Wiesbaden / Staatstheater: „WERTHER“ – 19.02.2022
Wiesbaden die mondäne Kurstadt mit ihren epochalen Bauwerken, dem herrlichen Ensemble von Kurhaus und Staatstheater, Jugenstil-Bädern, Museen etc. ist immer wieder eine Reise wert. So ergab sich die glückliche konträre Konstellation des Hessischen Staatstheaters „Werther“ und „Elektra“ an einem Wochenende aufzuführen um das Opernherz in freudiger Euphorie höher schlagen zu lassen. Nach meinem letzten Besuch des „Werther“ (Jules Massenet) am 13. Januar versetzte mich derart in Begeisterung (Online-Merker + Merker 02/2022) und bedurfte einer dringenden Wiederholung, zudem es sich um die letzte Aufführung der Saison handelte.
Neben dem prächtigen Sänger-Ensemble galt natürlich mein Interesse dem an der Oper Frankfurt bewährten Dirigenten Takeshi Moriuchi als Taktstock-Gast. Mit eleganten Pinselstrichen modellierte Moriuchi mit dem vortrefflich disponierten Hessischen Staatsorchester Wiesbaden Massenets bittersüße, melancholische Partitur in betörende Klangformationen und lenkte zudem das dramatische Bühnengeschehen in realistische Dimensionen.
Mir schien das junge grandiose Solisten-Quartett war sich der Gunst der Stunde bewusst, oder ließ einfach mitreißen, sich zu Höchstleistungen animieren. Intensiver im Spiel schenkte Ioan Hotea dem unglücklichen Schwärmer Werther eine Scala darstellerischer Facetten, so grandios real, dass man unversehens mitlitt. Vokal wuchs der smarte rumänische Tenor über sich hinaus, sang regelrecht die Sterne vom Himmel, zauberte mit seinem herrlichen Timbre wunderschöne Piani und blieb den dramatischen Gefilden der Partie sowie den exponierten Höhenflügen absolut nichts schuldig. Ein Sänger der Spitzenklasse, welchem nach bereits diversen internationalen Gastspielen eine große Karriere bevorstehen dürfte.
In völliger Rollenidentifikation bezauberte erneut Fleuranne Brockway als hinreißende Charlotte, schenkte der Partie nicht nur eine unterschwellig erotische attraktive Note sondern verstand es jene Attribute auch vokal mit einzubringen. Großartig kombinierte die australische Mezzosopranistin fein differenzierte Couleurs dunkel-fülliger Altregionen mit klangvollen dramatischen Höhenausbrüchen. Das Duett im dritten Akt mit Werther ging unter die Haut, war die Vollendung pur!
Erneut führte Christopher Bolduc seinen wunderschön timbrierten Bariton in vortrefflich changierendem Farbenspiel auf Linie und verkörperte einen sympathischen jungen Albert fernab des sonstigen Rollenbildes. Michelle Ryan schenkte der Sophie darstellisch wie vokal kokette Züge sowie silberhellen Wohlklang.
Das ergriffen lauschende Publikum überschüttete das Team und Dirigenten mit wohlverdientem langem Applaus und begeisterten Bravorufen. Dachte ich so bei mir nach bisher 39 erlebten Aufführungen: Wunder gibt es immer wieder!
Ein kleiner Dämpfer jedoch ließ am nächsten Vormittag die euphorische Atmosphäre schrumpfen, denn die „Elektra“ wurde wegen Erkrankungen im Ensemble und Orchester abgesagt. Was will man tun, mit einer Träne im Knopfloch einfach akzeptieren und sich auf evtl. weitere Aufführungen freuen.
Gerhard Hoffmann