Salome in Wiesbaden – Sado-Maso mit fatalem Ausgang (Premiere am 16.2.2019)
Seit der Premiere von Salome am Hessischen Staatstheater Wiesbaden ist schon viel über diese neue Produktion geschrieben worden. In den Kritiken wird sie nicht nur mit Lob bedacht, siehe online-Merker vom 17.02. Übereinstimmend an den Kritiken sind das hohe Lob und der Respekt vor der überragenden musikalischen Leistung des Orchesters unter seinem Dirigenten GMD Patrick Lange. In diesen Jubel stimme ich als Premierenbesucher gern ein. Wie selten wurde hier diese Oper mit kammermusikalischer Transparenz und Präzision musiziert und die dem Werk eigene betörende Lyrik vor dem Zuhörer ausgebreitet. Hier stand ein Dirigent am Pult, der sich in der Musik und Poesie der Lieder von Richard Strauss auskannte. So wie ein Liedbegleiter am Flügel idealerweise den roten Teppich für die Sänger ausbreitet, gelang es Patrick Lange, die stimmlich hervorragend einstudierten Rollen, auch der scheinbaren Nebenrollen, in das Gesamtkonzept einzubauen und deren wunderbare Stimmen (Simon Bode Narraboth, Young Doo Park, 1. Nazarener) richtig zu präsentieren.
An der Auswahl der Sänger, insbesondere für die Rollen der Salome und Herodias, scheinen sich die Geister der Kritiker zu scheiden. Die Frage der richtigen Besetzung auf die „Schönheit“ der Stimme zu begrenzen, geht am Problem vorbei. Birgit Nilsson mit ihrer hochdramatischen Stimme aber nicht immer sauberen Intonation hat mit ihrer Version von Salome ebenso Operngeschichte geschrieben wie die Belcanto-Sopranistin Diana Damrau , um nur zwei ganz unterschiedliche Typen von Sopranistinnen anzuführen. Auf einer uralten Aufnahme können wir heute noch Maria Cebotari als Salome und Zeitzeugin von Richard Strauss hören und darüber staunen, wie sie den mädchenhaften Schmelz ihrer Stimme für diese große Partie einsetzte. Sie war auch eine der Strauss‘schen Idealbesetzungen für die Sophie im Rosenkavalier. Welche Sophie – eine Paraderolle des Koloraturfachs – würde heute noch Salome singen? Zurück zur Premiere in Wiesbaden. Hier hat die junge Koloratur-Sopranistin Sera Gösch gezeigt, dass sie die Salome hervorragend studiert hat, die Partie mühelos schafft und trotz der immensen Anstrengung diese bis zur Schlussszene mit glockenreiner Intonation meistert. Dies ist nicht gerade wenig für eine Künstlerin, die am Anfang ihrer Karriere steht und noch Zeit hat, an ihren Farben zu arbeiten.
Während die Partie der Salome noch voller Lyrismen steckt, trifft dies auf Herodias nicht zu. Mit Andrea Baker hatte man in Wiesbaden eine ideale Besetzung gefunden, die mit großer Bühnenpräsenz und durchschlagender Stimme das personifizierte Böse verkörperte. Strauss hatte diese Rolle dem Wagnerischen Gebot von Schönklang gänzlich enthoben. Demzufolge muss die Stimme der Anstifterin zum Mord an Jochanaan („Meine Tochter hat recht getan“) auch schrill sein können.
Den Elogen für die Herren Thomas de Vries (Jochanaan) und Frank von Aken (Herodes) ist wenig hinzuzufügen. Sie haben Meisterleistungen erbracht, die ganz sicher auch auf internationaler Ebene Beachtung finden werden.
Die Inszenierung des jungen französischen Teams würde in einigen Teilen der Welt wohl noch heute einen Aufschrei von moralischer Entrüstung bewirken und dort vermutlich unter das gleiche Verdikt fallen wie einst im katholischen Wien. Hier teilte der Hofzensor kurz und knapp mit: „Die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignet sich nicht für unsere Hofbühne“. In Wiesbaden wird dieses Thema zum einzig bestimmenden. Die Kostüme legen jedenfalls Sado-Maso-Praktiken als mögliche Ursache für das Verhängnis nahe. Dies schockt heute niemand mehr, wissen doch schon Heranwachsende, dass dabei Dinge „schieflaufen“ können. Die Silberschale, auf der das Haupt des Jochanaan in den Darstellungen von Caravaggio bis zu Richard Strauss liegt, mutiert im Hessischen Staatstheater zum Seziertisch aus Edelstahl. Während im Allgemeinen der Zuhörer die bis zur letzten Note auskomponierte Grusel-Szene mit dem Scharfrichter nur musikalisch erlebt, wird man in Wiesbaden deutlicher und überträgt das Grauen in „Echtzeit“ auf zwei große Leinwände. Sollte vielleicht der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi nachgespielt werden? Wie nicht anders zu erwarten, wehrt sich Jochanaan nach Leibeskräften gegen die Hinrichtung. Das Premierenpublikum quittierte diese Kruditäten mit nicht zu überhörenden Buh-Rufen für die Iszenierung.
Dr. Christian Beinhoff