Gaëtano Donizetti: Viva la Mamma!, Theater am Stadtgarten, Winterthur, Vorstellung: 12.05.2021
(2. Vorstellung • Premiere am 08.05.2021)
«Stille ist aller Laster Anfang»
Nachdem die Produktion des Internationalen Opernstudios Zürich im vergangenen Jahr pandemiebedingt ausfallen musste, sind die aktuellen Lockerungen genau richtig gekommen um die Jubiläumsproduktion, man feiert das Jubiläum der Gründung durch den damaligen Intendanten Herbert Graf im Jahre 1961, spielen zu können.
Marketenderinnen: llya Altukhov, Vladyslav Tlushch; La Musica: Katia Ledoux; Guglielmo: Luca Bernard; Luigia: Siena Licht Miller; Procolo: Yuriy Hadzetskyy; Teufel: Andrew Moore; Gaëtano: Fritz Fenne. Foto: Herwig Prammer.
«Stille ist aller Laster Anfang» gibt sich Gaëtano Rechenschaft, als La Musica ihn ermahnt, doch endlich sein Werk zu vollenden. Das passt zu ihm, der immer tätigen Musikpumpe, dem Graphomanen, der wie Schubert oder Reger nicht eine Stunde ohne Musik verbringen konnte. Komponieren ist für ihn eine innere Notwendigkeit. Obwohl er fiebert, ist Gaëtano entschlossen das lange liegengebliebene Werk, die vor gut 14 Jahren am 20. April 1831 am Teatro Canobbiana in Mailand uraufgeführte Farsa in due atti «Le convenienze ed inconvenienze teatrali» («Bräuche und Missbräuche am Theater») zu vollenden. Die drei Gestalten, die durch La Musicas Inspiration zum Leben erwacht sind, ihn aber schon länger im Traum verfolgten, haben einen Teufel heraufbeschworen. Diesem zwingt er die Rolle der Mamm’Agata auf, die drei Figuren macht er zum Poeten, Dichter und Maestro. Die Probe des Römerstücks «Romulus und Ersilia» und damit die amüsante Lehrstunde in Sachen Operngeschichte kann beginnen. Das Publikum lernt nun die «Bräuche und Missbräuche», die liebenswürdig dargestellten Macken der einzelnen Beteiligten, der stolzen Primadonna und ihres nervtötenden Ehemann, der Seconda Donna und des Tenors, des Komponisten und des Librettisten kennen. Der Impresario sollte die ganze Truppe in Zaum halten. Jeder Sänger ist bestrebt in bestem Lichte dazu stehen, will die schönsten und wichtigsten Nummern und wird von seiner Entourage hemmungslos unterstützt. Viele der Wünsche und Forderungen prasseln auf den Komponisten ein, der seinen Frust dann beim Librettisten ablädt. Letztlich scheitert die Probe und Gaëtano ist am Ende: vom Teufel erhält er keine Verlängerung mehr.
Daria: Lina Dambrauskaité; Luigia: Siena Licht Miller. Foto: Herwig Prammer.
Regisseurin Mélanie Huber sieht sich durch die Existenz mehrerer Fassungen und der relativen Zeitgebundenheit des Stückes vor die Herausforderung gestellt eine eigene Fassung zu erstellen. Diese Fassung hat sie mit einer hinzuerfundenen Figur, dem Komponisten Donizetti (Gaëtano genannt) selbst, einer Ouvertüre und Arien aus anderen Werken Donizettis angereichert. Das Vorgehen ist durchaus möglich, erweist sich aber nicht als zwingend, denn um dem Werk «Zusammenhang zu geben» ist die zusätzliche Figur nicht notwendig, eine Ouvertüre, die nicht eröffnet, widerspricht sich eigentlich schon selbst und das Einfügen fremder Arien ist eine lang erprobte Technik. Donizettis Bestreben das Werk lange Jahre nach der Uraufführung zu überarbeiten, spricht für seine Kraft und würde dem Einfügen der Figur durchaus Sinn geben. Fritz Fennes Leistung, der den Gaëtano spielt, ist eindrücklich, aber leider wenig passend, denn er spielt mehr sich selbst als Gaëtano. Die Ouvertüre von Sebastian Androne-Nakanishi (*1989) passt bestens in das Werk, steht aber, warum auch immer nicht an ihrem Platz. Und das Einfügen fremder Arien wird von Donizetti mit dem Verwenden der Sterbearie Desdemonas aus Rossinis «Otello» ja selbst praktiziert. Die relative Zeitgebundenheit des Stückes ist nicht zu bestreiten, wäre bei entsprechender dramaturgischer Begleitung aber kein Problem, denn das Publikum ist nicht zu unterschätzen. Entscheidend ist letztlich, dass Hubers Fassung funktioniert und dazu tragen auch das schlichte, geschmackvolle Bühnenbild von Nora Johanna Gromer, die wunderbar schrägen Kostüme von Lena Hiebel und die Lichtgestaltung von Hans-Rudolf Kunz bei. Lobend ist zu erwähnen, dass die eingefügten Arien im Programmheft vermerkt sind.
Daria: Lina Dambrauskaité; Mamma Agata: Andrew Moore. Foto: Herwig Prammer.
Lina Dambrauskaité kann als Primadonna Daria überzeugen. Etwas weniger Vibrato in der Stimme wäre vielleicht sogar noch mehr. Yuriy Hadzetskyy singt ihren Ehemann Procolo und setzt sich nach Kräften für seine Gattin ein. Die deutsch-amerikanische Mezzosopranistin Siena Licht Miller ist eine Seconda Donna Luigia, die der Prima Donna ohne Weiteres das Wasser reichen kann und so die im Stück verhandelten Konflikte der Sängerinnen auch musikalisch nachvollziehbar machen. Luca Bernard begeistert als Guglielmo mit kraftvollem Tenor und sicheren Höhen. Die Rolle der Mamma Agata scheint dem Bass-Bariton Andrew Moore auf den Leib geschrieben: er verkörpert sie mustergültig. Die Mezzosopranistin Katia Ledoux gibt die bestens verständlich, raffiniert verführerische Muse «La musica». Vladyslav Tlushch als Il maestro, Ilya Altukhov als Il poeta und Xiaomeng Zhang als Il direttore ergänzen das herrlich jugendliche Ensemble.
Das Musikkollegium Winterthur und Adam Rogala am Hammerklavier unter musikalischer Leitung von Adrian Kelly exekutieren ein farbig-lebendigen Donizetti.
Das Internationalen Opernstudio zeigt sich von seiner besten Seite.
Weitere Aufführungen: 16.05.2021, 14.30 und 19.05.2021, 19.30.
14.05.2021, Jan Krobot/Zürich