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WIESBADEN: TANNHÄUSER. Premiere

20.11.2017 | Oper

Lance Ryan (Tannhäuser) Jordanka Milkova (Venus) Copyright Karl+Monika Forster
Lance Ryan (Tannhäuser) und Jordanka Milkova (Venus). Copyright: Monika und Karl Forster

Wiesbaden: „TANNHÄUSER“ – 19.11.2017 – Premiere

Mit einer gelungenen „Tannhäuser“ – Premiere (Richard Wagner) bereicherte das Hessische Staatstheater seinen umfangreichen Spielplan. Von wenigen Abstrichen abgesehen creierte Uwe Eric Laufenberg eine interessante und sehenswerte Produktion ohne szenische Exzesse, dazu entwarf Rolf Glittenberg ein imposantes Bühnenkonzept. Der rechteckig-konstante hohe Raum bildete die großzügige Perspektive, lediglich mit jeder Menge schwarzen Lounge-Sofas bestückt. Den Boden zierte ein prächtiges Fliessenmosaik, die Seitenwände aus Holz-Paneelen, die transparente Rückwand diente für Dia- und Videoprojektionen (Gérard Naziri/Falko Sternberg).

Zur Ouvertüre kauern demütig mit Tornistern bepackte Pilger kauern demütig auf den Ledergarnituren, in Einblendungen gibt der leibhaftige Papst seinen Segen, Querulanten strippen, verscheuchen die Frommen, das im Grunde recht solide Bacchanal beginnt mit viel nackter Haut, beiderlei Geschlechter umgarnen den abtrünnigen Tannhäuser, bar dieses Sündenpfuhls bedeckt der Papst seine Augen, doch schien mir, lugte er scheinheilig durch die Finger? Zu viel, zu viel rief der gestresste Liebhaber und hing schon mal ermattet über den Rückenlehnen, zog nach langem Hin und Her schließlich doch von dannen. Der Vorhang fiel kurz, ein Glaskasten ward gewahr, darin aufgebahrt Schneewittchen, doch nein es ist keusch-schlafend Elisabeth – da hatte sich Laufenberg wohl im Wagnerkosmos verirrt – in brünstigem Gebet wurde sie vom reuigen Ferngebliebenen erweckt.

Links und rechts in Reih und Glied die geordneten Garnituren, dienten den Damen als Sitzgelegenheiten, die Herren standen brav dahinter. In Epochen überbrückende prächtige Gewänder gehüllt (Marianne Glittenberg) hielt die Wartburg-Gesellschaft Einzug in die teure Halle. Laufenberg empfahl sich in hervorragender Personenregie und verstand es zudem die Massen zu bewegen. Zum schändlichen Geständnis des Sünders entsandte Frau Venus eine Delegation ihrer Nackedeis.

Das Herbstlaub fiel, die Heimkehr der Pilger steht bevor – weit gefehlt, Schnee bedeckte die Flächen, ein riesiges Kreuz links, rechts inmitten kauert Wolfram im Mini-Zelt, die barfüßige Elisabeth verliert ihr letztes Hemd und geht nackt gen hinnen. Der heimgekehrte Heinrich holt sich im Schnee ebenfalls kalte Füße, nun Buße muss sein!

Letztmals vor vier Jahren hörte ich Lance Ryan als Titelhelden und erlebte heuer einen völlig neuen Interpreten. Die Stimme des kanadischen Sängers veränderte sich zum Positiven, völlig frei der einstigen Vokal-Meriten entfaltete Ryan sein heldisches Material auf beeindruckende Weise. Die Mittellage seines Tenors schien gefestigter, die Höhen erstrahlten in silbernem Glanz und trotz kräftigem Potenzial blieben der eindrucksvollen Stimme die lyrischen Momente erhalten. Hell im Timbre entwickelte sich das Organ zu substanziellen Steigerungen und krönte seinen Vortrag mit einer höchst differenzierten ausdrucksstarken Romerzählung. Aus meiner Sicht lieferte Lance Ryan die beste Gesangsleistung des Abends.

Um es sogleich voraus zu bemerken: es ist schon lange her, dass mir eine so gewinnend erotische Venus wie Jordanka Milkova begegnete. Zur attraktiven Erscheinung im bauschigen Goldkleid, betörte die Sängerin mit sinnlich-warmem Klang ihres in allen Lagen bestens fokussierten Mezzosopran. Ob im gurrend lockenden Altregister, im furiosen Aufbrausen der dramatischen Höhen, die Stimme beinhaltete auf angenehme Weise alle Vokal-Tugenden dieser Partie.

Hell im Timbre, schönstimmig kam der junge Bariton Benjamin Russell daher, schenkte seinem Wolfram imposante Momente, wäre da nicht ein unkontrolliertes übermächtiges Vibrato (mit Sicherheit könnte ein erfahrener Pädagoge wünschenswerte Abhilfe schaffen) welches bei seinem traumhaft interpretierten Lied an den Abendstern jedoch auf wunderbare Weise gänzlich verschwand und ihn zum Publikums-Liebling erkor.

In bester Bühnenpräsenz adelte Yong Doo Park den Landgrafen Hermann, sang in sonorer Bassqualität, jedoch mit zunehmend weniger Kraftvolumen die Partie. Strahlend-lyrischen Tenorklang ließ Walther (Aaron Cawley) vermissen. Volltönend schenkte Thomas de Vries dem Biterolf dunkle Bariton-Dominanz. Ohne Fehl und Tadel fügten sich die Stimmen Joel Scott (Heinrich der Schreiber), Alexander Knight (Reimar), Stella An als burschikoser Hirte ins Geschehen. Vier Edelknaben von jungen Burschen verkörpert erhielten die Vokalise von weiblichen Chor-Soli. Bravouröse Glanzlichter bescherte in trefflichen Abstufungen vom gewaltigen Fortissimo zu fast gehauchten Pianissimo der von Albert Horne bestens vorbereitete Staatsopernchor.

Bliebe im Vokalbereich lediglich Sabina Cvilak zu nennen: das Dauertremolo, die scharfen Höhen schmeichelten in keiner Weise meinem Ohr. Die Freude zog aus meinem Herzen, oh Elisabeth was tatest Du mir an?

Unter fachkundiger Stabführung erklang Wagners Partitur in romantischer Klangtransparenz. Patrick Lange am Pult des Hessischen Staatsorchesters setzte auf voluminöse, eskalierende Instrumentation, ließ mit seinem bestens disponierten Klangkörper prächtig aufspielen und schenkte den lyrischen Momenten weiche Streicherpassagen, sphärischen Harfenklang voll Wärme und Schönheit. Sauber präzise erfüllten die Blechfraktionen in beide Proszeniums–Logen verteilt, ihre wohlklingende Autorität in der trockenen Akustik des Hauses.

Leistungsgerecht verschenkte das Publikum seine Gunst für alle Beteiligten und ließ auch das Produktionsteam großzügig daran teilhaben.

Gerhard Hoffmann

 

 

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