WOLFGANG AMADEUS MOZART „DIE VERSTELLTE GÄRTNERIN“ – Live-Mitschnitt aus dem Prinzregententheater vom Februar 2017; cpo
Singspielfassung des „Dramma giocoso“ La Finta Giardiniera KV 196, deutscher Text vermutlich von Johann Franz Joseph Stierle d. Ä.
Schauspieler- und Sängertruppen zogen im 18. Jahrhundert landauf landab, mit Possen, Komödien, Singspielen, Dramen sowie eigenen Kulissen und Kostümen im Gepäck. Stand anfangs die bloße Publikumsbelustigung im Vordergrund, so brachte die Aufklärung ein breiteres Repertoire, das auch Shakespeare und das junge deutsche Literaturdrama miteinschloss.
So ein Impresario, Regisseur, Schauspieler und Sänger war der Oberösterreicher Johann Heinrich Böhm, der 1779 mit seinem Wandertheater nach Salzburg kam. Leopold Mozart, Wolfi und Nannerl begeisterten sich für deren Vorstellungen im fürsterzbischöflichen Hoftheater. Offenbar gefiel das Gebotene so gut, dass sich daraus eine lange Freundschaft und künstlerische Zusammenarbeit Böhms und seines Ensembles mit Wolfgang Amadeus Mozart entwickelte. So entstand 1779 das nie vollendete Singspiel „Zaide“. Der größte gemeinsame Hit war aber das Singspiel „Die verstellte Gärtnerin“, die Böhm in Augsburg, Ulm, Nürnberg, Kassel, Frankfurt bis Mainz, Köln und Aachen auf den Brettern, die die Welt bedeuten, aufführte. Die Secco Rezitative wurden durch gesprochene Texte ersetzt und die Chöre, Arien und Ensembles in die deutsche Sprache übersetzt. Das rührige Ensemble hatte zudem Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ und eine Singspielversion des „Don Giovanni“ im Repertoire.
Die erste Version in italienischer Sprache mit dem Titel „La finta giardiniera“ des 19-jährigen Mozart wurde anlässlich des Münchner Faschings im Opernhaus am Salvatorplatz am 13.1.1775 uraufgeführt. Mozart mischte in das typische opera buffa Genre gekonnt seria-Tüpfelchen, sodass eine für ihn so typische und damals wohl äußerst beliebte opera semiseria entstand. Wie in seinen späteren Meisterwerken „Le nozze di Figaro“ und „Don Giovanni“ verblüfft in „Die verstellte Gärtnerin“ der Einfallsreichtum, die Qualität und melodische Strahlkraft der Arien als auch die virtuose Meisterschaft der ersten beiden groß angelegten Finali (jeweils ca. 15 Minuten). Abgesehen davon ist Mozarts Musik stets unterhaltsam, voller Ironie und Augenzwinkern über das skurrile Treiben von drei liebesverwirrten und zerstrittenen Paaren. In die Komödie lugen da und an Rachezorn, reflektiertes Innehalten und schmerzerfüllte Trübungen, weil das ‚frohe‘ Spiel der Liebe – wie wir wissen – durchaus unversehens zu heftigen Gefühlsschwankungen führen, ja ins Tragische kippen kann. So ist etwa die Hosenrolle des Ramiro, Liebhaber der Arminda, aber von dieser verlassen, nicht zufällig als reine seria-Partie angelegt oder muss Sandrina im nächtlichen Wald im unheilfegenden c-Moll angstvoll bangen (Arie Nr. 21 und Cavatine Nr. 22, CD 2).
2017 fand sich unter der quirlig-flotten, die vielfältigen Stimmungen mit dem Münchner Rundfunkorchester fein modellierenden musikalischen Leitung von Andrew Parrott eine illustre Sängerschar zusammen, die nicht nur stilistisch vorbildlich und klangedel musizierte, sondern auch die Dialoge wortdeutlich und ausdrucksstark gestaltete. Dass es sich damals ‚nur‘ um zwei konzertante Aufführungen handelte, verwundert, weil selbst das bloße akustische Nacherlebnis mit enorm viel Theaterblut und Witz, Spontanität und komödiantischer Unmittelbarkeit überrascht.
Wir bitten vor den Vorhang: Sandrine Piau rettet als Gräfin Violante Onesti (unter dem Namen Sandrine camouflierte Gärtnerin am Hofe des Bürgermeisters Don Anchise) mit ihrem verführerisch gurrenden, volltönenden lyrischen Sopran ihren Grafen Belfiore vor der Verhaftung.
Julian Prégardien gibt diesen brutalen Schuft, der die Gräfin in einem Streit mit dem Messer angegriffen hat, mit seinem wunderbar frei strömenden, schlanken Tenor eigentlich ein wenig zu sympathisch. So eine schöne Stimm‘ und so ein fürchterlicher Hallodri. Piau kann aber auch köstlich exaltiert und entschieden die unerwünschten Anbandeleien des Bürgermeisters abwehren. Belfiore ist im Haus des Bürgermeisters, um dessen Nichte Arminda zu heiraten. Ein Graf im Hause erspart zwar nicht den Zimmermann, aber bringt gesellschaftliches Prestige und damals wohl auch politisches Kapital.
Susanne Bernhard darf als Arminda nicht nur die liebliche Braut mimen, sondern in ihrer erregten Arie „Um deine Strafe zu fühlen“ (Nr. 13, CD 2) ihrer schäumenden Wut nachhängen. Ritter Ramiro, der Ex Armindas ist ebenfalls da und muss sich all die emotional oberflächliche Unbeständigkeit reinziehen. Die Niederländerin Olivia Vermeulen schlüpft in die Hosen dieses betrogenen, am Ende aber alle Konflikte lösenden Deus ex machina mit ihrem samtig aufblühenden Prachtmezzo.
Lydia Teuscher darf als Kammerzofe Serpetta mit spitzzüngigem Sopran die eifersüchtige, weil abgelegte Angebetete des Bürgermeisters zicken. Was für ein Glück, dass sich Roberto, der Diener von Violante, unter dem falschen Namen Nardo für das kecke Zöfchen interessiert.
Michael Kupfer-Radecky kann als vermeintlicher Bruder der Gräfin sein beachtliches komödiantisches Talent einbringen. Obwohl schon im schweren Wagnerfach (u.a. Hans Sachs, Wotan) zu Hause, ist der am Mozarteum ausgebildete Sänger ein exzellenter Mozartsänger. Das trifft auch auf Wolfgang Ablinger-Sperrhacke zu, der als johannestriebiger Bürgermeister eine Charakterstudie der Sonderklasse hinlegt. So wichtig sein Engagement für die Freiheit von Musik und gegen willkürlich scheinende Lockdowns (Initiative „Aufstehen für Kunst“) während der Corona-Epidemie und die Rechte von Sängerinnen und Sänger auch sein mag, von Berufs wegen ist Ablinger-Sperrhacke Sänger, und was für einer! Wie er in der anspruchsvollen Auftrittsarie „In meiner Brust erschallet“ (Nr. 3, CD 1) mit obligater Flöte und Oboe die Kadenz und den Ton für das Kommende vorgibt, ist ein Glücksfall. Ablinger-Sperrhacke ist nicht nur ein Charaktertenor, dessen Mime oder Hexe weltweit einzigartig sind, sondern er ist ein echtes „Bühnentier“, der in einer totalen Rollenidentifikation auf dem vorliegenden Album für Spielwitz und präzise getimte Situationskomik sorgt. Außerdem ist er als Sprecher eine ebensolche Wucht. Singschauspieler soll man ja nicht sagen (Leonie Rysanek hat mir einmal in New York erklärt, sie könne diesen missverständlichen Ausdruck nicht leiden), aber Wolfgang Ablinger-Sperrhacke hat halt alles drauf, was für eine packende Singspieldarbietung gebraucht wird. Mehr davon bitte.
Was bei der Aufnahme final begeistert, ist nicht zuletzt der geschlossene Ensemblegeist, wo ein Rädchen ins andere greift, das Personal des Stücks einander die Bälle zuspielt und alle Protagonisten temporeich ins Sympathietor des Publikums treffen. Natürlich hat Mozart einige Elfmeter sozusagen aufgelegt. Hier möchte ich noch die gelungene Dialogregie des Paul Esperanza erwähnen, der umsichtig gekürzt und gekonnt die Sprache für das Hier und Heute adaptiert hat.
Welch vorzügliches Vergnügen!
Dr. Ingobert Waltenberger