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WÜRZBURG / Dom St. Kilian: JESUS IN GETHSEMANE – Oratorium von Antonio Rosetti

15.04.2019 | Konzert/Liederabende

WÜRZBURG / Dom St. Kilian: JESUS IN GETHSEMANE – Oratorium von Antonio Rosetti
13.4.2019
(Werner Häußner)

Antonio Rosetti, ein halbes Jahr nach Mozart gestorben, galt zu seiner Zeit als bedeutender Symphoniker. Die Werke des Hofkapellmeisters des Fürsten zu Oettingen-Wallerstein wurden europaweit verlegt und in Paris und London gespielt. Der aus Leitmeritz in Böhmen stammende Komponist hat aber auch zwei große Oratorien hinterlassen, Zeugnisse einer von der Aufklärung beeinflussten Christusfrömmigkeit: „Der sterbende Jesus“ und „Jesus in Gethsemane“.

Letzteres, entstanden 1790, als Rosetti bereits am Hof des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin in Ludwigslust wirkte, hat die Würzburger Dommusik für ein Konzert in der Passionszeit gewählt und damit ein kaum aufgeführtes, aber in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Werk dem Vergessen entrissen. Denn trotz einer Aufnahme beim Label cpo unter Johannes Moesus und verdienstvoller Bemühungen der Internationalen Rosetti Gesellschaft kann von einer breiteren Rezeption – auch der Sinfonien Rosettis – nicht die Rede sein.

Die Ansprüche an die Ausführenden – großer Chor, vier Solisten, im Orchester volle Bläserbesetzung (ohne Klarinetten), Trompeten und Pauke – zeigen, dass Rosetti in Ludwigslust den Apparat einer gut ausgestatteten Hofmusik zur Verfügung hatte, eine zweifellos inspirierende Voraussetzung. Das Libretto des Hofpredigers Heinrich Julius Tode verbindet empfindsame Betrachtungen mit einer Theologie des Opfers und der Pflicht, schildert Jesus aber auch als einen Helden, der seine Bahn wie die Sonne zieht und der seinen Lauf „mit Heldenfreuden inniglich“ vollendet. Ludwig van Beethovens „Christus am Ölberge“ liegt ebenso nahe wie das Finale der Neunten Symphonie oder – worauf der Musikwissenschaftler Hansjörg Ewert im Programm hinweist – die Metaphorik der „Zauberflöte“.

Auch musikalisch kostet Rosetti das Ausdrucksrepertoire seiner Zeit voll aus. Seine Bläsersätze waren zu seinen Lebzeiten berühmt und können sich auch heute, im Vergleich mit seinen Zeitgenossen und Nachkommen hören lassen. Rosetti hat keinerlei Scheu, expressive Mittel aus der Oper einzusetzen, etwa in der atmosphärisch dichten Introduktion mit den lastenden Farben der tiefen Streicher, den Seufzerfiguren, den harmonischen Wendungen und den dynamischen Akzenten des Chores. Das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau realisiert die feinsinnigen Details der Partitur Rosettis behutsam, stets auf die heikle Akustik der Kathedrale mit ihren Nachhallzeiten achtend. Auch wenn die Musik zu Dramatik, Glanz und Gloria neigt – so etwa in der Einleitung zur Sopranarie „Erhabenster Triumph der Liebe“ oder in der Gluck’schen Erhabenheit des Schlusschores „Ihr seid kommen zu dem Mittler“ – lässt Domkapellmeister Christian Schmid keine überbordende Klanggewalt zu: Alles bleibt im Lot mit dem Ziel, Rosettis Musik plastisch darzustellen.

In diesem Sinne agieren auch die Chöre an der Würzburger Bischofskirche St. Kilian: der Domchor, die Mädchenkantorei und die Herren der Domsingknaben. Ob im vierstimmigen Doppelfugato des Eingangs, in der schlichten Melodik der Choräle oder im grandiosen Bestätigungston des Finales mit seinem an die „Zauberflöte“ gemahnenden „Preis Dir“: Momente der Unsicherheit oder matte Mittelstimmen bei den Männern bleiben die Ausnahme; der Klang wirkt präsent, aber nicht überzogen.

Bei den Solisten zeigen sich Grenzen: Anja Tschamler ist ein typisch deutscher Kopf-Sopran, der in beiden virtuosen Soli Koloraturen, Verzierungen und Intervallsprünge nicht auf dem Atem bewältigt und auch im Timbre den Operngestus der Musik nicht einholt. Der Tenor Bernhard Gärtner artikuliert seine einfühlsamen Ariosi ungezwungen, doch die Stimme schwankt zwischen kehligen und nasalen Tönen und springt zunächst nicht an. Thomas Trolldenier bewährt sich in den Ensembles als zuverlässige Bass-Stütze; in seinen beiden Solo-Nummern machen einzelne unbefreite Töne deutlich, dass Rosetti für seine Uraufführung versierte Opernsänger einsetzen konnte. Als eine solche zeigt sich in Würzburg Seda Amir-Karayan, die in der Betrachtung des leidenden Christus und in der Arietta „Schone! Weltenrichter schone!“ die schneidende Dramatik wie den Balsam des Lyrischen mit füllig-flutendem Ton zu gestalten wusste.

Das Konzert zeigt, was im kirchlichen Bereich an vorzüglicher musikalischer Arbeit geleistet und leider öffentlich zu wenig gewürdigt wird. Das betrifft auch den Zugang zu zeitgenössischer Musik: Pēteris Vasks‘ instrumentale „Musica dolorosa“ und sein „Pater Noster“ für Chor und Streichorchester leiteten das Konzert ein und sind ein Beispiel dafür, dass Musik von heute – übrigens auch in der liturgischen Musik der Gottesdienste – in der Kirche einen selbstverständlichen Platz hat.

Werner Häußner

 

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