Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIESBADEN/ Kurhaus: Konzert des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden unter Christian Kluxen (Unsuk Chin, Beethoven, Nielsen)

03.04.2025 | Konzert/Liederabende

Klangwelten zwischen Aufruhr und Leuchtkraft

klux
Foto: Copyright by Emilia Staugaard

Am Abend des 2. April 2025 erlebte das Wiesbadener Kurhaus einen Konzertabend von seltener dramaturgischer Geschlossenheit. Unter der Leitung des dänischen Gast-Dirigenten Christian Kluxen, einem Dirigenten, der sich durch Klarheit und leidenschaftliche Detailarbeit auszeichnet, präsentierte das Hessische Staatsorchester Wiesbaden ein Programm, das klangliche Extreme auslotete: von Unsuk Chins eruptivem „Subito con forza“ über die sprühende Lebendigkeit von Beethovens Vierter bis hin zu den dramatischen Gegensätzen in Carl Nielsens fünfter Sinfonie.

Mit „Subito con forza“ schuf die südkoreanische Komponistin Unsuk Chin ein Werk, das sich nicht nur auf Beethoven bezieht, sondern seine Musik in einem Kaleidoskop aus Brüchen, Fragmenten und energiegeladenen Kontrasten neu verhandelt. 2020 zum 250. Geburtstag des Komponisten uraufgeführt, ist es weniger eine Hommage als vielmehr eine Reflexion über seine rastlose, formauflösende Kraft. Der Titel – „plötzlich mit Kraft“ – fasst das Wesen der Komposition präzise zusammen: Überraschung, abrupte Richtungswechsel, ein ständiges Vorwärtsdrängen. Beethoven blitzt hier und da auf, wird wieder verschluckt, seine Gesten zerfallen in flirrende Cluster, die sich neu ordnen und mit voller Wucht entladen.

Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden erwies sich hier als ein Klangkörper von klarer Reaktionsschnelligkeit und technischer Sicherheit. Schon in der Eröffnung bewies das Orchester eine frappierende Wendigkeit: Die Streicher ließen gläserne, spröde Flächen aufleuchten, aus denen die Holzbläser mit nervösem Puls herausstachen. Das Blech – scharf und doch nie über präsent – setzte gezielte Akzente, während das Schlagzeug mit präzise dosierter Wucht die eruptiven Spannungsbögen formte. Kluxen hielt das Ensemble in einem elektrisierenden Spannungsfeld zwischen Kontrolle und entfesselter Energie, in dem sich jeder Kontrast mit maximaler Prägnanz entfaltete.

Ludwig van Beethovens vierte Sinfonie ist ein Werk, das oft im Schatten seiner gewaltigen Nachbarn steht – der heroischen Dritten und der schicksalsbeladenen Fünften. Dabei ist sie ein wahres Juwel: Schumann bezeichnete sie als Beethovens romantischste Sinfonie, und tatsächlich liegt über ihr ein feiner, tänzerischer Schimmer, der von dunklerer Dramatik durchzogen wird. Die Einleitung – eine der kühnsten im sinfonischen Oevre Beethovens – wirkt wie ein tastendes Erkunden der Dunkelheit, bevor sich das Allegro mit federnder Leichtigkeit Bahn bricht.

Hier bewies das Hessische Staatsorchester Wiesbaden seine besondere Fähigkeit, Leichtigkeit und strukturelle Klarheit mit klanglicher Substanz zu verbinden. Die Streicher, geschmeidig und von kristalliner Transparenz, phrasierten die geheimnisvolle Introduktion mit gedämpfter Spannung, bevor sie sich mit tänzerischer Eleganz ins Allegro stürzten. Die Holzbläser – allen voran die Oboe mit ihrem warmen, sprechenden Timbre – führten einen Dialog von geradezu mozartscher Finesse mit den Streichern. Die Fagotte und Klarinetten gaben dem Klangbild eine samtige Tiefe, während die Hörner und Trompeten mit subtiler Noblesse antworteten.

Christian Kluxen legte dabei eine Phrasierungsarbeit von beeindruckender Präzision an den Tag. Das zweite Thema, oft nur als kantable Episode betrachtet, wurde von den Streichern mit einem feinen, inneren Leuchten modelliert, während die dynamischen Abstufungen wie fein gezeichnete Pinselstriche wirkten. Das Adagio – hier wirklich ein poetisches Zentrum – erhielt eine anmutige Weite, in der jeder Klang mit kammermusikalischer Sensibilität ausgestaltet wurde. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden ließ die Musik nicht bloß erklingen, sondern formte sie mit atmender Natürlichkeit.

Das Finale schließlich war ein wahres Feuerwerk an Präzision und Esprit. Die Streicher entfesselten ein funkelndes Spiel, die Bläser fügten mit tänzerischer Leichtigkeit Akzente hinzu, während die Pauken mit federnder Agilität für Erdung sorgten. Kluxen hielt die Zügel fest in der Hand, ließ aber gleichzeitig eine mitreißende Unmittelbarkeit zu – ein Beethoven, der vibrierte, funkelte und mit spielerischer Intelligenz überzeugte.

Carl Nielsens fünfte Sinfonie ist ein Werk von monumentaler Gegensätzlichkeit. 1922 uraufgeführt, bewegt es sich zwischen Chaos und Ordnung, zwischen eruptiver Gewalt und fast zerbrechlicher Stille. Hier entwirft Nielsen eine Musik, die sich in permanentem Ringen befindet – ein Kampf zwischen aufbäumender, teils anarchischer Energie und der Suche nach einem übergeordneten Ganzen. Der Einsatz der kleinen Trommel ist legendär: Sie rebelliert gegen das Orchester, unterbricht, provoziert, als sei sie ein Störfaktor, den es zu bezwingen gilt.

Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden ging in dieser Sinfonie an die Grenzen der klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Streicher begannen mit unheilvollem Grollen, aus dem sich die Holzbläser wie tastende Lichtstrahlen herausschälten. Als die kleine Trommel schließlich einsetzte – schneidend, herausfordernd –, wurde das ganze Orchester in einen atemlosen Dialog verwickelt. Die Blechbläser fuhren mit messerscharfen Einwürfen dazwischen, die Streicher reagierten mit unruhigen, aufgerauten Klangflächen.

Christian Kluxen ließ diesen Kampf mit schonungsloser Intensität aufbrechen. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden zeigte sich hier als ein Ensemble, das nicht nur die Partitur exzellent durchdringt, sondern sich auch mit leidenschaftlicher Unbedingtheit in ihren Ausdruck stürzt. Das Finale – von fast hymnischer Größe – gewann in dieser Interpretation eine emotionale Wucht, die sich in einem strahlenden, ja kathartischen Schluss entlud.

Am Ende stand ein Konzert, das von der ersten bis zur letzten Note atmete, glühte und vibrierte. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden bewies sich einmal mehr als ein Ensemble von neu gewonnener Klangkultur, das nicht nur technische Kompetenz, sondern auch tiefes gestalterisches Bewusstsein in den Dienst der Musik stellte. Christian Kluxen führte es mit visionärer Klarheit und zupackender Energie, sodass jedes Werk mit seiner ganz eigenen, unverwechselbaren Farbe erschien.

Dirk Schauß, 03. April 2025

Konzert des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden im Kurhaus Wiesbaden am 02. April 2025

Foto: Copyright by Emilia Staugaard

 

Diese Seite drucken