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WÜRZBURG: 1. SINFONIEKONZERT DES PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS ( Siegfried und Richard Wagner, Franz Liszt). Enrico Calesso/ Bernd Glemser)

25.10.2019 | Konzert/Liederabende

WÜRZBURG: Siegfried Wagner im 1. Sinfoniekonzert des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS unter GMD ENRICO CALESSO mit BERND GLEMSER (Klavier)
24.10. 2019 (Werner Häußner)

Siegfried Wagners 150. Geburtstag in diesem Jahr ist zumindest in der musikalischen Praxis ohne Echo geblieben. Ambitioniertestes Projekt war die szenische Aufführung seiner Oper „An allem ist Hütchen schuld“ zur Festspielzeit im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth, wo der Wagner-Sohn und „Erbe des Hügels“ von 1908 bis zu seinem Tod 1930 als Festspielleiter fungierte. Zu der Handvoll musikalischer Reverenzen gesellte sich nun in Würzburg das Vorspiel zu „Sonnenflammen“, mit Bravour und Hingabe dirigiert und gespielt vom Philharmonischen Orchester unter GMD Enrico Calesso. Und wieder zeigte sich – wie zuletzt in der konzertanten Aufführung der ganzen Oper 2003 in Halle –, wie wirksam und eigenständig sich diese Musik präsentiert. So, dass man ein weiteres Mal bedauert, eine der 14 vollendeten (und drei unvollendeten) Opern mit ihren psychologisch verdichteten Kunstmärchen-Stoffen kaum je einmal auf einer Bühne erleben zu können. Stoff für kluge Regisseure böten Siegfrieds selbst verfasste Libretti allemal.

Siegfried Wagner hatte es schon zu Lebzeiten schwer: Er wurde eher als Dirigent und Festspiel-Intendant wahrgenommen. Vom Komponisten erwarteten die einen die Fortsetzung von Stoffen und Stil des Vaters. Den anderen schien klar, dass nach dem „Genie“ nur ein mediokrer Epigone kommen kann. Siegfried erfüllte keine der Erwartungen; dass seine fest in der tonalen Tradition wurzelnde, von seinem Lehrer Engelbert Humperdinck geprägte, zwischen kunstvoller „Volkston“-Naivität und sublimen harmonischen Feinheiten agierende Musiksprache nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend aus der Zeit gefallen war, ist kein Argument gegen eine heutige Rezeption, ließ ihn aber in den Zwanziger Jahren schon in den Hintergrund treten.

Entscheidender aber ist die Stellung des Wagner-Sohnes im kunstpolitischen Gemenge und zwischen den Mahlwerken von Meister-Vergötterung und Ablehnung des antisemitischen, zunehmend ins braun kontaminierte nationalistische Fahrwasser abdriftenden Bayreuther Wagner-Kults. Was bei dem schwulen Siegfried Camouflage und was ehrliche Meinungsäußerung war, ist bis heute in der Forschung umstritten. Wie weit hat er den Antisemitismus seiner Mutter und seines Bayreuther Umfelds aus Überzeugung mitgetragen? Wie weit sind sein strammer Nationalismus und seine Hitler-Gewogenheit notgedrungene Verbeugungen eines latent existenzbedrohten Homosexuellen, der in seinem Herzen ganz anders gefühlt, in seinem Inneren ganz anders gedacht hat? Und inwieweit lässt sich die These seines Biographen Peter P. Pachl rechtfertigen, dass er seine inneren Kämpfe wie seine wahre Einstellung in seinen selbst geschriebenen Libretti in komplexen Chiffren verborgen und zugleich offenbart hat?

All das wäre dankbarer Stoff für Reflexionen auf der Bühne, würde Siegfried nicht – ähnlich wie Hans Pfitzner – als eine Art Proto-Nazi von vornherein unter Generalverdacht gestellt. Die Annahme liegt nicht fern, dass so mancher Intendant oder Dirigent ganz gerne einmal eine Siegfried-Oper ausprobieren würde, aber vor der Gefahr zurückschreckt, politisch gebrandmarkt zu werden. Correctness hat ihren Preis.

Enrico Calesso hat in Würzburg für das erste Sinfoniekonzert der Saison das knapp zehnminütige „Sonnenflammen“-Prélude sorgfältig vorbereitet und das eigentümliche Idiom Siegfried Wagners liebevoll ausmodelliert. Zu hören sind von Flöten und Horn umspielte, brucknerische Idyllen, züngelnde Violinen und unruhig-spritzige Melodik bei schweigenden Bässen, große, komplex geschichtete Orchestertutti, ein wenig tänzerischer Volkston und feierlicher Horngesang mit dem schönen Ton von Wolfgang Bayh, ein lyrisches Oboen- und ein Violinsolo Franz-Peter Fischers am Ende. Das Schwanken Wagners zwischen der Spätromantik seines Lehrers Engelbert Humperdinck und der fessellosen Kühnheit Gustav Mahlers hat Calesso treffsicher ausgearbeitet. An Richard erinnert in dieser Musik nichts.

„Familienbande“ war der Titel des Konzerts – und in diesem Sinne gehört zum Sohn der Vater: Das „Siegfried-Idyll“, geschrieben zu „Fidi’s“ Geburtstag 1869 und aufgeführt an Weihnachten des Folgejahrs von einem Fünfzehn-Mann-Kammerorchester im Treppenhaus des Tribschener Exils Wagners, leitete den zweiten Teil des Abends ein. Calesso nimmt es rasch und ohne sentimentales Schweifen; die Streicher des Orchesters können lyrische Gelöstheit zeigen. Und zur Familie gehört auch Franz Liszt: Sein „Totentanz“, formal ein Variationensatz, ist tatsächlich ein Bravourstück, ein pianistisches Primadonnen-Vehikel, das mit verblüffender Virtuosität ebenso ungeniert prunkt wie mit dem Schauder des „Dies Irae“-Themas.

Mit Bernd Glemser saß der rechte Hexenmeister am Flügel. Er lässt den Knochenmann lustvoll aufspielen, und das Orchester schrillt und brummt bösartig dazu, als wären wir in den „Tales of the Crypt“. Glemser kann aber auch anders: Er gestaltet Momente des verhaltenen Pathos mit lyrisch-resignativem Klang, wie ein sanft-fahler Nachhall zu den dröhnenden Schritten des Todes. In Richard Strauss‘ „Burleske“, dem zweifellos substanzvollsten Stück des Abends, genießt Glemser mit klarem Ton und niemals verwaschenen Konturen die strahlende, spielfreudige Selbstverliebtheit dieses Bravourstücks, dessen Möglichkeiten er souverän ausschöpft. Als Dank für den herzlichen, langen Beifall gibt es Rachmaninows Prélude op. 32/12 mit der unvergleichlich klaren Delikatesse, die auch seine Aufnahmen auszeichnet.

Werner Häußner

 

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