Wiesbaden: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 21.05.2020
Im Verwirrspiel der Unentschlossenheit bzw. Eigenwilligkeiten der Politik unserer deutschen Bundesländer öffnete nun Hessen zaghaft die Pforten der Musentempel, natürlich unter den strengen Vorsichts-Maßnahmen für alle (?) Beteiligten. Corona brachte so viele Events zum Erliegen u.a. auch die „Mai-Festspiele“ am Hessischen Staatstheater, es sei Herrn Intendant Uwe Eric Laufenberg gedankt, dass er einen entschlackten Spielplan raumübergreifend aller Sparten anzubieten vermochte. Unter verständlicher großer Beachtung von TV und Medien eröffnete den Reigen Günther Groissböck mit einem Liederabend vor 200 Besuchern.
An zwei Abenden folgen nun Szenen von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in der ursprünglichen Premieren-Besetzung zu „orchestraler“ Begleitung am Klavier. Blickt ich umher in diesem kleinen Kreise weniger Besucher (ich brachte es nicht übers Herz für einen Presse-Platz zu bitten und kaufte meine Eintrittskarte) beengte schon eine gewisse Beklemmnis meine Brust. Jedoch das Feuer, der Hunger, die Gier nach ungewöhnlicher Musikerwartung siegte, maskiert alle Regeln wider jede Vernunft in den hintersten Winkel meines musikalischen Schopfes verbannend, ließ mich in dieses Abenteuer stürzen um jene lodernd-wallenden Brände zu löschen.
Den auferlegt respektablen Abstand zu Sitznachbarn und jeweils einer freien Reihe dazwischen nahm ich bereits nach den ersten Piano-Akkorden nicht mehr gewahr, öffnete mich dem Sog dieser überwältigenden Musik und frönte skrupellos der Droge „Wagner“ … es gibt ein Glück das ohne Reu´!
Bevor mir jedoch das Eintauchen in den Wagner-Kosmos vergönnt, erklang zunächst als kleiner Beitrag zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven der 1. Satz aus dessen „Kreuzersonate“, auch aus Verehrung Wagners zum Komponisten-Kollegen wie Uwe Eric Laufenberg in seiner kurzen Laudatio bemerkte. Die in St. Petersburg geborene österreichische Violinistin Lidia Baich (Gattin von Andreas Schager) interpretierte mit der moldawischen Pianistin Alexandra Goloubitskaia spannungsreich, energiegeladen, stimmungsvoll in wohltemperiertem Musizierstil. Schlank im Klang, traumhaft elegisch folgte sodann das viel zu kurze, für Violine und Klavier von August Wilhelmj bearbeitete „Albumblatt“ von Richard Wagner.
Zu kammermusikalischer Transparenz sich allmählich in die überwältigenden Wogen der ekstatischen Partitur steigernd, erklang das orchestrale Vorspiel (ohne Nennung im Programm-Zettel). Nachdem das Klavier am linken Rand des überdeckten Grabens postiert, öffnete sich der Vorhang, ein Stuhl vor bläulich-meliertem Horizont schuf farblich variiert die ausgezeichnete Bühnen-Atmosphäre, spätere Film-Einblendungen wirkten völlig deplatziert.
Zwei Pausen unterbrochen die Szenen Weh, ach wehe dies zu dulden! – O sink´ hernieder, Nacht der Liebe – Rette dich Tristan… Tatest du´s wirklich? – Isoldes Liebestod.
Der irischen Maiden schenkte Catherine Foster nicht nur die optimale Erscheinung sondern auch die hinreißende Vokalise. Die für (mich) weltbeste Isolde der Gegenwart bewältigte diese Partie mit Noblesse dank ihres wunderbar farbenreichen, dramatischen Soprans. Mit prächtig aufblühendem Klang, technisch bestens versiert, vortrefflich artikulierend interpretierte Catherine Foster die stolze Königstochter. Ihr tragfähiger wunderbar grundierter Sopran, vormochte gleichwohl in extremer Höhenlage, wie während den weichen Piani zu bezaubern, regelrecht zu betören. Kultiviert in emotionaler Legato-Reinheit eröffnete Foster das herrliche Liebesduett. Überwältigend in innig-berührenden Tönen krönte die exzellente Künstlerin ihren Vortrag mit innig-berührenden Schwebe-Tönen beim Liebestod und avancierte zu Recht zur umjubelten Publikums-Favoritin.
Etwas atemlos, nicht im Einklang der hohen Tessitura sang Margarete Joswig die Brangäne und punktete mit strömendem, wärmedurchflutetem Wachgesang zu Violinen-Begleitung (Lidia Baich). Mit rauer Kehle und kräftigem Bariton zeichnete Thomas de Vries den treuen Kurwenal. Dunkle metallische Klänge vernahm man von Melot (Aaron Cawley).
Lasse ich bei Andreas Schager etwas Nachsicht walten, lag es wohl in der Natur des ungestümen, erwartungsvollen, seiner Leidenschaft kaum zügelnden Tristans, dass der Tenor ohne Rücksicht auf seine traumhaft intonierende Isolde mit Stentortönen in die Offensive ging. Angemessen dieser Kraftentfaltung steigerte sich Schager mit imposanten, hellstrahlenden Spitzentönen in die fieberumnebelte Erzählung des dritten Aufzugs und demonstrierte unmissverständlich seine tenorale Führungsposition der Tristan-Interpreten.
Anrührend, betroffen, ohne jegliche Larmoyanz sang Rene Papé im kräftigen Bass-Volumen den König Marke. Trotz intensiver Fülle des dunklen Materials konnte der vielseitig-bewährte Sänger über Defizite in Prägnanz und Intensität nicht hinweg täuschen.
Neben den musikalischen Komponenten war es faszinierend zu erleben, wie die Künstler trotz räumlicher Distanz intensive Spannungen, explizite Skalen in Gestik und Mimik die Gefühlswelten der Protagonisten glaubwürdig vermittelten. Die unterschwellig ungewöhnliche aufgeheizte Atmosphäre nahm gefangen, erzeugte Wonneschauer und zeitweilige Gänsehaut.
Eindringlich zwischen intellektuellem Kalkül, emotionaler Tiefe, hervorragend-technischer Versiertheit, bestens ausgereizten Kontrasten und pianistischer Virtuosität setzte Alexandra Goloubitskaia höchste Maßstäbe. Vortrefflich verstand es die einfühlsame Pianistin die Sänger zu begleiten, ersetzte spektakulär in charakteristisch-gestaltender Größe aufspielend illusorische Orchesterklänge.
Das Publikum feierte alle Protagonisten mit Bravos und großer Herzlichkeit und schloss die bescheiden wirkende Pianistin in die überschäumende Begeisterung mit ein.
Gerhard Hoffmann