WÜRZBURG: ICH ZARAH ODER DAS WILDE FLEISCH DER LETZTEN DIVA von Franzobel – Deutsche Erstaufführung
am 9.12. (Werner Häußner)
Tamara Stern als Zarah Leander im Bühnenbild von Isabelle Kittnar und dem ausdrucksstarken Licht von Roger Vanoni und Arndt Rössler am Mainfrankentheater Würzburg. Foto: Nik Schölzel
Yes, Sir, singt der Chor der Mädchen. So bin am ganzen Leibe ich, so bin ich und so bleibe ich. Kränzchen im Blondhaar, weiße Kleidchen, Engerln der Harmlosigkeit. Sie singen ohne den rauchig-ironischen Unterton der Diva, die diesen Schlager einst geboren hat: Zarah Leander. Und als ein düsterer Mann die Kinder erschreckt, staubt der Goldflitter, als sie von der Bühne fliehen.
Der mit dem hoffmannesken Zylinder wird der geheimnisvolle Begleiter der Leander bleiben an diesem Abend, an dem es um das „wilde Fleisch der letzten Diva“ geht – so der Titel des Stücks von Franzobel. Als „Sie“ auftaucht, wie man sie von Fotos kennt, mit Haube, Pelz und großer, dunkler Sonnenbrille, die Schnapsflasche in der zittrigen Hand (Kostüm: Katharina-Marie Diebel), hat sie nichts von der unnahbaren, vom erotischen Geheimnis umwitterten Schönheit aus ihren Filmen. Eine alte Alkoholikerin, die keinen Ton mehr trifft, beschimpft sie ihr Manager.
Die Szene ist rasch getaktet, ein virtuoses Sprechduell: Tamara Stern und Herbert Schäfer geben dieser Exposition Druck, Tempo, aber auch die Zeit, die es braucht, um Sätze und Worte zu gewichten. Was sich in „Nathan der Weise“, der Eröffnungspremiere von Markus Trabuschs Intendanz im Großen Haus des Würzburger Theaters, gezeigt hat, bestätigt sich auch hier: Trabusch schaut als Regisseur aufs Wort, arbeitet konzentriert an und mit der Sprache. Ein wohltuender Befund.
Der Österreicher Franzobel – eigentlich Franz Stefan Griebl – hat „Ich Zarah oder das wilde Fleisch der letzten Diva“ für das Vorarlberger Landestheater Bregenz geschrieben, wo es 2014 uraufgeführt wurde. Trabusch holte diese seine Inszenierung mitsamt den vier Darstellern nun nach Würzburg, um trotz des ausgedünnten Ensembles eine weitere attraktive Herbst-Premiere im Schauspiel anbieten zu können. Das Stück erinnert in der Machart etwa an Pam Gems‘ „Piaf“ oder auch an Joshua Sobols „Ghetto“: Zeitgeschichte zwischen Revue und Problemstück, unterhaltend, aber nicht trivial, humorvoll, aber nicht oberflächlich, bewegend, aber nicht sentimental.
Und problematische Seiten gibt es im Leben der Zarah Leander, geboren 1907 als Sara Stina Hedberg in Schweden, gestorben 1981 als Pflegefall daselbst, mehr als genug. Sie sang sich in der Nazizeit ganz nach oben, war der größte weibliche Star der UFA, ein hochbezahltes Kunstobjekt, von der Propaganda zum Mythos verklärt. 1943, nach Stalingrad, ging die Leander zurück nach Schweden, nicht ohne zwei Eisenbahnwaggons voll Möbel und wertvollem Hausrat mitzunehmen. Nach dem Krieg sah sie sich mit unangenehmen Fragen zu ihrer Rolle im Dritten Reich konfrontiert: Welche Rolle spielte sie im Propaganda-System der Nazis? Naives Opfer oder kalkulierende Karrieristin? Das Ende ihrer zweiten Karriere ist das Entrée zu Franzobels Stück: Die Leander singt für ein Publikum, das vorher Rheumadecken gekauft und Schmorbraten verzehrt hat, und das sich ein paar Tränen nostalgischer Erinnerungen im Auge zerdrücken will …
Zarahs Leben wird nicht eigeklemmt in das Korsett einer biographischen Abfolge. Der junge Mann, der die zerrüttete Diva im Park findet, ist Jahrgang 1979 und hält ihren Namen erst mal für den einer Modekette. Diese Figur, facettenreich verkörpert von Benjamin Bieber, ist der düstere Gesell des Anfangs, später ein junger Mann mit dem beziehungsreichen Namen Lazarus – der einst von Jesus wiedererweckte Jünger. Er ist die Speiche am Lebensrad der Leander, verbindet die Szenen, in denen zwischen den Karrierestationen gesprungen wird: ins Schweden der 22-jährigen Träumerin, ins Wien von 1936, wo sie in „Axel an der Himmelstür“ von Ralph Benatzky ihren ersten Triumph im deutschsprachigen Theater – 168 Vorhänge – feierte. In die UFA nach Babelsberg, wo die „Reichsgemütssirene“ in einer Kunstwelt inmitten des Kriegselends lebte.
Vor der Pause wandelt sich der junge Kommentator in einen Propheten, der die Zukunft kennt, in das „Gewissen“, eine Person, die abgeführt wird, weil sie ihr „Maul zu weit aufgerissen hat“, während die Leander über die Qualität ihrer Robe und ihrer Schuhe lamentiert. Überhaupt Tamara Stern: Sie ist überzeugend in den Liedern, denen sie eine eigene Note gibt, weil sie Artikulations-Eigenheiten der Leander – die stimmhaft vibrierenden Konsonanten etwa – zitiert, ohne in pure Imitation zu verfallen. Als Diva auf dem Höhepunkt des Ruhms ist ihre Zarah Leander fast zu freundlich, zu menschlich, strahlt zu wenig glamouröse Unnahbarkeit aus. Aber als gealtertes Wrack, zurückgeworfen auf sich selbst und ihre Lebenslügen, zeichnet Stern ein beklemmendes Porträt. Die begleitende Vier-Mann-Band (Marco Netzbandt, Ralf Brösamle, Lorenz Huber und Tobias Schirmer) trifft den Ton der Schlager mit Charme und Verve.
Nach der Pause wird Bieber zum „Boandlkramer“ , drückt die Diva in der ersten Reihe des Publikums in den Theatersitz und lässt Szenen und Personen aus ihrem Leben Revue passieren: Heinz Rühmann, der sich schnoddrig arrangiert, hat in der idiomatisch treffsicheren, aber zu hastig und daher schwer verständlichen Grit Paulussen seine beklemmende Wiederkehr; Marlene Dietrich, die den Sirenengesängen des Doktor Goebbels widerstanden hat, legt dank der gekonnten Travestie von Herbert Schäfer einen auch stimmlich fulminanten Auftritt hin.
In diesen letzten Szenen treiben Schlaglicht-Sätze und thesenhafte Urteile den parabelhaften Fortgang in Richtung Lehrstück – aufgehalten allerdings durch die Reaktionen von Tamara Stern, die den unbeugsamen Willen der Zarah Leander demonstriert, sich ihr konstruiertes Lebens-Narrativ nicht zerstören zu lassen. Goebbels war doch ganz nett – ist es also ein Verbrechen, mit ihm zu Abend zu essen? Und „was er sonst noch macht“, war nicht die Sache der – wie sie sich selbst bezeichnet – „politischen Idiotin“, die ja, wie die anderen auch, „nur geliebt“ werden wollte. Sie konnte, sagt Zarah in dem Stück, ihre politische Farbe nicht wechseln, weil sie nie eine hatte. Da taucht es wieder auf, das alte Problem, das uns heute – siehe die Debatten um Anna Netrebko oder Valery Gergiev – immer wieder beschäftigt. Gibt es die „reine“ Kunst, unabhängig von den Umständen, in denen der Künstler lebt und arbeitet?
Dass ihr Fleisch schwach gewesen ist, will Zarah bis zum Ende nicht wahrhaben: Sie verteidigt die Fiktion ihrer Lebenserzählung. Der Tod als Moment einer – auch befreienden – Wahrheit hat keine Chance. So bin am ganzen Leibe ich, so bin ich – und so bleibe ich!
Werner Häußner