Technik trifft Mythos: Schager begeistert als Siegfried bei den Maifestspielen in Wiesbaden
Foto: Monika und Karl Forster
Am 28. Mai fand in Wiesbaden im Rahmen der Maifestspiele der dritte Ring-Abend mit Richard Wagners „Siegfried“ statt. Diese Aufführung, inszeniert von Uwe Eric Laufenberg, verlegte das Werk nun in die Gegenwart, was jedoch in vielerlei Hinsicht problematisch war. Laufenbergs Entscheidung, Siegfried als technisch versierten Teenager zu präsentieren, wirkte nicht nur unpassend, sondern auch gezwungen modernisiert. Die Idee, das Schwert Nothung mithilfe eines Laptops zu schmieden und Fafners Höhle per Tablet zu hacken, wirkte mehr wie ein verzweifelter Versuch, modern zu erscheinen, als eine sinnvolle Adaption. Der Klang des Horns, erzeugt durch ein Tablet, war ein weiteres Beispiel für die Überbetonung von Technik, die letztlich den mystischen Charakter des Stückes entzauberte.
Andreas Schager, obwohl ein etablierter Heldentenor, konnte diese fragwürdigen Regieentscheidungen nicht vollständig kompensieren. Zwar war seine Bühnenpräsenz stark, doch seine Darbietung litt unter der unglücklichen Modernisierung, die oft den Eindruck erweckte, dass Technologie die Tiefe der Charaktere überschattete. Die Darstellung von Mimes Küche in einem trostlosen Elendsviertel mit unzähligen Autoreifen im Hintergrund wirkte klischeehaft und übertrieben. Die Vielzahl von Videoschnipseln, darunter auch provokante Anspielungen auf Merkel, Putin und Trump, führte zu einer visuellen Überfrachtung, die den Zuschauer eher verwirrte als bereicherte. Diese Inszenierung verlor sich oft in ihrer eigenen Bildsprache, anstatt die narrative Klarheit und emotionale Tiefe der Oper zu fördern. Die Entscheidung, Siegfried mit einem jungen Punker statt einem Bären auftreten zu lassen, unterstrich eher den jugendlichen Trotz des Helden auf eine platte Art und Weise. Dass der Wanderer seine Antworten auf Mimes Fragen mit Videokassetten, Notebooks und iPads illustrierte, trug wenig zur Handlung bei und lenkte vielmehr ab. Diese multimediale Überfrachtung im ersten Aufzug führte zu erheblichen Ablenkungen, die die rudimentäre Personenregie bloßstellten. Die Charaktere interagierten kaum miteinander, was der emotionalen Tiefe der Szenen erheblich schadete.
Im zweiten Aufzug erwachten die projizierten Bilder eines lebenden Waldes zwar zum Leben, jedoch wirkte Fafner als projizierter Drache eher wie ein Videospielboss, was dem ernsten Ton des Werkes nicht gerecht wurde. Die Transformation Fafners in ein Videospiel, das Siegfried „gewann“, sowie die Ankunft anonym gekleideter Männer in Anzügen und einer feiernden Gesellschaft, die Siegfried gratulierten, wirkten wie ein plumper Kommentar auf Machtstrukturen und moderne Erfolgssymbole. Der dritte Aufzug, der konventionell mit Brünnhilde und Siegfrieds großem Auftritt an der Rampe endete, konnte die vorherigen Schwächen der Inszenierung nicht wettmachen. Im Gegenteil. Die Szene wirkte flach und entbehrte der erhofften Spannung, was die Aufführung insgesamt enttäuschend enden ließ. Auch hier zuhauf handwerkliche Ungereimtheiten, wie der für die Zuschauer sichtbare Auftritt der Brünnhilde, die innerhalb der Felsstatue Platz nimmt und dazu ein anderes Kostüm als in der „Walküre“ trägt. Trotz einzelner gelungener Momente blieb die Inszenierung in ihrer Gesamtheit eine völlig überladene Interpretation von Wagners Werk, die durch ihre technologische und politische Überfrachtung die Essenz der Oper verfehlte.
Andreas Schager, der seit Jahren international als Siegfried gefeiert wird, begeisterte das Wiesbadener Publikum wieder mit seinem kraftvollen und ausdauernden Gesang. Der österreichische Tenor, der die anspruchsvolle Titelpartie bereits bei der Wiesbadener Premiere verkörperte, hat seitdem eine beeindruckende künstlerische Weiterentwicklung durchgemacht. Früher wirkte seine Darstellung gelegentlich manisch und überdreht, doch inzwischen hat Schager eine bemerkenswerte Reife erlangt. Sein Umgang mit der Stimme ist ökonomischer geworden, was ihm eine souveräne und kontrollierte Darbietung ermöglicht. Diese stimmliche Gelassenheit zeigte sich an diesem Abend auch in seiner deutlich verbesserten Textsicherheit, was seiner Interpretation eine zusätzliche Ebene der Authentizität verlieh. Schager gelang es überzeugend, die jugendliche Unbekümmertheit und den forschen Charakter Siegfrieds glaubhaft darzustellen. Seine Interpretation der herausfordernden Partie war von beeindruckender Ausdauer und Energie geprägt. Besonders in den dramatischen Szenen, wie der Schmiedeszene oder der finalen Begegnung mit Brünnhilde, zeigte Schager eine beeindruckende stimmliche Präsenz und darstellerische Intensität. Seine Fähigkeit, sowohl die lyrischen als auch die heroischen Momente der Partie zu meistern, machte seinen Auftritt zu einem echten Höhepunkt der Aufführung. In mehrfacher Hinsicht war Schager an diesem Abend der Held des Abends, da er von zwei seiner Bühnenpartner nur wenig Impulse erhielt. Paul Kaufmann verkörperte einen seltsam zurückhaltenden Mime. Diese Traumpartie für jeden Charaktertenor wurde von Kaufmann kaum textlich gestaltet und lediglich korrekt gesungen, fast wie bei einem Konzertvortrag. Ein Novum, aber nicht wirklich passend für diese schillernde Partie. Für eine derart komplexe Rolle erschien seine eng geführte Stimme bedauerlicherweise zu klein und wurde bei lauteren Stellen komplett vom Orchester übertönt. Darstellerisch wirkte er allzu introvertiert, so dass von diesem Mime keinerlei Gefahr ausging. Weder wirkte er verschlagen noch mitleiderregend. Die inneren Konflikte und die Verzweiflung des Charakters brachte Kaufmann nicht überzeugend zum Ausdruck. Mimes zentrales Ränkespiel und die psychologische Spannung, die diese Figur normalerweise mitbringt, gingen in Kaufmanns Interpretation verloren. Dies war insgesamt sehr schade, da dem Abend dadurch eine zentrale Farbe fehlte. Michael Volle als Wanderer fühlte sich in dieser Wotan-Partie hörbar wohl. Seine Darbietung war kraftvoll und nuanciert, was seine Interpretation ausdrucksstark machte. Seine stimmliche Leistung war sicher, und er setzte eindrucksvolle Akzente, besonders in den dramatischen Ausbrüchen. Volles stimmliche und darstellerische Präsenz verlieh der Figur des Wanderers Vielschichtigkeit. Besonders in den Szenen mit Erda und Alberich zeigte er eine beeindruckende Bandbreite an Emotionen, von Resignation über Zorn bis hin zu verzweifelter Autorität. Volle schaffte es, die innere Zerrissenheit und den schwindenden Machtanspruch Wotans auf eindrucksvolle Weise darzustellen. Kammersänger Thomas de Vries hatte als Alberich einen weiteren besonders starken Auftritt. Mit expressiver Textgestaltung und stimmlicher Souveränität überzeugte er das Publikum auf ganzer Linie. Thomas de Vries gelang es ausgezeichnet, die Bosheit und den unbändigen Ehrgeiz Alberichs mit beeindruckender Intensität darzustellen. Seine Stimme war kraftvoll und flexibel, was seine große Klasse in der Interpretation dieser komplexen Figur erneut unter Beweis stellte. Besonders beeindruckend war seine Fähigkeit, Alberichs Verzweiflung und Wut in den Auseinandersetzungen mit dem Wanderer zu vermitteln. Seine stimmliche Vielseitigkeit und dramatische Präsenz machten seine Darstellung zu einem der Höhepunkte des Abends. Young Doo Park gab einen finsteren Fafner, dessen tiefe, bedrohliche Stimme die dunkle Seite des Charakters hervorragend einfing. Seine Szenen waren von einer intensiven, fast greifbaren Spannung geprägt.
Thomas de Vries (Alberich). Foto: Monika und Karl Forster
Anastasiya Taratorkina als Waldvogel beeindruckte mit ihren feinen, klaren Soprantönen, die der Rolle eine ätherische Qualität verliehen. Sie war gut verständlich, und ihr Sopran leuchtete mit einer samtigen Farbe, die den Zuhörern einen wahren Genuss bereitete. Ihre kristallklare Stimme und die präzise Artikulation verliehen dem Waldvogel eine bezaubernde Leichtigkeit und Anmut. Besonders in den Szenen, in denen sie Siegfried den Weg weist, schuf sie eine märchenhafte Atmosphäre, die einen faszinierenden Kontrast zu den düsteren und dramatischen Momenten der Oper bot. Helena Köhne trat im dritten Aufzug als energische Erda auf und wies den wütenden Wanderer pointiert und stimmsicher in seine Schranken. Köhnes Darstellung der weise-göttlichen Erda war kraftvoll und entschieden. Ihre starke Präsenz und ihre stimmliche Sicherheit verliehen der Figur eine beeindruckende Gravitas. Ihre tiefe, resonante Stimme und die majestätische Bühnenpräsenz vermittelten die überzeitliche Weisheit und Autorität Erdas. In der Auseinandersetzung mit dem Wanderer zeigte sie eine beeindruckende Mischung aus Bestimmtheit und Ruhe, die ihre Rolle als allwissende Erdgöttin unterstrich. Manuela Uhl hingegen konnte an diesem Abend als Brünnhilde nicht wirklich überzeugen. Obwohl ihr Engagement und der Wille, das Beste zu geben, ersichtlich waren, wurde deutlich, dass diese Rolle ihre stimmlichen Grenzen überschritt. Ihre Stimme ist im Volumen zu begrenzt, um mit einer heldischen Stimme wie der von Andreas Schager mithalten zu können. Während sie die hohen Töne erreichte, klangen diese oft spitz und es fehlte ihnen an Körper. Noch deutlicher trat die flache Mittellage und die sehr schwache Tiefe hervor, was zu stimmlichen Brüchen in ihrer Darbietung führte. Uhl’s Bemühen, die dramatische Intensität und emotionalen Nuancen der Brünnhilde zu erfassen, konnte nicht über die technischen Defizite hinwegtrösten. Ihre Darstellung wirkte in den emotionalen Höhepunkten oft überfordert, was der Rolle der Brünnhilde, die sowohl heldisch als auch tief emotional sein muss, nicht gerecht wurde. Ein Teil des Publikums reagierte enttäuscht und strafte sie leider mit Buh-Rufen ab.
Ein wesentlicher Aktivposten des Abends war das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter der souveränen Leitung von Michael Güttler. Mit energischer Hand und unermüdlichem Einsatz führte Güttler das Orchester durch den langen Abend und sorgte dabei für eine perfekte Balance und bemerkenswerte Ausdauer. Seine Fähigkeit, besondere Akzente zu setzen und einen reibungslosen Ablauf der Vorstellung zu gewährleisten, zeigte sich deutlich in einer Darbietung, die zu keinem Zeitpunkt ins Stocken geriet. Güttlers Dirigat zeichnete sich durch Präzision und klare Struktur aus. Mit einem tiefen Verständnis für die musikalischen Kontraste und dramatischen Höhepunkte des Werkes arbeitete er diese gekonnt heraus und verlieh der Aufführung eine beeindruckende Intensität. Das wache und gut reagierende Orchester wurde zu Recht in die Ovationen des Publikums einbezogen und erntete verdienten Applaus. Besonders hervorzuheben ist die Sensibilität und Musikalität, mit der die lyrischen Passagen gestaltet wurden. Die intensiv geforderten Blechbläser beeindruckten sowohl im kraftvollen Tutti als auch in ihren Solobeiträgen, während die Streicher die lyrischen und melancholischen Passagen mit Wärme und Tiefe erfüllten. Michael Güttlers Leistung ist umso bemerkenswerter, da sie ihm eine weitere bedeutende Anerkennung einbrachte: Er wird im neuen „Ring“ an der berühmten Mailänder Scala mit dem „Siegfried“ zu erleben sein. Diese Einladung an eines der prestigeträchtigsten Opernhäuser der Welt ist eine wohlverdiente Würdigung für die besondere Qualität, die Güttler auszeichnen.
Trotz einiger inszenatorischer Schwächen gelang es den Künstlern und dem Orchester, einen beeindruckenden „Siegfried“ auf die Bühne zu bringen. Das Publikum danke ausdauernd.
Dirk Schauß, 29. Mai 2024
Besuchte Vorstellung am 28. Mai im Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Richard Wagner
Siegfried
Michael Güttler, musikalische Leitung