Wiesbaden: Verdi: Nabucco, konzertante Aufführung mit Anna Netrebko am 7.Mai 2023
Das“siegreiche Nabucco-Team“ am Tag danach. Foto: Instagram
Im Vorfeld drohten die beiden Nabucco-Aufführungen bei den Wiesbadener Maifestspielen zu einem mittleren Skandal zu werden. Mediokere Provinzpolitiker wollten ein Wiesbadener Auftrittsverbot für Anna Netrebko erwirken und ukrainische Hardliner nahmen diese Vorlage zum Anlass, vor der ersten Aufführung ( mit teilweise indiskutablen Bannern) zu demonstrieren und mit einigen Buhs vergeblich die Stimmung im Auditorium zu vergiften. Bei der besuchten zweiten Aufführung gab es keine Proteste mehr; Demonstrierende wären auch vom starken Regen weggespült worden.
Die Landesregierung hatte kleinlaut ihre Schirmherrschaft ausgesetzt und dank des Fernbleibens einiger kunstferner Honoratioren kamen Kenner in den Genuss der Karten, die im Nu ausverkauft waren.
Es ist der Courage und dem unbestechlichem Geist des Intendanten UWE ERIC LAUFENBERG zu verdanken, dass er sich nicht in die Knie hat zwingen lassen, und so den Festspielen zu einem künstlerisch herausragenden Höhepunkt verholfen hat.
Der Rezensent kann sich nicht erinnern, in den letzten Dekaden eine Abigaille von diesem Qualität gehört zu haben. Diese höchst anspruchsvolle Rolle verlangt von einer Sängerin fast Unmögliches: einerseits strengste Stimmkontrolle, um die Klippen der auch im Tonumfang ausladenden Partie zu meistern, andererseits auch große dramatische Kraft und Unbändigkeit, um die emotionalen Ausbrüche glaubhaft zu gestalten. ANNA NETREBKO gelingt bei ihrem Rollendebüt beides in einer nie gehörten Vollendung. Stimmtechnisch über allem erhaben, dazu mit einem Luxus- Timbre ausgestattet gibt sie der eifersüchtigen Frau alle Farben mit, vom dunkel- drohenden Brustton bis zur leichtesten, lyrischen Geläufigkeit im größtmöglichen Legato. Hinzu kommt eine Musikalität und Darstellungskraft, die ihresgleichen sucht. Meist ist die Rolle von Interpretinnen mehr erkämpft als frei gestaltet, Netrebko läßt einen diese Figur neu erleben. Da gibt es diese Momente, in ihrer Arie zum Beispiel. wo die Zeit stehenbleibt und die Kunstgattung Oper zum Kern und Herzen dessen gelangt, was sie so einzigartig machen kann.
Natürlich haben es die anderen da nicht leicht, mitzuhalten, doch sie tun es teilweise auf beste Weise. Eine sängerische Überraschung ist YOUNG DON PARK als Zaccaria. Diese Gesangsrolle verlangt von einem Bass alles ab. Drei große, exponierte Arien unterschiedlichster Prägung machen die Figur zentral und Park gelingt eine makellose Umsetzung. Mit profunder Stimme und großer Ruhe wird besonders die kontemplative zweite Arie zum Ereignis.
ZELIKO LUCIC hat große Meriten und ist ein erfahrener Verdi-Interpret und Rollenvertreter des Nabucco. Seine starken Momente sind die der Gestaltung der gebrochenen Herrscherfigur, wenn er im leisesten Legato Kantilenen ansetzten kann. Insgesamt merkt man eine gewisse Ermüdung seines früher so mühelosen Singens. Intonatorische Trübungen und im Forte eine weniger biegsame Tongebung sollen aber nicht seine raumgreifende Gesamt-Interpretation schmälern.
Mit großer Souveränität und schöner Stimme ist die Fenena der FLEURANNE BROCKWAY mehr als nur eine Nebenfigur. Sie schafft es, zu Abigaille einen klaren Gegenpol zu bilden und nimmt in ihrem Arioso sehr für sich ein. IOAN HOTEA als Ismaele hat die nötige Italianita, wenngleich sein Tenor höchstwahrscheinlich im leichteren Fach noch besser zu Hause ist.
ANASTASIYA TARATORKINA als strahlend singende Anna und GUSTAVO QUARESMA als sicherer Abdallo, sowie der noch etwas weißstimmige MIKHAIL BIYKOV als Sacerdote ergänzen auf hohem Niveau das Ensemble.
Der Chor der Staatstheater Wiesbaden sowie Darmstadt (Leitungen: Albert Horne, Ines Kaun) macht seine großformatige Aufgabe sehr gut. Noch homogener in den Frauenstimmen gelingt es dem Kollektiv, auch das „Va pensiero“ weit über eine Wunschkonzerterwartung zu heben.
Starke kapellmeisterliche Tugenden besitzt MICHAEL GÜTTLER, der einerseits die verdianische Stringenz nie außer Acht läßt, andererseits, gut zuhörend, den Sängern Raum gibt, sich zu entfalten. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden folgt ihm dabei konzentriert und nuancenreich. Gelungene Holzbläsersoli, sowie ein fein musiziertes Violoncello- Sextett seien dabei herausgehoben.
Im Hessischen Staatstheater konnte man Zeuge eines sensationellen Rollendebüts von Anna Netrebko werden. Das Publikum war sich dessen euphorisch bewußt.
Abschließend: Die Causa Netrebko ist viel komplexer und gar nicht so eindeutig, wie sie manchmal verkürzt dargestellt wird.
Wie leicht ist es, in unserer saturierten, sicheren Situation selbstgerecht über andere zu urteilen, die ihre Ausbildung und Karriere nicht demokratischen Regimen zu verdanken, und nun in der heiklen Situation sind, sich politisch öffentlich gegen ihre Heimatländer äußern zu müssen. Maßen wir uns nicht an, Künstler, die uns noch vor zwei Jahren lieb und teuer waren, zu richten. Sie haben mit dem Ausbruch des Krieges nichts zu tun und sich seit diesem nicht kriegstreiberisch offenbart.
Fast keine Oper im vor allem italienischem Kernrepertoire könnte heute an unseren deutschen Bühnen ohne die proporzional hohe Mitwirkung von slawischen Sängern realisiert werden. Dort, in Russland, Weißrussland, Bulgarien und natürlich auch in der Ukraine gibt es offensichtlich eine fundiertere Ausbildung als hier, die über eineinhalb Jahrhunderte gewachsen ist. Seien wir darum dankbar, denn nur mit diesen internationalen Künstlern aus wirklich aller Herren Länder können wir überhaupt Verdi auf diesem Niveau noch live hören.
Christian Konz