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WÜRZBURG/ Hochschule für Musik: SUSANNENS GEHEIMNIS (Ermanno Wolf-Ferrari) – DIE NACHT DES NEURASTHENIKERS (Nino Rota) – ANGÉLIQUE (Jacques Ibert)

13.02.2018 | Oper

WÜRZBURG / HOCHSCHULE FÜR MUSIK: SUSANNENS GEHEIMNIS (Ermanno Wolf-Ferrari) – DIE NACHT DES NEURASTHENIKERS (Nino Rota) – ANGÉLIQUE (Jacques Ibert)
am 12.2. (Werner Häußner)

Ein sehr venezianisch empfindender Deutsch-Italiener, ein international tätiger Italiener und ein waschechter Pariser: Den drei Komponisten, die Holger Klembt für seinen szenischen Abend Oper hoch drei an der Würzburger Hochschule für Musik ausgewählt hat, verbindet vor allem eins: Sie haben sich zeitlebens nicht um die herrschende Meinung gekümmert, wie zeitgemäße Musik zu verfertigen sei. Ermanno Wolf-Ferrari schrieb deftige venezianische Komödien („Il Campiello“) in schönster Buffa-Tradition, erlaubte sich Ausflüge in den Verismo („I Gioielli della Madonna“), als Strauss und Schönberg schon die Tonalität sprengten, und schrieb mit „Sly“ ein bittere, existenzielle Tragikomödie.

Nino Rota wurde als Filmkomponist weltberühmt, seine zehn Opern werden aber erst allmählich (wieder-)entdeckt. Musikalisch scherte er sich nicht um moderne Strömungen; seine tonale, melodiöse, mit sprühender Erfindungsgabe und Fantasie entwickelte Musik klingt weniger „modern“ als die seiner Lehrer IldebrandoPizzetti und Alfredo Casella. Jacques Ibert schließlich ist – wie mit ihm vielleicht noch Francis Poulenc – auch ein „aus der Zeit Gefallener“, dessen Stil über das Merkmal einerespritgesättigten Virtuosität hinaus kaum einzuordnen ist: Er hat die kühl-glitzernde Art der „Group des Six“ geschmeidig verfeinert und virtuos überhöht.

Ein anti-avantgardistischer, aber höchst vergnüglicher Abend im Theater der Würzburger Musikhochschule war also vorprogrammiert, zumal alle drei Komponisten mit der Unterscheidung von „ernster“ und „unterhaltender“ Musik offensichtlich nicht viel anfangen können. Drei geistvolle Einakter, deren gemeinsames Merkmal die gewollt nichtigen dramatischen Auslöser und die bizarre Entwicklung der Handlung ist, füllten fast drei Stunden (mit zwei Pausen) kurzweilig aus. Ein passendes Rosenmontags-Vergnügen!

Keiner der drei Autoren jedoch lässt sich auf kompositorische Kompromisse ein. Wolf-Ferrari zeigt in „Il Segreto di Susanna“ (deutsch gesungen als „Susannens Geheimnis“), dass er als Rheinberger-Schüler sein Handwerk virtuos beherrscht: Die flotte Ouvertüre ist ein kontrapunktisches Meisterwerk und obendrein ein melodischer Ohrwurm. Und die folgende gute halbe Stunde paart beste italienische Buffa-Tradition mit einer apart beherrschten Orchestrierung, die vergessen lässt, dass die Besetzung – u.a. vier Hörner, drei Posaunen, Harfe, Celesta, große Trommel, Tschinellen – jeder großen Oper zur Ehre gereichte. Ulrich Pakusch und das Orchester der Hochschule haben es nicht leicht, Transparenz und federleichte Elastizität zu sichern. Sie machen deutlich, wie wichtig spielerische Routine bei gleichzeitigem Gespür etwa für punktgenaue Artikulation und elegante Abphrasierung ist.

Manfred Kaderk hat die Bühne mit beweglichen Wänden ausgestattet, die für jedes Stück eine eigene Raumlösung möglich machen. Damit der eifersüchtige Ehemann Susannas, der gewandt singende JinhoSeo, genügend Spielraum für seine zerstörerische Rivalen-Suche hat, gibt es eine Reihe Türen im Halbrund um ein dominierendes rotes Fragezeichen, szenisches Symbol wie originelles Sitzmöbel gleichermaßen. Die fliegen zum verständnislosen Entsetzen der frisch angetrauten und noch sehr traulichen Gattin Anja Stegmann öfter mal knallend ins Schloss, bis sich herausstellt, dass kein anderes Stänglein als ein heimlich genossenes Zigarettchen der Auslöser aller Malaisen ist.

Am Ende zieht sich das Paar gemeinsam dem Tabak huldigend zurück, während der stumme Diener (Han Kim) sein einziges Geräusch von sich gibt: Er bläst eine Kerze aus. Heute im Zeitalter warnender Schreckbilder auf Zigarettenpackungen sicher ein gesundheitspolitisch höchst inkorrektes Werk, dessen bedauerliches Verschwinden aus dem Repertoire jedoch kaum diesem Umstand geschuldet sein dürfte.

Eher ist es – wie im Falle von Jacques Iberts „Angélique“ – eine allgemeine Abneigung des Betriebs, Doppelabende anzusetzen, wenn sie nicht wie bei den „Cav/Pag“-Zwillingen unvermeidlich erscheinen. Auch Iberts groteske Komödie ist mit ihren rund 50 Minuten zu kurz, um solo aufgeführt zu werden. Bis in die sechziger Jahre hinein sehr beliebt, fristet die Farce inzwischen ein Schattendasein. Musikalisch hat sie das nicht verdient: Das Würzburger Hochschulorchester lässt die sprühende Brillanz, die vielfältigen Farben der Perkussion, dieamüsante melodischeWendigkeitund die in polytonale Verfremdung gefassten parodistischen Elemente ansprechend erklingen. Anke Drewes steckt die Protagonistin, die höchst launische und ebenso gewalttätige Angélique in ein adrettes Fünfziger-Jahre-Kleidchen, während ihre Umgebung – halb in Fleisch und Blut gegenwärtig, halb gemalt aus den Fenstern starrend – überbordend bunt die Farce betont.

Die Studierenden werfen sich mit viel Spielfreude in ihre Partien: der misshandelte Ehemann (Lukas Eder) vertraut sich seinem findigen Freund Charlot (Elias Wolf) an, der auf die geniale Idee kommt, den weiblichen Quälgeist an einen internationalen Touristen zu verkaufen. Die schippern mit einem bunten Dampferchen herbei und interessieren sich sofort für das Geschäft: ein entflammter Italiener (Jinsu Kim), ein rational kalkulierender Engländer (Stefan Schneider), ein aus dem verpönten N-Wort zum „Exot“ verwandelter Orientale (Jakob Mack). Schließlich kommt jeder als Invalide aus dem Deal heraus; selbst der mit Berlioz-Aplomb auffahrende Teufel (Heesu Kim) will den Braten nicht haben. Zum Glück, und um der Groteske die Krone aufzusetzen, bekehrt sich Stefanie Wagner, zuvor mit giftigen Spitzentönendie Männer piesackend, gerade rechtzeitig zum sanften Weibchen.

Gegen so viel Spielwitz und komödiantischen Elan hat es Nino Rotaskaum bekanntes Werk schwer: „Die Nacht eines Neurasthenikers“, 1950 komponiert, erst zehn Jahre später uraufgeführt, von Holger Klembt in Detmold zu deutsche Erstaufführung gebracht und zuletzt 2016/17 in Biel-Solothurn, Görlitz und Montpellier zu sehen, nutzt einen heute obsolet gewordenen medizinischen Befund: Ein von einer „Nervenschwäche“ Geplagter mietet sich ein Hotelzimmer, um einmal ruhig schlafen zu können. Er sichert seine Nachtruhe ab, indem er die Nachbarräume gleich mitbucht.

Dummerweise ist in Mailand gerade Messe, und der Hotelportier (Jakob Mack) quartiert in den leeren Zimmern noch Gäste ein. Ein geräuschvoll geworfener Schuh des Zimmernachbarn (Heesu Kim) und die Liebeslaute eines Paares (Maria Teresa Bäumler und Alexander Geiger) nerven den sich in den Schlaf zählenden Neurastheniker allerdings so sehr, dass er dem Personal eine lärmende Szene macht und die Nachbarn vertreiben lässt. Als der Kellner morgens um sechs Uhr den bestellten Kaffee bringt, liegt der erschöpfte Kranke in tiefem Schlummer … Für den bereits bühnenerfahrenen Lukas Eder ist die Titelrolle eine Gelegenheit, Charakterisierungskunst und einen kernigen Bassbariton zu zeigen; die Zuschauer lernen eine quirlige Komödie kennen, deren Musik sich zwischen der leichten Freiheit einer Filmkomödie, den dissonanten Intervallspannungen des überreizten Neurasthenikers und einem komplex gearbeiteten Quintett als einfallsreich und versiert offenbart.

Werner Häußner

 

 

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