene „Je suis seule … De mon amour“ zu Beginn des vierten Akts ein differenziert gestaltetes Seelenbild einer Frau, zerrieben zwischen ihrer unauslöschlichen Liebe zu Raoul, ihrer erzwungenen Ehe und dem inneren Zwang, der Sache ihrer Partei – der Katholiken im Streit mit den Hugenotten – Genüge zu tun. Silke Evers veredelt als Urbain einen der „Schlager“ der Oper, „Nobles Seigneurs“, mit einer beglückenden Demonstration ihres leicht geführten, leuchtenden Soprans. Bis hinein in die kleinen Rollen kann das Ensemble für sich einnehmen: Anke Hájková Endres und Anja Gutgesell (Ehrendamen) oder Hiroe Ito und Eva-Maria Wurlitzer (Katholische Mädchen).

Unter den männlichen Hauptpartien ist Stimmglanz weniger verbreitet, weil die Kontrolle einer ebenmäßigen, eleganten Emission einem eher veristisch gedachten Ausdrucksgebaren geopfert wird. Das passt zum Charakter de Fanatikers Saint Bris, dem Bryan Boyce mit kraftvollem, rauem Bariton die skrupellose Bereitschaft zu blutiger Gewalt, weniger aber die verschlagene Seite des abgebrühten Politikers abgewinnt. Daniel Fiolka singt zurückhaltender und entspricht so dem Charakter des auf Ausgleich und Deeskalation bedachten, am Fanatismus der Katholiken um St. Bris scheiternden Grafen Nevers. Dass Tomasz Raff sich in der Schlüsselrolle des Marcel nicht profilieren kann, liegt zu einem Gutteil an der Regie, die weder den fanatischen Calvinisten noch seine innere, zärtlich-menschliche Seite ausreichend ausarbeitet. Der junge Sänger, der in dieser Spielzeit aus Breslau an den Main gekommen ist, bringt auch nicht die Erfahrung eines versierten Gestalters mit, um den Charakter auszuloten; stimmlich neigt er immer wieder zu rauen Tönen, seine Tiefe ist präsent, aber nicht sämig-klangvoll.

Das Philharmonische Orchester Würzburg steigt unter seinem Niveau ein. Im Vorspiel lassen sich verrutschte Töne und unsaubere Geigen noch mit der Nervosität angesichts einer unbekannten, anspruchsvollen Partitur erklären. Aber es dauerte lange, bis sich Bühne und Graben verständigt haben, bis die Blechbläser ihren Ton gesammelt, bis die einzelnen Gruppen ihren Bezug zueinander gefunden haben.

An Enrico Calesso dürfte es nicht gelegen haben. Der Generalmusikdirektor hat, das war im Lauf des Abends überzeugend zu hören, mit seinem Klangkörper hart gearbeitet: Innere Bezüge, expressive Details, Tempi und Puls der Musik stimmen. Flexible Metren, atmende Linien, reaktionsschnelle Dynamik und kaum grob schmetternde Tutti sprechen für die Würzburger Musiker und ihren Chef. Manchmal ist eben der Wurm drin: Nach einer bangen Viertelstunde fügte sich alles ins Lot, und die Premiere entwickelte sich zu einem Abend grandioser Orchesterleistungen, bis hinein in Momente wie Uwe Ellies traurig-beklommenes Klarinettensolo im letzten Akt.

Der stark geforderte Chor lässt keine Schwäche erkennen, zeigt sich frei und konzentriert im Singen, engagiert in den Herausforderungen einer bewegungsfreudig angelegten Regie, von Marius Krisan choreografisch unterstützt. Der aus Mannheim nach Würzburg gekommene Chordirektor Anton Tremmel hat sich glänzend eingeführt.

Meyerbeers Libretto, von Eugène Scribe entworfen und von Gaetano Rossi gemeinsam mit dem Komponisten überarbeitet, will zeigen, wie sich Konflikte entzünden und zur Katastrophe steigern. Die „Hugenotten“ beziehen sich – verdichtet auf einen Tag – auf Vorgeschichte und Ausbruch der „Bartholomäusnacht“ des Jahres 1572, eines beispiellosen Pogroms. Der in Deutschland bisher kaum bekannte Regisseur Tomo Sugao, 1979 geboren, verzichtet auf Bezüge zur Historie. Eine koboldige Figur, eine Mischung aus Weißclown und Pierrot (Barbara Schöller), öffnet den Vorhang. Das Fest beim Grafen Nevers trägt die Züge der Dekadenz: In einer Mixtur aus Travestie, schwarzer Revue und Zwanziger-Jahre-Party tanzt die Gesellschaft auf einer fahrbaren Bühne, einem Raum-Guckloch, das sich verdreifachen wird.

Kostümausstatter Pascal Seibicke nimmt fantasievoll Bezüge zu den „goldenen“ Jahren in Berlin auf, zitiert aber auch Federhüte der Soldateska des 16. Jahrhunderts, die spanische Halskrause oder die Zylinder der Meyerbeer-Zeit. Die „Hugenotten“ stecken unter grellen Perücken in teuflischem Orange. Auch sie kennen Rausch, Tanz, Fallsucht und obszönes Gelächter. Genau so geht es am Hofe der Königin Marguerite von Valois zu. Die Begegnung mit Raoul – das originelle Duett hat man nie so vollständig gehört – wird unter Sugaos Regiehand eine erotische Caprice; man meint, der Gefreite Fritz sei zu Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ abkommandiert. Und in der Tat: Die Inszenierung, aber auch das Stilgefühl von Dirigent Calesso, lassen die Nähe Offenbachs zu Meyerbeer erkennen.

Sugao, bis zum Beginn der Intendanz von Barrie Kosky 2012 an der Komischen Oper Berlin als Regieassistent tätig, will zeigen, wie aus einer dekadenten, eigentlich auf nichts mehr verpflichteten Gesellschaft Fanatismus, Gewalt und blutige Brutalität aufkeimen. Quasi aus dem Nichts heraus geschieht die Wende im Dritten Akt. Die Bühnen der Gesellschaft werden zuerst zu Rahmen des Raumes und verschwinden dann völlig. Julia Katharina Berndt überlässt den Raum schwarzer Leere und dem fragilen Licht Roger Vanonis. Die zwischen Fantastik und Groteske changierenden Kostüme machen Schwarz, stumpfem Graugrün und lichtlosem Blassblau Platz. Der Spielmacher, der vorher vergeblich versuchte, das Geschehen zu bestimmen, wird zusammengeschlagen und abgeschlachtet; sein Blut schmieren sich die Schläger als Kriegsbemalung ins Gesicht.

Am Ende brüllt der Chor in Kampfhosen und T-Shirts seine Kampfparolen aus dem Zuschauerraum; auf der Bühne knattert Gewehrfeuer (von Meyerbeer angeordnet!) und ringen drei einsame Menschen, Valentine, Marcel und Raoul, um ihre letzten, existenziellen Lebensentscheidungen. Sie werden von der Meute niedergetrampelt, zum Schluss krachen nur noch Soldatenstiefel auf die Bretter. Sugaos bewegungsfreudig umgesetztes Konzept – Dramaturg Berthold Warnecke dürfte daran seinen Anteil haben – macht aus Meyerbeers „Hugenotten“ eine Parabel, die eher die ideologisch motivierte gesellschaftliche Gewalt des zwanzigsten als die Religionskriege des sechzehnten Jahrhunderts im Auge hat.

Dass die Idee nicht ganz aufgeht, liegt an der bildverliebten Opulenz, der Sugao keine scharf gezeichneten Personen abgewinnen kann: Raoul kommt nicht aus seinem kindlichen Matrosenanzug heraus, die Königin wird grotesk verzeichnet, Marcel bleibt kaum fassbar in seiner Polarität von Hardcore-Ideologie und teilnahmsvoller Humanität. Die Antreiber hin zur Konfrontation sind schwer auszumachen. Aber vielleicht liegt dahinter auch ein Sinn: Wer oder was letztlich zu verstörenden Eruptionen unkontrollierter Gewalt führt, ist auch im Lauf der Geschichte nicht immer klar ersichtlich.

Über zehn Minuten Ovationen für alle Beteiligten, ein paar kaum hörbare Buhs für das Regieteam – Würzburg hat einen Opernabend, der zu anregenden Diskussionen führen wird. Meyerbeer kann dabei nur gewinnen: Sein Werk, so aktuell wie brisant, verdient es, dem mutigen, wenn vielleicht auch nicht immer konsistenten Zugriff kreativer Künstler ausgesetzt zu werden.

Werner Häußner

 

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