WÜRZBURG / Hochschule für Musik: DIE ZAUBERFLÖTE – Premiere
14.11. 2019 (Werner Häußner)
Die Info zur Aufnahmeprüfung ist schon aufgebaut, eine Schlange von jungen Leuten bildet sich. Alle wollen sie wohl die Musikhochschule Würzburg besuchen, deren Fassade den Hintergrund der Bühne umschließt. Auch der junge Mann aus Korea möchte zu dem rund einem Fünftel der Studenten gehören, die an deutschen Musikhochschulen aus Asien kommen (die Deutsche Welle hatte kürzlich recherchiert). Seine Notenblätter hat er schon ganz profihaft aneinander geklebt. Nur: Der Arme kann von Strafe sagen, denn seine Sprache ist dahin – oder noch nicht richtig da. Auf jeden Fall schafft er es nicht, in die Hochschule vorzudringen – und in magisch violettem Licht verwandeln sich seine Papiere in eine „listige Schlange“. Barmherzige Götter!
Mit dieser witzigen, köstlich selbstreferentiellen Szene beginnt die Inszenierung der „Zauberflöte“ an der Würzburger Musikhochschule. Katharina Thoma, seit dem laufenden Wintersemester neue Professorin an der unterfränkischen Hochschule, folgt Holger Klembt als Leiterin der Opernschule nach und schneidet gleich aus dem Urgrund des Opern-Stammbaums eine der wichtigsten und zugleich beliebtesten Wurzeln des Musiktheater-Repertoires aus. Die Vorstellungen waren ruck zuck ausverkauft, weil es in Würzburg, das sich auch gerne Mozartstadt (wegen des bald 100jährigen Mozartfestes) nennt, schon seit gefühlten Ewigkeiten das Treiben von Sarastro und der Königin der Nacht nicht mehr auf der Bühne gab (in der Musikhochschule zuletzt im Jahr 2000).
Die renommierte, an großen Häusern tätige Regisseurin (demnächst „Tristan und Isolde“ in Frankfurt) will sich gar nicht der Feuerprobe tiefgründiger philosophischer Deutungen aussetzen, sondern serviert genüsslich das klare Wasser einer frisch assoziierenden, die Entwicklungs- und Prüfungsgeschichte auf junge Menschen von heute projizierenden Inszenierung. Sie hat mit dem Ort zu tun und bedient die Zeit – was will man mehr? Und so tummeln sich auf der Bühne des hochschuleigenen Theaters an der Bibrastraße der Präsident des ehrwürdigen Instituts (Sarastro) nebst seinem Kollegium (Priester), ein gewieftes Faktotum (Sprecher) und ein übergriffiger Klavierlehrer (Monostatos), ein zufällig in die Verwicklungen geratener Lieferant, der mit seiner Sackkarre die Treppen des Zuschauerraum hinunterrumpelt (Papageno) und eine zickige Diva nebst Schülerinnen, die offenbar dem Oberboss nicht grün ist: beide umschleichen sich in der Ouvertüre wie wilde Tiger-Thiere.
Dann gibt es noch die beiden Studenten: Pamina, offenkundig unglücklich mit dem Unterricht an der Hochschule und obendrein von Professor Monostatos sehr körpernah „unterrichtet“, verliebt sich auf den ersten Blick in den etwas unbeholfenen jungen Koreaner, der seinerseits schon am bloßen Bild Feuer gefangen hat – heute verliebt man sich bereits im Internet. Vor dem versöhnlichen Happy-End heißt es aber zunächst, den Prüfungsweg zu gehen: Drei Knaben überreichen Partituren von Bach, Mozart und Beethoven – einer ist eindeutig als der Wiener Jubiläums-Genius des Jahres 2020 zu erkennen, die beiden anderen könnten auch Haydn und Salieri sein – und statt in Feuer und Wasser erproben die jungen Menschen ihr Talent vor einer gestrengen Prüferschar im (stummen) Vorsingen.
Die Macht der Musik freilich führt sie: Katharina Thoma vergisst nicht, dass es sich bei Mozarts Singspiel nicht nur um einen schalkhaften Spaß handelt. „O ew’ge Nacht, wann wirst du schwinden, wann wird das Licht mein Auge finden?“ – bei dieser Frage taucht sie Tamino auf der Bühne Sibylle Pfeiffers in herausgehobenes Licht. Und es sind die Noten (der magischen Flöte?), die den jungen Mann auf seinem Weg begleiten und mit Zauberkraft beistehen.
Von der Macht der Musik lassen sich auch die realen jungen Leute führen, die sich um Mozarts Meisterwerk bemühen. Allein, auf ihrem Weg gibt es noch einige Hindernisse zu beseitigen. Dass Schülerinnen und Schüler von Gesangsklassen auf ihrem unterschiedlichen Ausbildungslevel professionellen Anforderungen genügen, erwartet niemand. Aber wenn es an grundlegenden stimmtechnischen Qualifikationen mangelt, darf die Frage gestellt werden, ob es sinnvoll ist, jungen Sängerinnen und Sängern Mozart zuzumuten. Das betrifft zum Beispiel die Besetzung der Pamina, bei der die schrill-eindimensionale Tonproduktion den Zuhörer ratlos zurücklässt und Mozarts komplexen musikalischen Forderungen nicht genügt.
Andere, wie Simon Kuhn als Sarastro oder Marcel Hubner als Monostatos bringen sympathische Anlagen mit, sind aber weder in der Atemtechnik noch in der Position und Formung des Tons so weit, die Anforderungen der Partien zu parieren. Sangmog Lee singt einen ausgereiften Tamino, der auch heldische Anklänge zeigen kann, darf aber an seinem eingeengten und gedrückt wirkenden Timbre noch ebenso arbeiten wie an einer lockeren Formung des Tons. Minsun Kim brennt das Feuerwerk der Koloraturen der Königin der Nacht bis hinauf in die Sphäre der Acuti mit Verve ab, lässt sich von den gefürchteten Triolen nicht aus der Ruhe bringen, zeigt aber mit ihrem intensiven, manchmal flackerigen Vibrato, dass sie die sichere Führung der Stimme auf einem tiefen Atem noch perfektionieren sollte.
Uli Bützer, ein Papageno mit Lust am ausgelassenen Spiel, ist immer dann ganz bei seiner Partie, wenn er die Stimme ohne Druck und damit weich und locker führt. Die unkontrolliert laut herausgestoßenen Töne hat er nicht nötig. Margarita Pazara muss als Papagena ihren Liebreiz erst einmal unter der Tarnung einer verhuschten Hilfskraft verstecken, die mit dem Bürowägelchen Bücher zum Einsortieren fährt. Dass sie auch stimmlich nicht unter die grauen Mäuse zu zählen ist, macht sie später deutlich. Unter den drei Damen lässt Tamara Nüßl mit unverkrampftem, frei fließendem Singen aufhorchen, und Jakob Ewert lässt sich als Sprecher nicht aus der Ruhe bringen.
Das Hochschulorchester unter Yuuko Amanuma hinterlässt gemischte Gefühle: Das Adagio zu Beginn der Ouvertüre schwimmt spannungslos, die punktierten Achtelketten mit ihren dynamischen Kontrasten bleiben unscharf, ebenso das Wechselspiel der Flöten mit den lockeren Staccati der Fagotte. Im Marsch der Priester mündet die Balance nicht in einem abgerundeten „feierlichen“ Klang. Die Tempi nimmt die Dirigentin im Allgemeinen frisch und lebendig, vergisst aber auch, sie atmen zu lassen, so im Terzett „Soll ich dich, Teurer, nicht mehr seh’n“, das allzu mechanisch abläuft. Dem Enthusiasmus auf der Bühne antwortet ebensolcher im Publikum.
Werner Häußner