Barocke Opernrarität in Würzburg:
„Alessandro nell’ Indie“ von Baldassare Galuppi (Vorstellung: 14. 7. 2015)
Alessandros Gegenspieler König Poro (Denis Lakey) und Königin Cleofide (Silke Evers) in einer Eifersuchtsszene (Foto: Nico Manger)
Im Mainfrankentheater in Würzburg, wo bereits des Öfteren Opernraritäten auf dem Spielplan standen, zeigte nun die Barockoper „Alessandro nell’ Indie“ von Baldassare Galuppi, deren Uraufführung im Jahr 1738 während des Karnevals in Mantua stattfand. Im Mittelpunkt der Handlung des Werks, dessen Libretto Pietro Metastasio verfasste, steht der makedonische König und Feldherr Alexander der Große.
Baldassare Galuppi (1706 – 1785) wurde von seinem Vater, der neben seinem Beruf als Barbier nebenbei Theatergeiger war, unterwiesen und schrieb bereits mit 16 Jahren seine erste Oper. Da das Werk keinen Erfolg hatte, nahm er bei Antonio Lotti Unterricht, dessen bester Schüler er wurde. Mit seiner Oper Dorinda feierte er 1729 einen großen Triumph. Als Maestro di musica am Ospedale die Medicanti erreichte er ein Aufführungsniveau, das in Venedig als unübertroffen galt. Von 1741 bis 1743 wirkte er in London als Komponist der Opera seria, danach adaptierte er neapolitanische Werke für die venezianischen Bühnen. 1762 erhielt er das höchste musikalische Amt der Stadt und wurde Maestro di cappella an der Markuskirche. Durch die Zusammenarbeit mit Goldoni fand seine Karriere als Komponist der Opera buffa ihren Höhepunkt. Zu seiner Zeit war Galuppi, der rund 100 Opern, aber auch Kirchenmusik schrieb, der populärste Komponist, dessen Werke von Spanien bis Russland gespielt wurden.
Die Geschichte, die Metastasio erzählt, spielt im heutigen Grenzgebiet von Afghanistan, Pakistan und Indien, also in einer Gegend, in der es bis heute zu Unruhen kommt. Dazu ein Zitat des französischen Regisseurs François De Carpentries aus einem im illustrativ gestalteten Programmheft abgedruckt ist: „Diese Region wird auch ‚Friedhof der Zivilisation‘ genannt. Hier findet sich seit der Zeit Alexanders ein ständiger Kampf zwischen Kulturen undweltanschaulichen Konzepten statt. Daran wollen wir in unserer Inszenierung erinnern. Deswegen bringen wir auch keine barocke Kostümoper auf die Bühne, sondern eine Geschichte für heutige Menschen.“
Die Titelrolle verkörperte der amerikanische Tenor Joshua Whitener (Foto: Nico Manger)
Das Publikum im Mainfrankentheater, also die heutigen Menschen, nahmen jedoch das Konzept des Regisseurs sehr gemischt auf. Des Öfteren wurde herzhaft gelacht – beispielsweise wenn Alexander der Große immer wieder mit seinem Handy telefoniert oder sein Vertrauter Timagene mit einer Aktentasche voll von Papieren, aber auch Pistolen, Alexander nachläuft. Dass fast alle Personen auf der Bühne ständig mit Revolvern hantieren, ist man ja bereits aus vielen Inszenierungen gewohnt. Bemerkenswert an der Würzburger Produktion, die in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln gebracht wurde, war, dass zwei verschiedene Schlüsse gezeigt wurden. Neben dem in der Barockzeit üblichen Happyend gab es noch ein Ende mit tragischem Ausgang: Cleofide, die Alessandro zu heiraten bereit ist, stößt ihn zurück und sprengt sich in die Luft, um so dem geliebten Poro in den Tod zu folgen.
Für die Bühnengestaltung, die mit wenigen Requisiten auskam, und für die Kostüme war die Belgierin Karine Van Hercke zuständig, die das Regiekonzept kongenial umsetzte. Alexander war von Kopf bis zu den Füßen weiß gekleidet, sein Gegenspieler König Poro war ähnlich wie der frühere afghanische Präsident Hamid Karsai gewandet (mit seiner typischen Kopfbedeckung), während Cleofide, die Königin eines Teils von Indien, elegant-ästhetische Kleider trug.
Die Titelrolle war mit dem amerikanischen Tenor Joshua Whitener besetzt, der sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch beeindruckte. Von hohem Wuchs und sportlich-männlicher Ausstrahlung, kann man von einer Idealbesetzung sprechen. Ihm ebenbürtig der in Südafrika geborene britische Countertenor Denis Lakey als König Poro, der seine Eifersuchtsszenen mit starkem mimischen Ausdruck spielte und wandlungsfähiger Stimme sang. Großartig seine Szenen mit Cleofide, die von der attraktiven deutschen Sopranistin Silke Evers eindrucksvoll dargestellt wurde.
Für die exzellente Ensembleleistung des Mainfrankentheaters sorgten auch die deutsch-amerikanische Mezzosopranistin Sonja Koppelhuber als Erissena, die Schwester Poros, die mit Gandarte, dem General Poros liiert ist, aber auch von Alexander bewundert wird, sowie in den beiden Hosenrollen Gandarte und Timagene die deutschen Sopranistinnen Anja Gutgesell und Maximiliane Schweda.
Die Komparserie des Mainfranken-Theaters hatte vor allem Flüchtlinge darzustellen, die immer wieder die Bühne bevölkerten. Die Anspielung auf die heutige Situation in der Welt war nicht zu übersehen.
Das Philharmonische Orchester Würzburg wurde vom jungen italienischen Dirigenten Enrico Calesso sehr einfühlsam geleitet, wobei man im ersten Teil das Gefühl bekam, dass die Musik regelrecht zelebriert wurde. Über die Opernmusik des in Vergessenheit geratenen Komponisten schreibt Reclams Opernführer: „Galuppi achtete auf die klare Verständlichkeit des Textes; seine kurzen Arien sind melodisch immer erfindungsreich und überraschen durch ihre lebhafte Rhythmik. Unter seinem Einfluss errang das Orchester eigene dramatische Bedeutung, da es sich von der Gesangslinie gelegentlich abhob.“
Das von der musikalischen Qualität begeisterte Publikum spendete am Schluss allen Mitwirkenden nicht enden wollenden Beifall, unter den sich auch ein paar schrille Jubelschreie von jungen Zuschauern mischten.
Udo Pacolt