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WIESBADEN/ Staatstheater: „Guardami! Son Tosca!“ – Giacomo Puccinis TOSCA. Premiere

16.03.2025 | Oper international

Guardami! Son Tosca!– Giacomo Puccinis Tosca am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Premiere dieser Produktion am 15. März 2025

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Foto: Maximilian Borchardt

Eine Kirche. Sant’Andrea della Valle in Rom. Doch puristisch dargestellt, strahlend weiße Säulen flankieren einige Gläubige, die im Gebet vertieft sind. Alles umhüllt von tiefem Schwarz. Eine junge Frau erhebt sich, bedeckt ihr blondes Haar mit einem Schleier. Es ist die Marchesa Attavanti, sie trägt einen Korb mit Nahrungsmitteln unter dem Arm, will diesen unentdeckt platzieren. Doch plötzlich steht ihr ein Mann im Wege, schaut sie lange an, packt sie dann mit einem Male, zieht sie an sich und küsst sie leidenschaftlich. Es ist der Maler Mario Cavaradossi. Beide trennen sich voneinander, verschwinden im Dunkel der Kirche. Angelotti betritt die Kirche, versteckt unter einem auslaufenden, schwarzen Kapuzenmantel. Der Scarpia-Akkord setzt ein, treibt donnernd die betenden Gläubigen auseinander. Den ehemaligen Konsul erkennend wissen Sie, daß sie in Gefahr sind, sobald sie mit ihm gesehen werden. Auch er selbst versteckt sich, gehetzt sucht er nach einem Platz zum Rasten und Ruhen. 

Noch vor dem eigentlichen Einsetzen der Musik hat José Cortés mit seiner Inszenierung ein wesentliches Element in der Geschichte um Floria Tosca herausgearbeitet: Die Eifersucht der Sängerin ist in dieser Version der Geschichte mehr als berechtigt, Mario Cavaradossi betrügt sie mit der Marchesa Attavanti. Herr Cortés setzt somit den Focus der Dreiecksgeschichte auf das Seelenleben von Floria Tosca, die Zerrissenheit ihrer selbst. Konfrontiert mit einer harschen und erbarmungslosen Realität ist sie gezwungen, permanent Entscheidungen zu fällen, deren Resultate unabsehbar sind und ihren moralischen Kompass in Frage stellen.

So ist dann auch bereits der von Fabian-Jakob Balkhausen dargestellte Mesner keinesfalls ein leutseliger Mönch. In ziviler Kleidung begleitet ihn nicht das Kreuz, es ist die Flasche, die er permanent in der Hand hält. Die Realität hat ihn zum Alkoholiker gemacht, fast schon zynisch ist sein Handeln, wohlwissend, dass es in diesem Rom keinen Ausweg vor dem Handeln von Scarpia und seinem Handeln gibt. Nur stellenweise blitzt ein verschmitztes Wesen durch, beispielsweise wenn er zwei kleine Jungen anweist, sich zum Angelus in Richtung des Altars zu drehen – nur um unentdeckt einen tiefen Schluck aus seinem Flachmann zu nehmen. Doch Herr Balkhausen lässt keinen Zweifel daran, dass die eigentliche Heiterkeit, die einst den Charakter des Mesners prägte, in Resignation und Zynismus umgeschlagen ist. Das musikalische Tänzeln in der Komposition Puccinis bei „sempre lava“ wird so zu einem betrunkenen Torkeln, der Alkohol zum Ausweg vor dem Terror, mit dem Scarpia das Leben in Rom überzogen hat.

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Foto: Maximilian Borchardt

Als strahlender Kontrast erscheint der Auftritt Cavaradossis hier, voll jugendlich wirkender Leichtigkeit strahlt Otar Jorjikias Stimme und setzt mit „dammi i colori“ zu einem ersten Höhepunkt an. Schnell wird klar, daß Cavaradossi hier nicht die Schönheit als Geschenk Gottes besingt. Er rühmt sich selbst seiner vermeintlichen Fähigkeit, zwei so schöne Frauen verführt zu haben, sie als Trophäen sein eigen nennen zu können. Mit strahlendem Funkeln steigert sich Herr Jorjika im Vergleich beider Frauen, kraftvoll äußert sich das Selbstbewusstsein Cavaradossis, offen und klar stellt er die Qualitäten beider Frauen gegeneinander, um im prachtvollen Legato zum Schluß zu kommen, welche für ihn den Hauptgewinn darstellt: „Tosca – sei tu“!

Tosca ist für Cavaradossi also eine anbetungswürdige Frau und ihr Auftritt in Folge greift diesen Gedanken auf, denn sie erscheint hier als Maria Immaculata, verschleiert und mit Strahlenkranz im Haar. Und hier liegt nun ein feiner Unterschied, denn Cavaradossi sieht in Tosca eine Maria Magdalena, keinesfalls die unbefleckte Jungfrau Maria. Nun wäre es einfach an dieser Stelle der Versuchung anheim zu fallen und Tosca als Opfer männlichen Chauvinismus‘ darzustellen, doch glücklicherweise tappt Regisseur José Cortés nicht in diese Falle und entscheidet sich für eine weitaus komplexere Betrachtung. Denn obschon sich Tosca als unbefleckte Jungfrau inszeniert, ist sie keinesfalls zugeknöpft oder bieder. Sinéad Campbell Wallace bringt an diesem Abend gekonnt eine verführerische Diva auf die Bühne, die ihre Reize kennt und zu ihrem Vorteil einsetzt – auch stimmlich. Ihre Höhenlagen wirken leicht und sauber, ohne weiteres weiß sie die Intensität ihrer Stimme zu variieren und kann so augenblicklich von süßlich verführerischen Schmeicheleien in ein Drama der Extraklasse wechseln, als sie die Augen der Attavanti auf dem Marienbildnis Cavaradossis erkennt.

Eine Eifersucht die Herr Jorjikia mit viel Schmelz und Hingabe beantwortet und so den Auftakt für ein großartiges Duett legt: „Quale occhio al mondo può star di paro all’ardente occhio tuo nero?“ – Im Hintergrund entzünden sich Flammen und ebenso die Stimmen der beiden Liebenden, in höchster Romantik scheinen mit einem mal alle Lasten hinweg gewaschen zu sein und nur noch die Liebe zwischen Floria und Mario zu existieren – „Ah! l’alma acquieta, sempre „t’amo!“ ti dirò!“

Die Idylle währt freilich nur kurz, der Schuss von der Engelsburg hallt durch die Kirche, zwingt Angelotti zur weiteren Fluch und selbst das folgende Freudenfest über die vermeintliche Niederlage Napoleons bei Marengo wird abrupt beendet, denn Scarpia hat sich als Mönch getarnt unter die Menge gemischt und ergießt nun tödliche Schwärze über das Szenario. Vergessen ist der wohlige Augenblick, den Tosca und Cavaradossi durchlebten, perfide sät Scarpia Niedertracht und Eifersucht. Klagend wird die Stimme von Frau Campbell Wallace, spürbar der Zweifel, der an Toscas Herzen nagt. Hinter ihrem Rücken sehen wir Cavaradossi und die Attavanti turtelnd umherlaufen, während die Diva immer mehr in Wut, ja Rage verfällt und voller Zorn außer sich ist – „Tu non l’avrai stasera.Giuro“! 

Scarpia bleibt zurück in der Kirche und steht im Zentrum des Geschehens, das dank Massimo Cavaletti zu einem Triumphzug der Boshaftigkeit wird. Der Hintergrund öffnet sich, herein schreiten die Priester zur heiligen Messe, hinter ihnen eine Marienstatue tragend. Angeführt wird dieser Zug durch eine Person, die zwar im originalen Theaterstück Victorien Sardous vorkommt, im Libretto Giuseppe Giacosas und Luigi Illicas gestrichen wurde: Es ist die Königin von Neapel, Maria Karolina von Österreich, die Rom eingenommen hat um von dort aus weiter gegen Napoleon zu kämpfen. Es steht also eine Frau hinter dem Wirken Scarpia, die seinen Sadismus für Ihre Zwecke nutzt und skrupellos dabei zuschaut, wie sich dieser geifernd und an Gott lästernd immer weiter an seinen Plänen ergötzt, in nahezu perverse Extase steigert bis der der Saal im te deum vor musikalischer Intensität zu bersten scheint und den ersten Akt in einem explosiven Finale enden lässt  – „Te aeternum patrem omnis terra veneratur“!

Auch der zweite Akt wurde mit einem kurzen Vorspiel versehen, Königin Maria Karolina sitzt bei Scarpia und diktiert diesem Anweisungen, die dieser fast schon devot zu Papier bringt. Das Farnese besteht vor allen Dingen aus Schwärze, lediglich ein Schreibtisch und ein Beistelltisch sind zu sehen. Stahlträger markieren den Raum, der durch abweisende Kälte wie ein schwarzes Loch wirkt, in welchem jede Form von Licht und Hoffnung verschluckt wird. Der Mesner liegt bereits tot an der Rampe, seine Herablassung gegenüber Scarpia im ersten Akt hat ihn das Leben gekostet. Nur Scarpia ist in einem Gehrock aus gold glänzendem Brokat gekleidet, ein Versuch sich gleich einem  Sonnenkönig als Zentrum des Geschehens zu inszenieren. Doch die eisige Kälte, welche die Königin ausstrahlt, ohne auch nur ein Wort zu reden, lässt diesen Versuch zu einer lächerlichen Karrikatur schrumpfen. Erst nachdem Maria Karolina die Bühne verlässt, wagt Scarpia seine Maske der Untertänigkeit im gleichen Atemzug mit seinem Gehrock abzulegen. Nun kann er wieder frei nach seinem Gusto walten und Herr Cavaletti arbeitet einen abstoßenden, widerwärtigen Charakter heraus, dessen selbstherrliche Eitelkeit auch in der Süffisanz seines musikalischen Vortrags zur Geltung kommt. Sein Scarpia duldet keinen Widerspruch, kein Versagen, nichts soll sich ihm ungestraft in den Weg stellen. Sogar sein Häscher Spoletta (treffend als kriecherischer Duckmäuser von Jochen Elbert dargestellt) bekommt dies zu spüren, denn er steht kurz davor, selbst hingerichtet zu werden, da er Angelotti nicht finden konnte. Nur die Festnahme Cavaradossis rettet ihn vor dem sicheren Tod – „Quel bravo Spoletta!“. So lässt Scarpia seine sadistischen Triebe an Cavaradossi aus und beginnt im erneuten Beisein von Maria Karolina seine zunächst verbale Befragung, die rasch in den Folterkeller unter seinem Arbeitszimmer fortgesetzt wird.

Während sich Scarpia in den Qualen Cavaradossis aalt, sind die Qualen Toscas auch hier wieder fühl- und fassbar. Alleine zurückgelassen auf der Bühne, erleben wir eine einsame und zutiefst verletzte Frau, die nun die schwerste Prüfung ihres Lebens erfahren muss. „Oh, Dio! Che avvien, che avvien, che avvien?“. Die ohnehin schon tiefgehende Darstellung von Sinéad Campbell Wallace wird nun durch zunächst eine Schauspielerin im Hintergrund der Bühne unterstützt. Sie stellt die Prinzipien Toscas dar, klammert sich bangend an den Rosenkranz und greift Toscas Selbstbild auf, welches sie im ersten Akt bereits in ihrem Auftritt als Heilige Jungfrau darstellte. Immer größer wird ihre Verzweiflung, bis schließlich eine dritte Tosca die Bühne betritt und einen vermeintlichen Ausweg aufzuzeigen scheint. Lasziv trägt sie sich Lippenstift auf, umschmeichelt sündhaft und lasziv Scarpia, scheint bereit zu sein, dessen Verlangen zu erfüllen, jede Moral über Bord zu werfen, um ihr Ziel zu erreichen, wieder mit Mario Cavaradossi vereint sein zu können. Sie labt sich am Wein, der auf Scarpias Schreibtisch steht und stößt die Reinkarnation von Toscas Werten beiseite. So leicht scheint die Lösung zu sein, jedes weitere Leid vermeidbar, Cavaradossi zu retten und endlich die gemeinsame Zukunft nach seiner Befreiung erreichbar. Schließlich obsiegt diese Version von Tosca und verrät Scarpia das Versteck Angelottis „Nel pozzo…nel giardino…“

Welch schändlicher Verrat und gleich in zweifacher Weise, denn Tosca lügt Mario an „Tosca, hai parlato?“ – „No, amor…“, was Scarpia unverzüglich genüsslich ausweidet, woraufhin Cavaradossi Tosca strafend von sich abweist. Die Nachricht vom Sieg Napoleons platzt hinein in das schändliche Spiel Scarpias und Otar Jorjikia legt zwei Vittoria-Rufe der Extraklasse hin, hält lang beide Silben des zweiten Rufes und strotzt dabei nur so vor Kraft und Siegesbewusstsein, als habe er selbst den Sieg bei Marengo ausgefochten. Selten haben wir diese Rufe so triumphierend und innbrünstig erleben dürfen. Wüssten wir es nicht besser, müssten wir sofort an einen Wendepunkt der Geschichte glauben. Doch wir kennen den Verlauf der Geschichte und werden dieses Mal Zeuge von Toscas eigenem Sündenfall: Wir sehen, wie nun die heilige Version von Tosca der sündhaften von Scarpias Wein einschüttet, beide folgen Scarpia hinunter in den Folterkeller. Tosca bleibt alleine zurück auf der nachtschwarzen Bühne und entschuldigt ihren Entschluss sich Scarpia hinzugeben, vor sich selbst. „Vissi d’arte, vissi d’amore“ – Toscas berühmte Arie wird bei Sinéad Campbell Wallace zu einem strahlenden Bollwerk der Hoffnung im Dunkel des von Scarpia geschaffenen Leids. Voller Hingabe und Emotion öffnet Frau Wallace das Innerste vo Floria Tosca, breitet uns in vollkommener Offenheit, wogend ihre Gefühlswert, ihr Leid und ihre Sehnsucht nach einem einfachen, friedlichen Leben voller Liebe aus. Tief ergreifend rühren ihre Worte zu Tränen und gipfeln in einem von Verzweiflung und Trauer getriebenem „Signor“ – es bleiben in Stille, fast geflüstert, hauchend zart die letzten Worte einer verletzlichen, zarten und gebrochenen Frau, die sich gezwungen sieht ,ihre eigenen Prinzipien zu verraten. „Perché me ne rimuneri cosi!“. Tosender Zwischenapplaus mit zahlreichen, verdienten Brava für Frau Campbell Wallace.

Der Mord an Scarpia findet im Verborgenen statt: Tosca sticht ihn auf der Treppe zum Folterkeller nieder, folgt ihm als strafender Racheengel hinab in das Nichts jener Hölle, um dort ihr Opfer zu verhöhnen, ihm wahre Grausamkeit spüren zu lassen. Es ist die Grausamkeit einer verletzten Frau. Noch erbarmungsloser als Scarpia schlachtet sie, um all ihre Wut zu stillen. „Ti soffoca il sangue? Muori dannato! Muori! Muori! Muori“! Noch einmal steigt sie nach dem Mord hinab in den Folterkeller, holt den Passierschein, nur noch fokussiert auf das nun Notwendige um Mario zu retten und die Flucht aus Rom antreten zu können. Leise klingen die Klänge des Scarpia Akkords nach, als Tosca zurück auf der Bühne steht und sich ihre schockierten Gesichtszüge in manischem, wahnwitzigem Lachen verlieren.

Es sind Ruinen, die das Bühnenbild des dritten Akts darstellen. Reste der Säulen aus dem ersten und der Stahlträger aus dem zweiten Akt. Wie ein Schlachtfeld umhüllen Rauchschwaden die Bühne, nichts ist geblieben, außer der Zerstörung, sowohl auf der Bühne, als auch in Toscas Seele. Bomben blitzen im Hintergrund auf, es ist eine Welt ohne Gnade, in der Cavaradossi nun in zerrissenen Kleidern, bedeckt mit Schmutz stolpert. Das Papier für den Abschiedsbrief an Tosca wirft ihm ein Soldat im Unterhemd zurück ins Gesicht, nicht ohne zuvor den angebotenen Ring an sich zu nehmen. „E lucevan le stelle“ wird in Folge zu einem Ruf der Verzweiflung voller Leid und Trauer, als Resignation vor einer zerstörten Welt ohne Liebe und Hoffnung. Und auch Tosca scheint verloren, betritt sie doch die Bühne, als wäre sie im Fieberwahn, erinnernd an eine sterbende Violetta Valéry oder just dem Wahnsinn verfallene Lucia di Lammermoor. Die Haare zerzaust, in einem verdreckten Nachthemd, auch sie bedeckt mit Schmutz, ein Opfer der um sie ausgetragenen Schlacht, die keine Gewinner kennt. Noch einmal gelingt es Frau Campbell Wallace mit ihrer Stimme Scarpia zu erstechen, eiskalt und schneidend berichtet ihre Stimme vom Mord, den sie begangen hat. Noch einmal blüht im Duett von Tosca und Cavaradossi die Liebe auf, die Stimmen von Sinéad Campbell Wallace und Otar Jorjikia fliessen wie Gold durch den Saal, erzeugen wohlige Wärme, voller Trost und Hoffnung auf eine bessere Welt, von der beide tief im Inneren doch wissen, dass es sie für sie beide in diesem Leben nicht gibt. Mit majestätischen, triumphalen Klängen unterstützt das Dirigat von Chin-Chao Lin die Liebenden und macht den Trotz deutlich, der in diesem Duett steckt: Niemand kann die Liebe zwischen Tosca und Cavaradossi nehmen, selbst im Tod wird diese für immer bleiben, kraftvoll und zuversichtlich, ein Symbol für eine bessere Welt. „Trionfal di nova speme l’anima freme in celestial crescente ardor”!

Der Triumph findet im Diesseits nicht statt. Cavaradossi fällt, Tosca muss realisieren, daß sie sich selbst zu lange belogen hat, entscheidet sich für den Wahnsinn und springt hinab in den Tod. Am Ende stehen nur noch Dunkelheit und Tod. Und Rom. Die ewige Stadt.

E.A,L.

 

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