Wilhering: „BRUCKNERS AFFE“ – (Generalprobe der) Uraufführung im und ums Stift Wilhering, 09. 07.2024
Eine theatralische Wanderung von Karin Peschka, Musik von Rudolf Jungwirth u. a., eine Produktion des TheaterSPECTACEL Wilhering in Kooperation mit der OÖ KulturEXPO Anton Bruckner 2024
Foto: Petra und Helmut Huber
Daß sich Anton Bruckner mit Richard Wagner 1873 in Bayreuth einen anständigen Affen angetrunken hatte, als der österreichische Kirchenmusiker und Symphoniker den Großmeister des deutschen Musiktheaters besuchte, ist längst eine legendäre Anekdote. Sie entstand beim Versuch Bruckners, Wagner eine Symphonie zu widmen, was dieser gerne annahm – nur wußten die beiden Herren am nächsten Morgen nicht mehr ganz genau, ob sie sich nun auf die 2. oder die 3. des Oberösterreichers geeinigt hätten. Ein Affe spielte aber auch schon bei der Ersten Bruckners eine Rolle, wie Bruckner-Orchester- (und KulturEXPO-)Vorstand Norbert Trawöger beim Biographen August Göllerich las: 1865/66 fand der Komponist anläßlich seiner Sommerfrische-Aufenthalte im wenige Kilometer donauaufwärts von Linz gelegenen Stift im Garten einen Affen vor, mit dem er anscheinend gut kommunizieren konnte. Göllerich meinte, daß das Hauptthema des Scherzo von dem Tier inspiriert sei, und das sanfte Trio darin die Landschaft um das Stift abbilde.
Seit nunmehr 30 Jahren bespielt der aus Profis und engagierten Laien bestehende SPECTACEL-Verein eine Scheune im Stiftshof; heuer hat er sogar ein Auftragswerk auf die Bühne gestellt. Und weil ein Spaziergang an einem Sommerabend (vielleicht von den Gelsen abgesehen) eine schöne Sache ist, wird auch die einige 100 m entfernte Orangerie einbezogen, die Stiftsgärten mit ihrer zauberhaften Bepflanzung zwischen Bauerngarten und Barock, und natürlich auch die unendlich prunkvoll ausgestaltete Rokokokirche mit ihrer satt disponierten Orgel – gespielt im Zuge der knapp vierwöchigen Aufführungsserie von Bernhard Prammer alternierend mit Michaela Deinhamer.
Karin Peschka stellt hier ihr erstes Bühnenwerk vor, zusammen mit Regisseur Joachim Rathke und Doris Happl als Dramaturgin entwickelt. Ihr bisheriges Schaffen ist überwiegend dem Erzählen gewidmet, aber umfaßt auch einiges an Lyrik. Sie rollt das Leben Bruckners von seinem Ende her auf, beginnend mit einem wahrhaften Knalleffekt: weil bei seiner höchst feierlichen Verabschiedung (Karlskirche, 11. Oktober 1896) der Chor eine seiner Motetten eher schäbig ansetzt, MUSS er seinen Sarg zertrümmern und nach dem musikalisch Rechten sehen. Bei der Gelegenheit begibt er sich dann auch gleich in seine Wohnung beim Belvedere, erschreckt seine (frühsozialistisch gestimmte) Haushälterin fast zu Tode und schreibt weiter an seiner 9. Symphonie – schließlich wollte er noch nie halbe Sachen zurücklassen! Umwabert von Bosheiten des gegenüber dem Kaiser heftig buckelnden Hanslick und dem dringenden Wunsch des Herrschers, er, Bruckner, möge, wenn schon nicht in einem Ehrengrab in Wien, dann doch wenigstens in der Gruft von St. Florian wieder Ruhe geben, trifft der alte Bruckner sein 40jähriges Ich, das sich noch ganz und gar nicht imstande fühlt, große Symphonien zu schreiben. Ein kleines Mädchen tritt auf, das den lebenslang unbeweibten Komponisten „Papa“ nennt. So endet das fast ausschließlich gesprochene „erste Kapitel“, auch „Bruckners Traum, wie er aus dem Sarg stieg“ betitelt.
Als erfahrene Mankeristen (Paulus…) machen wir uns nun brav auf den von Schauspielern angeführten Weg zum Palmenhaus für den nächsten Akt – die andere Hälfte des Publikums wird zur Kirche gelotst. In vielen kleinen pointierten szenischen Agglomeraten wird uns auf unserem Spaziergang das Thema „Bruckner und die Frauen“ nahegebracht. Beachtlich, wie flott uns die Schar der Darstellerinnen und Darsteller immer wieder unbemerkt überholt und sich zu neuen Szenen zusammenfindet.
Im Gewächshaus findet nun „die Begegnung mit dem Affen“ statt. Waren die musikalischen Beiträge im ersten Akt und unterwegs recht spärlich, so ist nun ausführlich die Komposition Jungwirths zu hören, dargeboten auf Akkordeon (Yova Serkova) und Hackbrett (Liudmila Balazed). Sie beschreibt spannend und anschaulich, in heutigem Idiom, ohne für uns erkennbare Zuordnung zu einer Kompositionstechnik, die Annäherung des symphonischen Genies an das Tier. Hier kann auch der Darsteller des 40jährigen Bruckner, Matthäus Schmidlechner, seine atemberaubenden Fähigkeiten als Charaktertenor bis weit ins Counterfach strahlen lassen, die er in Hinkunft der Wiener Staatsoper und anderen erstklassigen Häusern widmen wird. Sein Gegenüber wird von Daniel Morales Pérez getanzt, an afrikanischen Vorbildern orientierte Maske von Alexander Raid. Die Interaktion wird, choreographiert von Ilja van den Bosch, von beiden höchst überzeugend in Szene gesetzt – zuerst nähert sich Bruckner etwas naiv-läppisch dem Tier, aber dann gehen beide mehr und mehr aufeinander ein, scheinen sich zu respektieren; schließlich machen sie sich, Bruckner lernt diesbezüglich vom Affen, auf in die Freiheit.
Nun zurück zur Scheune, wo auch der „Pausenhof“ wartet; dabei wieder rechts und links des Weges, man könnte sagen, dramatische Skizzen, jetzt gesammelt zu „Mutmaßungen und Unterstellungen über Bruckner“. Während wir uns erfrischen und dann den Kirchenakt sehen, absolviert die andere Gruppe das Palmenhaus.
In der Kirche empfängt uns eine vielschichtige und effektvoll registrierte Orgelimprovisation (heute sitzt Herr Prammer am Spieltisch, sehen wir dann beim Schußapplaus). Die effektvolle Stukkatur wird durch die theatralische Beleuchtung noch lebendiger als bei Tageslicht. Wir sehen einen strengen Erzengel (Michael?) der bei „Bruckner träumt seine Himmelfahrt“ den Komponisten nicht und nicht zur Gottesmutter vorlassen will. Schließlich schafft das sein junges Hilfslehrer-Ego, zusammen mit dem Mädchen, das den alten Bruckner einst „Papa“ genannt hat.
Schließlich trifft sich das gesamte Publikum wieder im Theaterstadel, um zu sehen, wie „Bruckner sich in seine Kindheit zurückträumt“. Wir sehen, als Tänzer und Tanzmusikschreiber, den jungen Bruckner, wie er an sich und den Umständen scheitert, seine Liebe zu einer Bauerntochter Wirklichkeit werden zu lassen. Auch in diesem Akt bekommt er eine Nemesis gegenübergestellt, in Gestalt eines düsteren Schuldirektors. Seine ärmlichen und traurigen Familienverhältnisse lernen wir ebenso kennen. Zu den ergreifenden und erhebenden Klängen des Finales der 4. Symphonie vereinigen sich die Bruckner-Charaktere.
Albert Mikovits, Simone Neumayr, Sarah Wagner, Aruna Reischl. Foto: Petra und Helmut Huber
Das Stück ist sehr gut strukturiert, hat keine Durchhänger, spielt mit Dialekt und Hochsprache und gibt guten (Sänger-)Schauspielerinnen und Schauspielern jede Menge Material, um das Publikum zu faszinieren. Allenfalls zu meckern wäre, daß ein „Ave Maria“ von rund 1880 eigentlich einen etwas anderen Text hat als die heute übliche Fassung, auf was nicht geachtet wird. Als Analyse des Phänomens Bruckner ist dem Stück sicher leichter zu folgen als dem „Findling“ vor wenigen Wochen – wobei sich das in erster Linie auf die schlichte Textverständlichkeit bezieht; allerdings ist auch in Wilhering der Kirchenraum eine Herausforderung, teils auch positionsbezogen (1 m daneben ist alles gut zu verstehen…). Bühne und Kostüme (Kurt Pint) nehmen auf die Zeit Bezug, sicher in Vielem etwas abstrahiert. Nur die Nemesis (Hanslick/Erzengel/Schuldirektor) bekommt, durchaus vergnüglich, eine dicke Schaufel Bombast obendrauf. Die bescheidene, aber effektive Bühnentechnik im Stadel hat auch ihren Charme.
Thomas Kaston, Henry Mason. Foto: Petra und Helmut Huber
Wir sehen als alten Bruckner Thomas Kasten, der heuer sein 50-jähriges Bühnenjubiläum feiert; in dieser Zeit hat er teils am Linzer Landestheater gearbeitet, aber auch viele Engagements an großen Bühnen im gesamten deutschen Sprachraum absolviert. Mit dieser Erfahrung gestaltet er ein feines, humorvolles und präzises Portrait des nicht immer einfachen Musikgenies. Der mittelalte Bruckner ist der Tenor Matthäus Schmidlechner, der uns am Landestheater auch in vielen teilweisen Sprechrollen, vor allem in erstklassig inszenierten Operetten, begeistert hat, und auch heute wieder nicht „nur“ als Sänger reüssiert. Auch der jüngste Bruckner, Felix Rank, bietet eine perfekte Gestaltung, neben der anderer Rollen.
Die lustvoll ausgespielten Bösewichte oder Gegner, mitunter mit einer Prise John Cleese gestaltet, sind die Sache von Henry Mason, den wir hier erstmals nicht als Regisseur und tollen Musicalautor, sondern mit großem Vergnügen in seinem ursprünglichen Metier erleben können.
Unter den Frauenrollen sticht Simone Neumayr hervor, als resolute Haushälterin, die sogar dem Kaiser eine Gosch’n umhängen kann und auch sonst kein Blatt vor den Mund nimmt. Hervorzuheben ist aus dem großen, gut dreißigköpfigen Schauspiel- und Chorensemble auch noch Helena Dirisamer als bühnensichere Darstellerin des Kindes.
Eigentlich ist es recht lustig, wie hier als dramatische Struktur Fäden zusammenlaufen, die ihren Ursprung in Landestheaterproduktionen der letzten paar Wochen und Monate zu haben scheinen – aber alleine schon von der nötigen Zeit für die Stückentwicklung her müssen das Koinzidenzen sein: das rückwärtslaufende Leben von Benjamin Button, die aufgesplittete Bruckner-Figur (freilich ein seit langer Zeit etablierter dramaturgischer Kniff) wie im „Findling“, die Tangente Bruckner-Musiktheater wie im zuletzt produzierten Experiment „Des Ritters Traum“.
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Gut 5 Minuten kräftiger Applaus für ein aufwendiges und gelungenes Unterfangen, die Person Bruckner theatertauglich zu erklären. Die Mitnahme von Gelsenspray ist aber anzuraten.
Petra und Helmut Huber