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WÜRZBURG: KONZERT ZUM JAHRESWECHSEL des Philharmonisches Orchesters Würzburg unter GÁBOR HONTVÁRI

01.01.2022 | Konzert/Liederabende

WÜRZBURG: KONZERT ZUM JAHRESWECHSEL des Philharmonisches Orchesters Würzburg unter GÁBOR HONTVÁRI
30.12.2021 (Werner Häußner)

Das war der einzige wirklich originelle Beitrag zum „Konzert zum Jahreswechsel“ des Philharmonischen Orchesters Würzburg: An den drei Abenden rund um Silvester leitete der winzige „Kleine Walzer“ von Bernd Alois Zimmermann den zweiten „Wiener“ Teil ein: eine herrlich schräge Burleske, als hätten Musiker dem Heurigen allzu arg zugesprochen und jonglierten sich nun an ihren Instrumenten ins erlösende Bett. 1952 entstanden, gehört der Walzer zu einer Musik für Puppenkabarett, geschrieben mit dem Titel „Das Gelb und das Grün“ für das Düsseldorfer Kom(m)ödchen und uraufgeführt mit dem in Würzburg geborenen Winfried Zillig als Dirigent. Eine letzte, heiter-selig verzerrte Reminiszenz an den Wiener Walzer – und damit das Entrée für den „echten“ Dreitakter, der sich in Form der „Ballsirenen“ von Franz Lehár sogleich in Pose warf.

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Gabor Hontvári. Foto: Nik Schölzel

Mag sein, dass sich Dirigent Gábor Hontvári gerade diesen Walzer ausgesucht hat: Ein augenzwinkernder Hinweis auf seine eigene Herkunft aus Györ in Ungarn und somit aus dem alten Kakanien, wo auch der Lehár Ferenc geboren wurde? Jener allerdings als eine geradezu typische Mischung: Der Geburtsort Komárno ist ungarisch geprägt, gehört (heute) aber zu Slowakei. Lehárs Familie selbst ist bunt gemischt: der Name tschechischer Herkunft, die väterlichen Vorfahren aus Nordmähren, die Mutter eine Ungarin, die von Einwanderern aus dem mecklenburgischen Raum um Neubrandenburg abstammt. Der Walzer selbst ist auch kein Tanzwalzer, sondern eher eine Suite aus den Schlagern der „Lustigen Witwe“.

Und Hontvári, ausgezeichnet mit dem 2. Preis bei Deutschen Dirigentenpreis 2019, widerlegt wieder einmal die unausgesprochene Annahme, mit der Herkunft liege das Verständnis von Musik gleichermaßen im „Blut“ – weshalb es etwa immer wieder Italiener gibt, die italienische Musik so herzlich erbarmenswert dirigieren. Der Walzer wird korrekt gespielt und wirkt mit großer Sorgfalt einstudiert, er hat das passende Tempo und beflügelnde Frische. Aber der junge Erste Kapellmeister und stellvertretende GMD am Mainfrankentheater Würzburg legt schon den Anfang zu dauerlaut an und lässt das Orchester dann tanzkapellenartig durchziehen, ohne Haltungswechsel in der Musik umzusetzen. Das „Lippen schweigen“-Thema stellt sich ohne elegante Verneigung und ohne zärtliches Innehalten ein. Die „Ballsirenen“-Melodie kommt nicht recht in Schwung und leidet wie so manch andere Stelle an Präzision. Der „Lenz“ sollte sich eigentlich zärtlich-duftig ankündigen, aber die knisternde Erotik eines flexiblen Metrums, das Aufatmen und Ausströmen, die lächelnde Erwartung und das lyrische Schwärmen, schließlich die prickelnde Eleganz, wenn’s ins „Maxim“ geht, lassen sich immer nur als Ahnung erfassen. Ja, es bestätigt sich wieder einmal, wie schwer doch das Einfache sein kann.

Die gradlinigeren Tanzweisen eines Johann Strauß, die den wenig originell zusammengestellten „Wiener“ Teil des Konzerts würzen, gelingen überzeugender: Im „Gruß an Wien“ zündet der Rhythmus, aber man hört auch jeden flüchtigen Moment im Orchester; die Polka schnell „Auf der Jagd“ galoppiert munter dahin und in Eduard Strauß‘ „Bahn frei“ grundiert das motorische Stampfen einer Lokomotive deutlich die rasante Melodie.

Seine Vorzüge als Dirigent konnte Gábor Hontvári eher im ersten Teil des Konzerts ausspielen, einer seltsam unmotiviert wirkenden Mischung aus zwei Ausschnitten aus Joseph Haydns Oper „L’Isola disabitata“, den Variationen op. 56a über ein wohl nicht von Haydn stammendes Thema von Johannes Brahms und dem quicklebendigen Rausschmeißer-Finale der C-Dur-Sinfonie Nr. 90 des Meisters aus Esterházy. Da verströmt die Einleitung der Opern-Ouvertüre gluckische Erhabenheit und das Finale glänzt mit flott beweglichen Streichern. Die Läufe der Violinen gelingen auch im letzten Satz der C-Dur-Sinfonie mit Energie und Esprit. Und beim Ernst der Brahms’schen Haydn-Variationen scheint sich Hontvári als Dirigent am meisten gefordert zu sehen. Zwar sind die Bläser hin und wieder etwas verwaschen, auch der Klang der tiefen Streicher mischt sich nicht optimal – aber das mag auch an der Akustik der „Blauen Halle“ liegen, die eine Ausweichspielstätte und kein Konzertsaal ist. Die von Eduard Hanslick gerühmte „geistvolle Harmonik“ jedenfalls wird sorgfältig ausgeleuchtet, so dass die „fein organisirte“ Meisterschaft nicht zuletzt in der detaillierten Polyphonie der Bläserstimmen hörbar ist.

In Top-Form zeigt sich das langjährige Würzburger Ensemblemitglied Barbara Schöller. Ob in einer Haydn-Arie oder im sarkastischen Georg-Kreisler-Hit vom „Tauben vergiften“: Sie findet den richtigen Ton, auch wenn sie in „Come il vapor s’accende“ aus Haydns „unbewohnter Insel“ die Klage der Silvia über die im Herzen wütenden Gefühle anstimmt, obwohl ihr damenhafter Auftritt nicht mehr so recht zu einem jungen Mädchen passt, das gerade zum ersten Mal die Wucht der „tyrannischen“ Liebe erfährt.

Charmant intoniert Barbara Schöller Robert Stolz‘ Liebeserklärung an Wien „Im Prater blüh‘n wieder die Bäume“. Der kleine Wiener Sprachkurs, den Moderatorin Beate Kröhnert zwischen die Nummern einstreut, dürfte freilich in fränkischen Landen folgenlos bleiben, auch wenn die Würzburger – nicht zuletzt durch ihre Schönborn-Fürstbischöfe – eng an Wien und sein kulturelles Leben angebunden waren. „Wien, Wien, nur du allein“: Im unsterblichen Schlager des Wienerlied-Schöpfers Rudolf Sieczyński umkreist Barbara Schöller geschmeidig das Sentiment, ohne sich davon gefangennehmen zu lassen, und liefert damit nicht nur ein Beispiel, wie solche Trouvaillen geschmackvoll zu gestalten sind, sondern kleidet auch in ihren satten, silberdurchwirkten Mezzo, was alle Wien-Liebhaber (und vielleicht auch Wien-Hasser?) im Herzen formulieren: „Sollst stets die Stadt meiner Träume sein …“.

Werner Häußner

 

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