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WÜRZBURG/ Congress-Centrum : 2. SINFONIE von GUSTAV MAHLER zum Abschied von GMD ENRICO CALESSO und letzte Vorstellung von WOZZECK

08.03.2025 | Konzert/Liederabende

WÜRZBURG / CONGRESS-CENTRUM: 2. SINFONIE von GUSTAV MAHLER zum Abschied von GMD ENRICO CALESSO und letzte Vorstellung von WOZZECK
19.2./5.3. (Werner Häußner)

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Enrico Calesso. Foto: Fabian Gebert

Dass sich Enrico Calesso zu seinem Abschied vom Dirigentenpult des Philharmonischen Orchesters Würzburg Gustav Mahlers Zweite Sinfonie gewünscht hat, ist bezeichnend für seine Persönlichkeit und für sein fünfzehnjähriges Wirken: Calesso, der studierte Philosoph, hat sich stets für die Welten hinter der Musik begeistert und findet in dem hochgebildeten Mahler einen verwandten Geist. Der Italiener aus Treviso, der in Wien das Dirigentenhandwerk erworben und in ersten Jahren bei der Oper Klosterneuburg erprobt hat, verbindet den musikalischen Kulturraum seiner Heimat mit der deutschen Tradition. Er widerlegt damit, was gerne unausgesprochen vorausgesetzt wird, dass nämlich Herkunft oder gar Nationalität quasi von Natur aus befähigen, Musik aus einem bestimmten Kulturraum besonders treffend gestalten zu können.

Die 15 Jahre in Würzburg, 14 davon als Generalmusikdirektor, begann Calesso mit Mozart und beschließt sie jetzt mit Berg in der Oper und Mahler im Konzert. Das zeugt von Selbstbewusstsein und einem gewissen Stolz auf das Erreichte. Außer Jonathan Seers (1991 bis 2000 und 2009/10) hat kein GMD das Würzburger Orchester so entscheidend geprägt und vorangebracht. Calessos Nachfolger Mark Rohde, derzeit noch GMD in Schwerin, übernimmt ein wohlbestelltes Terrain.

Von einer Ära zu sprechen, ist daher nicht übertrieben. Calesso hat sich in der Oper nicht nur die allbekannten „Chefstücke“ vorgenommen. Mit Meyerbeers „L’Africaine“ bewältigte er 2011 einen herausfordernden Einstand als GMD bravourös. Mit „Tristan und Isolde“ führte er die Wagner-Tradition fort. 2019 sollte „Götterdämmerung“ den ersten „Ring“ in Würzburg seit Anfang des 20. Jahrhunderts einleiten, der dann an der Corona-Pandemie scheiterte. Mit Puccini verbindet Calesso ein besonders inniges Verhältnis: „Madama Butterfly“ lebte aus wehmütiger Schönheit zum Schwärmen; „La Bohème“ war vom Reißer befreit als subtiles Charakterstück gelesen.

Luigi Cherubinis „Ifigenia in Aulide“ und jüngst erst „Medea“ waren italienische, Franz Schuberts „Des Teufels Lustschloss“ eine deutsche Rarität, stets gelesen mit der Genauigkeit, die Calessos Arbeit auszeichnet. Dass sich der große Bogen, der musikalische Atem nicht in der Liebe zum Detail verhakelt, zeigte Calesso an den weit gespannten Kantilenen Vincenzo Bellinis in „I Capuleti e I Montecchi“ oder an den satten Konturen einer für ein Haus der Größe Würzburgs fabelhaft gelungenen „Ariadne auf Naxos“. Calesso drückte sich nicht um Zeitgenossen, zu erleben in der Oper etwa bei der Uraufführung von Alois Bröders „Unverhofftes Wiedersehen“ oder bei der wegweisenden Produktion von John Adams‘ „Nixon in China“, die 2018 eine Renaissance dieses bedeutenden Werks in Deutschland einleitete. Es ist zu hoffen, dass Calesso seine breiten Repertoire-Vorlieben auch als neuer „direttore musicale“ des Teatro Verdi in Triest umsetzen kann.

Eben jene glückliche Verbindung von akribischem Blick auf die Partitur und großzügiger Freiheit des Ausführens im Moment des Entstehens der Musik zeichnet Calessos Dirigat der Mahler’schen Zweiten aus. Klug beachtet er dabei, dass ein Orchester mittlerer Größe trotz Verstärkung rein klanglich nie die Wucht und die Subtilität eines großen Klangkörpers erreichen kann. Das Augenmerk liegt folglich auf der sorgsamen Dosierung der Dynamik, auf der Balance der Instrumentengruppen, auf dem Abmischen von Bläsern, Streichern und Schlagwerk. Und in all diesen Parametern, die solistischen Leistungen eingeschlossen, können die Würzburger Philharmoniker beeindruckend bestehen. Man spürt, dass sie für diesen Mahler alles geben; dass sie für ihren langjährigen Chef auf der Stuhlkante sitzend musizieren.

Und so gelingt diese existenziell aufwühlende Mahler-Sinfonie als berührendes Kunstwerk wie als Dokument einer langen, glücklichen Partnerschaft und Entwicklung. Schon der Gegensatz zwischen dem selbstbewussten Trauermarsch und den blühenden lyrischen Momenten des ersten Satzes baut die Spannung in der Musik auf. Calesso achtet auf maßvolle Lautstärke, lässt die Farbwechsel ausspielen, sorgt im Tempo dafür, dass die Musik allmählich zu sich selbst finden kann. Noch wuchern die Höhepunkte nicht. Zu bemerken ist freilich auch, dass die Geigen mit ihrem kühl-harschen Klang den Mahler-Tonfall nicht so recht finden wollen, dass ums eine oder andere Mal die Holzbläser noch nicht frei atmen. Aber die dissonante Tuttiakkordfolge gegen Ende dieser „Todtenfeier“ reißt in ihrer Wucht mit, und danach, wenn Celli und Kontrabässe im Piano den Marsch wieder aufnehmen, gelingt auch das kraftlose Zusammensinken.

Im zweiten Satz kämpfen die Violinen mit dem sich einfach gebenden Ländlerton, aber die Bratschen intonieren weich und schmiegsam. Calesso lässt Wehmut und Seligkeit ausschwingen, gibt der Musik die Freiheit, zu fließen und zu tanzen. Der Kontrast wirkt! Dann der dritte Satz, das groteske Scherzo über des heiligen Antonius‘ Fischpredigt aus „Des Knaben Wunderhorn“, in dem Mahler das vokale Element schon mitdenkt, das im vierten Satz, dem „Urlicht“ dann zu sich selbst kommt. Calesso betont weniger das Groteske, setzt eher auf Kontraste und auf Transparenz. Vero Millers Mezzo will erst nicht recht fließen, aber die Kernsätze des Liedes führt sie mit einem demütigen wie feierlichen Ton zum delikaten Morendo am Schluss.

Der letzte Satz wird zum Ereignis: Jetzt zeigen die Würzburger, dass sie die Reserven für den wilden Aufruhr haben, weil sie die Gewalt des Fortissimo nicht schon vorher im Lärm entwertet haben. Calesso baut eine unglaubliche Steigerung auf, lockt eine geradezu filmische Spannung aus dem Orchester und spielt den Sog der Dynamik voll aus. Als dann im „Aufersteh’n“ der von Sören Eckhoff grandios einstudierte Chor und Extrachor des Mainfrankentheaters in schwebendem Piano einsetzt, öffnet sich eine andere Welt. Die Dramaturgie der Tempi und der Lautstärke bewährt sich nun: Mit dem prachtvollen Chor wird der Kulminationspunkt des Finales erreicht, aber Triumph und Pathos vernebeln selbst in diesem Moment der Klangentfaltung nicht den Blick auf die Gliederung der Masse.

Noch einmal: Größere Orchester mögen solche Momente wuchtiger, exakter geschnitten, plastischer realisieren können, aber die Philharmoniker unter Enrico Calesso ziehen dank eines mitreißenden Einsatzes und einer überlegten Dramaturgie mit ihnen gleich. Dass der Dirigent nach fast einer halben Minute atemloser Ruhe mit Jubel überflutet und von Oberbürgermeister Christian Schuchardt mit der Silbernen Stadtplakette geehrt wurde, rundete den Abend würdig ab. Am 5. März verabschiedete sich Enrico Calesso mit einer „Wozzeck“-Vorstellung in der Oper von seinem Publikum.

Werner Häußner

 

 

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