Wiesbaden: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 07.11.2021 Premiere
Barbara Haveman (Isolde), Khatuna Mikaberidze (Brangäne), Marco Jentzsch) (Tristan 1.Akt). Foto: Karl und Monika Forster
Wähnte ich mich im Glauben vor wenigen Wochen in Füssen die musikalisch optimale Aufführung von „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner erlebt zu haben, doch weit gefehlt, es gibt immer wieder wundersame Überraschungen und die widerfuhr mir heute zur Premiere am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Wobei es sich allerdings hauptsächlich um das Tristan-Debüt von Marco Jentzsch handelte. Pardon meine Damen, heute erhalten die Herren der Schöpfung den Vorzug.
Marco Jentzsch (Tristan, 3. Akt.). Foto: Karl und Monika Forster
Den noch jungen Tenor erlebte ich vor 7 Jahren als Kaiser in „Die Frau ohne Schatten“ und betitelte die schöne Stimme damals als Rohdiamanten. Inzwischen mutierte die Vokalise von Marco Jentzsch zum lupenrein-facettenreichen Schliff eines Solitärs. Ein neuer Fixstern erstrahlte im musikalischen Wagner-Kosmos. In absolut völliger Rollenidentifikation durchlebte der Debütant die verwirrenden Skalen der Emotionen des Titelhelden auf bewundernswerte Weise. Ein jugendlich-strahlender Tristan mit emphatisch lyrischen Färbungen kam, sang und siegte. Jentzsch präsentierte seinen wunderschön timbrierten Tenor in allerbester Manier, überraschte mit technischer Reife, vortrefflich-intensiver Artikulation, sehr hoher Musikalität. Prächtig nuanciert ließ der Sänger sein herrliches Material stets auf Linie fließen, setzte noch im dritten Aufzug zu Tristans traumatisierten Erzählungen vokale Differenzierungen und schönstimmige Höhenausbrüche von geradezu magischer Intensität.
Pointiert wurden zudem die vokalen Attribute durch die attraktive männliche Erscheinung eines schlanken Zweimeter-Hünen. Mein Leporello kündete mir: er war heute mein 51. Tristan-Interpret und für mich die absolute Sensation! Man sollte sein Loge-Debüt am 12.12. in Bern ins Auge fassen!
Ohne jedoch die Qualitäten weiterer Kollegen zu mindern errang sich Young Doo Park die zweite Krone des Abends. In Perfektion verströmte der Bassist sein exquisites Material in kontrastreichem, individuellem Wohlklang, verlieh König Marke mit intensivem Spiel zu majestätischer Würde und Größe.
In vokaler Akkuratesse präsentierte Ks. Thomas de Vries sein imposantes, metallisches, markantes Bariton-Potenzial und überzeugte zudem darstellerisch als treusorgender Kurwenal.
Hellstrahlende Tenöre Julian Habermann/Erik Biegel schenkten dem jungen Seemann und Hirten vokales Profil. Ein tenoral keifender Melot (Andreas Karasiak) sowie Yoontaek Rhim als Steuermann ergänzten die Herren-Riege, sowie der Herrenchor (Albert Horne) des Staatstheaters.
Nun zolle ich jeder Künstlerin welche sich an die Wagner-Heroinen Brünnhilde oder Isolde wagt meinen absoluten Respekt. Barbara Haveman war eine weitere Abend-Debütantin in der Rolle der Isolde. Die Sängerin verfügt über einen lyrischen Sopran welcher sich allmählich in jugendlich-dramatische Gefilde der Racheausbrüche des ersten Aufzugs steigerte. Ließ sich von Tristan noch in die grenzenlose Liebesekstase des zweiten Aufzugs entführen, jedoch waren hier im weiteren Verlauf schon merklich angestrengte vokale Defizite erkennbar, welche sich im Finalbild deutlich ihren Tribut forderten. An der Text-Deutlichkeit sollte die Sopranistin noch arbeiten, man verstand zuweilen kein Wort. Im Streben nach großen Partien überschätzen sich oft sehr viele Künstler*innen und das Ergebnis lag heute klar auf der Hand.
Intensiv im Spiel und Ausdruck, mit kultiviert sattem dunklem Mezzosopran gesegnet schenkte Khatuna Mikaberidze der Brangäne komplexes Profil, wobei sich auch bei ihr im dritten Aufzug mühevolle Töne einschlichen.
Entgegen meinen Merkereien wurden die Künstler leistungsgerecht gefeiert insbesondere Jentzsch und Park.
Am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden waltete Michael Güttler. Erlebte ich diesen Klangkörper in sehr vielen Aufführungen u.a. Elektra, Salome, Wagners Ring sowie italienischen Opern unter diversen Dirigenten in bester Präsenz. Ja und heute? Ich hatte zuweilen den Eindruck manche Instrumental-Gruppen führten ein Eigenleben, setzten Holz-Blechbläser ein wähnte ich mich klanglich, pardon im Kurpark. Mein Platz gewährte mir beste Sicht zum Dirigenten, selten nahm er die Solisten ins Visier, war mehr oder weniger mit sich seiner Partitur und weniger dem Orchester beschäftigt. Wehmütig gedachte ich meines letzten Tristan-Klangrausches vor wenigen Wochen, trotz teils wunderschöner Streicherklänge, elementarer Holzbläser-Frequenzen und der wenigen gelungenen orchestralen Momente, wähnte ich mich im falschen Film! Entschuldigung – aber auf diesem Qualitätslevel hörte ich das Orchester noch nie! Den unerforschlich (?) tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?
Während der letzten Jahre sah ich vom Intendanten des Hauses Uwe Eric Laufenberg interessante sehenswerte Inszenierungen, nun nahm er sich Wagners genialem Meisterwerk an und produzierte mit dem Team Rolf Glittenberg (Bühne), Andrea Schmidt-Futterer (Kostüme), Andreas Frank (Licht) eine künstlerisch-ruinöse Demontage. Dabei erschien der erste Aufzug in durchaus positivem Aspekt, textgenau verlief das Geschehen, vortrefflich die Optik einer fast leeren Bühne, wenig Dekoration: ein Sessel, Kofferkuli, Kleiderständer (wenn Damen reisen), die Bühnenwand in tiefem nachtblau, ein schwarzer Vorhang (Segel?), das war´s – einfach optimal. Doch das sollte sich sobald beim zweiten Aufzug ändern, der Bühnenhintergrund erneut nachtblau, eine lange Sitz-Liege-Formation umhüllt von Tüchern, das Paar steuerte in die Ekstase, von nackten Gestalten umrahmt, Spiel jeder Menge Statisten mit Stoffagen, Krönung Isoldes zur Königin mit Krone, Reichsapfel und Zepter. Entschuldigung geht´s noch -eine der schönsten Liebesszenen der Oper wurde degradiert. Im dritten Aufzug der Messias ward gekommen, nein nicht der Messias, Tristan in weißem vielschichtigen Gewand, zunächst gekrümmt im Krankenbett, daneben gehäufte Steine, wir befinden uns auf Tristans Burg Kareol und absolviert seine Fieberträume recht munter außerhalb der unbequemen Bettstatt, da hinein schlüpfte ein Nackter, von Kurwenal fürsorglich bedeckt, damit er nicht auskühlte? Jede Menge Gesinde begrüßte seinen Herren, der haucht sein letztes betörendes Isolde, tritt ab in die Versenkung, am Krankenbett bejammert Isolde das Pseudonym, zum Liebestod ersteht Tristan neu und beide entschwinden im Nebel. Dieser verzapfte Unsinn wurde natürlich zu Recht vom erbosten Premieren-Publikum lautstark abgestraft.
Während meiner bisher 52 besuchten Inszenierungen habe ich schon so manchen Mist über mich ergehen lassen, erneut frage ich mich, welches Delirium inspiriert Regisseure zu derart abstrusen Szenerien? Wie denn auch sei, ob ich mir das optische Panoptikum sowie die orchestralen Realitäten im Hinblick auf das Traumpaar Catherine Foster/Marco Jentzsch am 05.12. + 08. Januar erneut antue? Frei nach Loges Finalmonolog: bedenken will ich´s, wer weiß was ich tu´!
Gerhard Hoffmann