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WIESBADEN/ Staatstheater: GRÄFIN MARIZA. Premiere

06.10.2019 | Operette/Musical


Foto: Karl und Monika Forster

Wiesbaden, Staatstheater: Kalman   Gräfin Mariza, Premiere am 5.Oktober 2019

Um es vorwegzunehmen, die Mehrheit des Publikums und der Rezensent sind sich diesmal nicht einig.

Der Leiter des Operettenfestivals  Bad Ischl THOMAS ENZINGER  hat inszeniert. Dass heißt, man müsste im besten Fall sagen: arrangiert. Ranzig und bieder quält sich meist im Dialog- Schneckentempo ( Zsupan´-s Szenen ausgenommen) die Handlung kommentarlos voran. Die Geschichte der Gräfin Mariza, die sich einen Verlobten erfindet, weil sie eigentlich alleine bleiben möchte, und die sich schließlich in ihren ihr untergebenen Verwalter, den Grafen – inkognito – Tassilo, verliebt, wirkt nie motiviert. Eine betuliche Rahmenhandlung mit Kind und Greis nimmt zusätzlich den Schwung und die Ausstattung von TOTO könnte ohne Zusatzkosten aus einem Operettenfundus der 70er Jahre entstammen: so mottig und in seinem Pastellwahn eintönig dreht sich schleppend der Abend, der im Schlussakt in seinem immer seniler werdenden Witz den Wiesbadener Opernabend fast zu einem Seniorennachmittag im Altenheim werden lässt. Immerhin EVAMARIA MEYERs Tänzer bemühen sich um etwas Esprit, wenngleich sich die Choreographien von Charleston  und Czardas dann auch verdächtig ähnlich sind in der Anlage. Dass eine Dramaturgin mit von der Partie war, möchte man besser verschweigen.

Und so passiert zwischen dem Heldenpaar: nichts. Sie interessieren sich nur mühsam füreinander, haben erotisch gar keine Ambitionen und fast ist man froh für beide, wenn die Handlung auch so nichtssagend wieder auseinandergehen würde. Der sonst so bühnensichere THOMAS BLONDELLE spielt den Tassilo unentschlossen, manchmal hilflos, in Selbstmitleid zerfließend und dadurch ohne darstellerische Virilität. Stimmlich gibt er sich der Rolle leidenschaftlich mit seinem eigentimbrierten Tenor hin. Mit gewisser Sorge möchte man dem so begabtem Sänger eine bessere Fokussierung seiner Kräfte wünschen; nicht, dass ein großes Talent zu früh verglühen möge.

Seine Angebetete Mariza hat mit ihrer Figur mental gar nichts vor. SABINA CVILAK fehlt bei guter Stimme jeder Charme und jede emotionale Flexibilität für dieses Genre. Fast kratzbürstig und unnahbar verliert sie sich im Bühnengeschehen; auch sie kennt man von anderen Partien weit überzeugender.

Der Star des Abends ist zweifellos ERIK BIEGEL als Graf Koloman Zupan. Zwar wie alle mit mäßig-klingender Verstärkung ausgestattet, tobt er wie ein Orkan über die Bühnenbretter und wirkt mit seiner gelungenen Überzeichnung wie eine Figur aus einer anderen Inszenierung. Da ist Energie und körperliche Raffinesse gepaart mit direktem operettentauglichen Ungarn-Klischee und man freut sich, wenn dieser Aktivposten wieder die Bühne betritt. Seine Soubrettenpartnerin Lisa wird von SHIRA PATSCHORNIK adäquat gesungen.

Die weiteren Partien bleiben flach. Der Gastauftritt von DESIREE NICK als Fürstin Bozena etwa mag zwar mondän sein, aber sie verzettelt sich in unterschiedlichen Akzenten und der Text ihres Couplets hat den Biss eines Nikolausfeiergedichtes. Der windige Fürst Populesku alias BJÖRN BRECKHEIMER bietet keinen starken Gegenpart zu den Liebenden, der Diener Penizek wird senil von KLAUS KRÜCKEMEYER gesabbert und dem monoton Flaschen und Gläser servierenden Faktotum Tschekko (GOTTFRIED HERBE)  möchte man verdiente Altersruhe gönnen. Mit klarem Dialog und präziser Gestik fällt THOMAS JANSEN als Karl Liebenberg wohltuend auf.

Der Primas auf der Bühne IGOR MISHURISMAN spielt souveräner als sein um Intonation bemühter Solokollege aus dem Graben. Leider ist der sonst meist sichere Chor des Staatstheaters (Leitung: ALBERT HORNE) diesmal verwaschen und textlich sehr unverständlich. CHRISTOPH STILLER treibt als Dirigent passioniert nach vorne, doch das Orchester spielt pauschal und  -weil dick orchestriert – meist zu laut. Man verlässt sich auf die Tonanlage, anstatt die Balance im Feinen auszuloten.

Das Staatstheater Wiesbaden hat sich in den letzten Jahren unter Uwe Erik Laufenberg ein anderes, weit profilierteres  Profil ( mit vielen exemplarischen Produktionen)  erarbeitet als man an diesem Abend zu Gesicht bekommt.

Geschrieben werden muss aber auch, dass das Publikum die Vorstellung begeistert feiert und die kommenden Aufführungen sicher erfolgreich angenommen werden.  Geschmäcker sind verschieden, und so verläßt der Kritiker das Theater mit dem seltsamen Gefühl, an einem Mehrheitsgeschmack so gar nicht teilhaben zu können – oder auch zu wollen.

Christian Konz

 

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