Wiesbaden: „TRISTAN UND ISOLDE“ Derniere 02. Juli 2023
Tristan (Marco Jentzsch) nach der Vorstellung in der Kantine. Foto: Gerhard Hoffmann
Nach der Premiere von Richard Wagners Liebesepos „Tristan und Isolde“ am Hessischen Staatstheater anno 07.11.2021 (Bericht Merker 12/2021) besuchte ich alle Folge-Aufführungen und somit auch heute die Derniere-Vorstellung, für die Produktion fiel nun heute endgültig der Vorhang. Inzwischen hatte ich mich mit der Version des Teams Uwe Eric Laufenberg (Regie), Rolf Glittenberg (Bühne), Andrea Schmidt-Futterer (Kostüme) arrangiert, schloss bei obskuren Szenerien und der entbehrlichen Statisterie zuweilen die Augen, konzentrierte mich im Speziellen auf Wagners narkotisch-musikalische Sogwirkung, denn schließlich galt mein Hauptinteresse „dem“ Tristan unserer Tage Marco Jentzsch.
Die vorletzte Aufführung am Pfingstsonntag während der „Internationalen Maifestspiele“ verließ ich nach dem zweiten Aufzug das Haus bar der unerträglichen Lautstärke von Andreas Schager, Magdalena Anna Hofmann wähnte sich dem Phon-Dezibel ihres Partners anpassen zu müssen, verschonte in keiner Weise mein empfindliches Gehör. Heute jedoch fand sich wiederholt das exzellente Künstlerpaar zum großartigen, sehr kultivierten Gesang in Verschmelzung einer innigen Darstellung und verschenkte Wagner-Wonnen pur.
Zur idealen Optik der irischen Maid schenkte Magdalena Anna Hofmann ebenso ihrer Vokalise starke Akzente. In immenser Steigerung entwickelte sie kraftvoll-dramatische Couleurs im ersten Aufzug, ließ ihren stählernen Sopran mächtig aufblühen, gleisende Höhenhärten waren nicht zu überhören, doch verstand es die kluge Sängerin mit gut fundierter Mittellage und weniger Volumen bestens auszugleichen. In vortrefflicher Manier war Hofmann ihrem Tristan eine ebenbürtige Partnerin, steigerte sich behutsam in die Liebesekstase des zweiten Aufzugs und betörte während des finalen Liebestod mit beseelt- verhauchtem Schlusston.
Dunkel timbriert mit herrlich strömendem Wachgesang schenkte erneut Khatuna Mikaberidze der umsorgenden treuen Brangäne mit farbenreichem Mezzosopran ausdrucksstarkes Profil.
Wie bereits erwähnt, dürfte im Vergleich mit gegenwärtigen Rollenvertretern Marco Jentzsch derzeit als Tristan eine Spitzenposition einnehmen. In völlig glaubwürdiger Identifikation durchlebte der großartige Sänger-Darsteller die Skalen verwirrender Emotionen des Titelhelden. Frappierend zu erleben mit welcher Selbstverständlichkeit der sympathische Sänger aus schier unfassbaren Reserven seines schönstimmigen Materials im Einklang völliger Harmonie mit jugendlich strahlendem Elan aus dem Vollen schöpft. Ob nun während emphatisch-lyrischer Passagen, im ekstatischen Duett oder während der kräftezehrenden Höhenattacken der traumatischen Erzählungen des dritten Aufzugs, Jentzsch beherrschte in jedem Moment mit glanzvollem Tenor die Szenerie, gleichwohl zum Kalkül meisterhafter Artikulation.
Noblesse, Eleganz, majestätische Würde verlieh Young Doo Park intensiv im Spiel dem König Marke und verströmte in exquisiter Manier sein herrlich timbriertes Basspotenzial in überreicher Fülle.
Markant, metallisch auftrumpfend zu kräftig-bartionalem Farbenspiel beleuchtete Ks Thomas de Vries den Kurwenal. Bestens ergänzten die Stimmen Aaron Cawley (Melot), Gustavo Quaresma (Seemann), Erik Biegel (Hirt), Yoontaek Rhim (Steuermann) sowie der Kurzauftritt des Herrenchors das Ensemble.
Am Pult des gut disponierten, klangschön aufspielenden Hessischen Staatsorchester Wiesbaden waltete umsichtig Alexander Joel, vermied überzogene Emphase sowie Pseudo-Pathos. Harmonisch führte der einfühlsame Dirigent heute wohl zum vorerst letzten (?) Mal in die Partitur des farbenprächtigen Wagner-Kosmos, steigerte die Transparenz des Vorspiels in überwältigende Instrumentalwogen. Unachtsame orchestrale Differenzen störten leider die Harmonie der Liebenden im zweiten Aufzug. In mitreißender Energie lenkte Joel die narkotische Musik in überwältigende Klangdimensionen.
Das Publikum des nur zu zwei Drittel besetzten Hauses feierte alle Mitwirkenden mit lautstarker, jedoch relativ kurzer Begeisterung.
Gerhard Hoffmann