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Wilhelm Furtwängler: Konzertmitschnitt aus dem Kunsthaus Lucerne, 26. August 1953 mit der sensationellen Erstveröffentlichung von Robert Schumanns Manfred-Ouverture AUDITE, 2 SACDs

28.02.2018 | cd

Wilhelm Furtwängler: Konzertmitschnitt aus dem Kunsthaus Lucerne, 26. August 1953 mit der sensationellen Erstveröffentlichung von Robert Schumanns Manfred-Ouverture AUDITE, 2 SACDs

Auf dem Programm des Konzerts standen noch Beethovens „Eroica“ und die vierte Symphonie von Robert Schumann, beides Werke des Standardrepertoires, von denen etliche Tondokumente des so erratisch mythischen Dirigenten erhalten sind. Wilhelm Furtwängler und das Lucerne Festival haben eine intensive gemeinsame Geschichte. Erstmals dirigierte Furtwängler 1944 bei den damaligen Internationalen Musikfestwochen Luzern. Schon damals standen die Eroica und die Vierte Schumann auf dem Programm. Ab 1947 bis 1954 war Furtwängler ständiger Gast am Pult des Schweizerischen Festspielorchesters in Luzern, ausgenommen krankheitsbedingt im Jahr 1952. 18 Konzerte sollten es insgesamt in Luzern werden, zwei davon mit dem Philharmonia Orchestra 1954. Das nun erstmals auf SACD vorliegende Konzert vom 26. August 1953 war das letzte mit dem Schweizerischen Festspielorchester, das Furtwängler besonders wegen der großen Hingabe der Musiker schätzte. Die AUDITE Edition stützt sich erstmals auf die wiedergefundenen originalen Rundfunkbänder und ist erstmals komplett inklusive der Manfred Ouverture erhätlich. Selbstredend ist die klangliche Qualität wesentlich besser als bei den bisher im Umlauf befindlichen privaten Bänder eines Revox-Kassettenrekorders.

Musikalisch ist das Konzert der hochromantischen Musiziertradition des 19. Jahrhunderts verpflichtet, es schwebt quasi wie ein seltener Meteor aus einer anderen Galaxie über dem Zuhörer. Aber besonders die monumental ehern gesehene Vierte Schumann, die Furtwängler zuvor schon im Mai 1953 mit den Berliner Philharmonikern in Berlin im Studio aufgenommen hatte, wird nicht nur Freunde finden. Bis auf den ersten Satz, wo Furtwängler in einen seiner berühmten Temporäusche verfällt (aber Achtung, der Dirigent  folgt insgesamt einer rigid kalkulierten Temporegie), scheint die Zeit stehen zu bleiben, verharrt der Dirigent in einer bleiernen Düsternis. Furtwängler hat, wie dem für die Aufführung benutzten Notenmaterial zu entnehmen ist, Instrumentalretuschen zur Aufhellung des Satzbildes als auch eine Aufweichung des Hauptzeitmaßes in den beiden Ecksätzen vorgenommen. Auch bei Beethovens Eroica gibt es „wilde“ Rubati zu konstatieren. Wie Uwe Schweikert im Booklet festhält, wird Furtwängler „überhaupt bei dramatischen Akzentuierungen schneller und steigert überproportional die Dynamik.“ Er suchte das Rettende vor dem Zerfall, was seinen teils apokalyptischen Visionen so etwas genuin Aktuelles gibt. Adorno sah Furtwängler dem Interpretieren das wiedergewinnen zu wollen, „was es im Augenblick des Verblassens verbindlicher Traditionen einzubüßen begann. Dies Rettende verlieh ihm etwas von der übermäßigen Anstrengung einer Beschwörung.“

Fazit: Furtwängler Fans werde ihre helle Freude haben. Wie bei allen Arbeiten dieses charismatischen Dirigenten glüht das Ergebnis vor Leidenschaft und dringlicher Intensität, ja existenzieller Zuspitzung, auch wenn nicht alle Details nach jetzigen Maßstäben unbedingt stringent sein oder gefallen müssen. In Zeiten oberflächlichen Marketingglanzes gerade im klassischen Musikbetrieb bietet das neue Audite-Doppelalbum jedoch eine unverzichtbare Hörerfahrung. So viel interpretatorischen Mut und künstlerisches Grenzgängertum haben nur ganz wenige Musiker zu bieten.

Kuriosum: Bei so viel künstlerischer Bedeutungsschwere kann das reich bebilderte Booklet auch mit zwei privaten, heiter idyllischen Fotos vom Baden am Luzerner See aufwarten. Furtwängler in Badehosen also.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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