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WÜRZBURG: LES CONTES D’HOFFMANN – Premiere

03.10.2022 | Oper international

WÜRZBURG: LES CONTES D’HOFFMANN – Premiere
2.10.2022 (Werner Häußner)

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Akiho Tsujii als Olympia. Foto: Nik Schölzel

Würzburg und Ernst Theodor Amadeus Hoffmann – das ist die kurze Geschichte einer nie zustande gekommenen Liebe. Eigentlich war der geschasste preußische Regierungsrat und gescheiterte Bamberger Musikdirektor auf eine Stelle am Würzburger Theater erpicht, das von seinem Freund Franz von Holbein geleitet wurde. Aber der war 1813 schon wieder weitergezogen, als die Handschrift von Hoffmanns Probestück „Aurora“ in Würzburg eintraf. Ihr Schicksal ist bis heute dasjenige einer Archivalie: Von einer konzertanten Aufführung in Bamberg abgesehen, ist die Oper in Franken nie gespielt worden.

Ähnlich erging es dem „Trank der Unsterblichkeit“. Hoffmanns romantisches Experiment mit Lust an ungewöhnlichen musikalischen Formen, geschrieben für Bamberg, musste über 200 Jahre auf seine – leider echolose – Uraufführung 2012 in Erfurt warten. Und ohne den hartnäckigen, im letzten Jahr verstorbenen Hoffmann-Verfechter Peter P. Pachl wäre es wohl auch dazu nicht gekommen.

Wozu dieser Vorspruch? Nun, 2022 feiert die literarische Welt den 200. Todestag des Dichters, während die musikalische die Existenz des Komponisten E.T.A. Hoffmanns komplett übergangen hat. Das ist angesichts der Qualität und Bedeutung etwa seiner Oper „Undine“ nicht gerechtfertigt. In Würzburg, wo „Aurora“ im Stadtarchiv schlummert, lässt man nun zur Spielzeiteröffnung Jacques Offenbach die Erzählungen Hoffmanns vortragen, während der naheliegende Gedanke, den richtigen Hoffmann – wenigstens parallel dazu – zur Diskussion zu stellen, nicht verfolgt wird. Das wäre etwa in Sinfoniekonzerten durchaus möglich gewesen. In Bamberg investierte man derweil erhebliche Mühen in eine Händel-Oper – als gäbe es nicht weltweit genügend Opernhäuser, spezialisierte Ensembles und Festivals, die seit Jahrzehnten für eine nachhaltige Händel-Renaissance sorgen, während man sich der Würdigung des Literaten mit einer weiteren „Sandmann“-Bearbeitung „nach Hoffmann“ eher beiläufig entledigt hat.

Profilbildung sieht anders aus. Das gilt auch für Würzburg, wo die Regisseurin Nicole Claudia Weber mit der Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ keinen markanten Beitrag zur Deutung dieser häufig inszenierten Oper leistet. Sicher: Die glänzend schwärzliche Düsternis der Bühnenbauten von Aida Leonor Guardia ist der Atmosphäre förderlich, in der Hoffmann das Desaster seiner Liebesversuche im Rausch nachlebt. Ihre Kostüme, mal dem 19. Jahrhundert nachempfunden, mal expressionistisch zugespitzt, im vierten Akt vor einem glitzernden Riesenvorhang auch mit verhaltener Bizarrerie den venezianischen Karneval antippend, sind schön anzuschauen.

Aber die Idee eines Traums im Rausch, eines Alptraums aus der Perspektive Hoffmanns scheitert dann doch an zu handfesten Bildern. Der ungewollte Realismus lässt sich mit dem begrenzten technischen Equipment der Ersatzspielstätte nicht auflösen, zumal auch das Licht von Mariella von Vequel-Westernach auf der Bühne der „Blauen Halle“ oft zu konkret bleibt. Und die unter ein Gespinst verpackten Personen in der „Barcarole“ des Giulietta-Aktes bleiben viel zu gegenständlich, um einem Wahn entsprungen zu sein.

Dabei gibt es durchaus ansprechende Bild-Metaphern, etwa wenn der Chor der „unsichtbaren Geister“ zu Beginn schwarz vermummt den Alkohol gluckern lässt und Hoffmann in ebenfalls schwärzlichem Gewande aus einem Delirium erwacht. Oder wenn sich die Muse aus einer verdrehten Säule zerknüllten Papiers in die Realität schält. Auch Olympia, einem riesigen Schlüsselloch entsteigend, hat in ihrem SciFi-Amazonen-Outfit etwas Irreales an sich. Aber die Ambivalenz der Bildwelt will sich weder in der Personenführung noch im Arrangement des Chores (Einstudierung: Sören Eckhoff) bestätigen. Wenn im dritten Akt eine Sphäre aufgeklappt wird, die wie Ariadnes einsames Naxos wirkt, schwankt das Bild zwischen allzu Offensichtlichem und einer Rätselaufgabe. Und das letzte Abenteuer Hoffmanns, das ihn zum Mörder macht, gerät nicht zur Kolportage schnell geschnittener Bilder, sondern zu einem hastigen Ablauf, dem man bloß die Absicht unterstellen darf, das Stück nun rasch zu Ende zu bringen.

Musikalisch sorgt Dirigent Gábor Hontvári für eine Überraschung, welcher Art, sei dahingestellt. Denn er interpretiert Offenbachs Partitur entgegen dem Trend der letzten Jahrzehnte als großes romantisches Drama. Sehr wuchtig schon die Eröffnungs-Akkorde, süffig ausgemalte Melodien auch dort, wo Offenbach nicht die schwärmerische Exaltation sucht. Der Rhythmus dagegen bleibt oft weich, impressionistisch unscharf. Den Offenbach der „bouffes“ ignoriert Hontvári, die entsprechenden Couplets bleiben blass. So verschwinden Kontraste zugunsten eines Klangbilds, das eher an Heinrich Marschner als an Jacques Offenbach erinnert. Immerhin: Die Haltungswechsel in der Musik, etwa in der Ballade von Kleinzack, entdeckt der Kapellmeister, auch wenn das Rallentando zu früh einsetzt.

Das Würzburger Sängerensemble, nicht mehr auf dem Niveau früherer Jahre, schlägt sich mit den fordernden Partien Offenbachs teils respektabel, teils mit Mühe. Selbst ein so souveräner Sänger wie der gastierende Tenor Uwe Stickert muss sich in seine Partie erst einfinden, rettet sich anfangs in flaches Näseln und muss – am Vibrato hörbar – erst den gut gestützten, entspannt geformten Ton finden, den wir aus seinen großen Meyerbeer-Partien kennen. Doch dann gelingt auch die dramatische Tour de force fabelhaft intensiv und dennoch beispielhaft locker. Unerschütterlich dagegen Kosma Ranuer in den vier Rollen des Gegenspielers Hoffmanns. Zwar hat er nicht die ausgefeilte Stimmkultur eines französischen Bassbaritons, aber seine unfehlbar im Körper verankerte Stimme und die gefährlichen Zwischentöne rücken seinen Lindorf im Pelz eines Großbürgers ins Zwielicht, so wie er als Dapertutto in der Stimmfarbe und in seinem sich auflösenden Mantel dämonische Züge annimmt.

Bei den Damen des Würzburger Ensembles ist das Glück nicht uneingeschränkt. Silke Evers stellt sich den Legato-Linien und Steigerungen der in die tödliche Kunstwelt driftenden Antonia mit bewundernswerter Energie und dem stetigen Bemühen, den gut gestützten Ton über ausladende Phrasen hin zu halten. Die leuchtende Innigkeit des liebenden Mädchens gelingt ihr dabei überzeugend, mit der brennenden Entrückung der Sängerin stößt sie an ihre Grenzen. Für Akiho Tsujii ist die Puppe Olympia sicherlich eine Traumrolle, die sie mit viel innerem Engagement gestaltet. Sie führt ihren beweglichen, warmen Sopran geschmeidig, gestaltet aber die „mechanischen“ Koloraturen, Rouladen und Acuti vornehmlich in warmem Legato und nimmt so der Figur das Künstliche. Tsujii ist also keine „Automate“ – aber was sie sonst sein könnte, bleibt unklar.

In der undankbaren Rolle der Giulietta erleben wir mit Barbara Schöller eine langjährige Stütze des Würzburger Ensembles. Sie hat nur wenige Momente, in denen sie ihre großartige Bühnenpräsenz ausspielen kann. Marzia Marzo bringt als Muse ihren an sich vollendet gerundeten Mezzo ins Spiel, aber man fragt sich, warum den Tönen der Sängerin von Mal zu Mal der Körper entschwindet und sie verflachend ihre Substanz verlieren. Auf einen Auftritt der von Hoffmann angebeteten Stella wird verzichtet – sie bleibt das unerreichbare Ideal eines romantischen Traums. Anneka Ulmer setzt sich als Stimme der Mutter Antonias im Duett ohne Mühe durch.

Die kürzeren Charakterpartien erfüllen David Hieronimi als Schlémil und Igor Tsarkov als grauer, wie Hans Pfitzner wirkender Rat Crespel. Bei Roberto Ortiz fallen als Spalanzani und Nathanael die in den Kopf getriebenen Töne und unangenehmen Vokalfärbungen nicht so nachteilig wie sonst auf; wie er demnächst allerdings eine Belcantopartie wie Edgardo in „Lucia di Lammermoor“ singen soll, ist ein Rätsel. Matthew Habib zeigt vor allem als Frantz sein Talent für die traurige Buffonerie Offenbachs, aber die immer wieder unkontrollierte Tongebung in seinem Couplet macht das Defizit deutlich: „C’est la méthode.“

Vergleiche sind stets gefährlich und unterliegen der Gefahr verklärender Rückschau, aber im Gesamteindruck bleibt diese Neuproduktion von „Hoffmanns Erzählungen“ hinter den letzten drei Würzburger Inszenierungen zurück: 1978 schickte Wolfram Dehmel die Zuschauer auf eine Reise ins Zwielicht einer fragilen Realität und verfügte über Darsteller wie den mächtig-unheimlichen James Farrar (Lindorf) und die als Antonia unübertroffene Veronika Diefenbacher. Zehn Jahre später schuf Robert Hoyem einen atmosphärisch dichten, gespenstischen Reigen und 2002 wagte Hermann Schneider eine radikale Deutung aus dem Geist einer hedonistischen Gegenwart. Was diesmal in Würzburg über die Bühne geht, kommt über solides Stadttheater, nicht hinaus.

Werner Häußner

 

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