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WIESBADEN/ Kurhaus: Hessisches Staatsorchester Wiesbaden: Zeiten – Ein Abend voller musikalischer Grenzgänge im Wiesbadener Kurhaus (Thomas Adès, Maurice Ravel und Gustav Mahler)

29.01.2025 | Konzert/Liederabende

Verschlungene Zeiten – Ein Abend voller musikalischer Grenzgänge im Wiesbadener Kurhaus am 28.1.2025.

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Foto: Christian Kleiner

Das Konzert im Kurhaus Wiesbaden am 29. Januar entführte die Zuhörer in eine Klangwelt, die zwischen Tradition und Moderne tänzelte. Mit Werken von Thomas Adès, Maurice Ravel und Gustav Mahler bot der Abend eine spannende Reise durch verschiedene musikalische Epochen, von der barocken Vergangenheit bis zur frühen Moderne. Unter der Leitung von Leo McFall und mit den Solisten Steven Osborne (Klavier) und Alyona Rostovskaya (Sopran) präsentierte das Hessische Staatsorchester Wiesbaden ein Programm, das tiefgründige Reflexion mit funkelnder Leichtigkeit vereinte.

Den Auftakt bildeten Thomas Adès‘ „Three Studies from Couperin“ aus dem Jahr 2006, ein Werk, das sich auf die Cembalo-Stücke von François Couperin stützt und sie in eine moderne, orchestrale Umgebung versetzt. Adès gelingt es, die barocken Strukturen in einen neuen, schillernden Kontext zu rücken, der Vergangenheit und Gegenwart zu einer besonderen Klanglandschaft verwebt. Leo McFall führte das Hessische Staatsorchester mit feinem Gespür durch diesen raffinierten Klangkosmos. Transparent und detailreich entfaltete sich das Spiel, stets im subtilen Dialog zwischen historischen Anklängen und modernen Klangmodulationen.

Mit Maurice Ravels Klavierkonzert in G-Dur folgte ein Meisterwerk, das europäische Klassik mit amerikanischen Jazz-Elementen vereint. Ravel, der 1928 während einer Tournee durch die USA den Jazz für sich entdeckte, integrierte dessen pulsierende Rhythmen und harmonische Raffinessen in dieses brillante Werk.

Steven Osborne, einer der herausragendsten Pianisten seiner Generation, bewältigte die Herausforderungen dieses Konzerts mit beeindruckender Leichtigkeit und Virtuosität. Im ersten Satz, dem heiteren Allegro, faszinierte er mit klarem, geschmeidigem Anschlag, der die jazzigen Akzente mit Charme und Präzision aufleuchten ließ. Sein Spiel balancierte elegant zwischen rhythmischer Schärfe und französischer Raffinesse.

Im Adagio assai offenbarte Osborne seine lyrische Meisterschaft in einer Dimension, die nur selten zu erleben ist. Die berühmte Kantilene entfaltete sich mit schwebender Schönheit, sein Anschlag war von traumwandlerischer Ruhe und Transparenz geprägt. Jede Phrase atmete eine überirdische Gelassenheit, in der die Musik nicht mehr gespielt, sondern aus tiefstem Inneren heraus empfunden wurde. Osborne ließ die Melodie aufblühen, als würde sie sich aus dem Nichts heraus entfalten. Die subtile, fast schwerelose Begleitung des Hessischen Staatsorchesters unter McFall unterstrich diesen intimen Charakter und verstärkte den Eindruck eines musikalischen Traums.

Der letzte Satz, das energiegeladene Presto, zeigte Osborne von seiner wendigen, spritzigen Seite. Mit pulsierendem Drive und brillanten Akkordkaskaden brachte er den Satz zum Funkeln. Die jazzigen Elemente wirkten pointiert, nie forciert. Das Hessische Staatsorchester begleitete mit rhythmischer Präzision und spürbarer Spielfreude. Besonders die jazzige Trompete und die farbenreichen Holzbläser im zweiten Satz setzten wunderbare Akzente. Zum Dank für den begeisterten Applaus bescherte Osborne dem Publikum eine delikate Improvisation über Musik von Keith Jarrett – ein Moment von großem musikalischem Zauber.

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Leo McFall. Foto: Christian Kleiner

Mit Gustav Mahlers vierter Sinfonie in G-Dur wandte sich das Programm einer anderen Klangwelt zu. Diese Sinfonie, 1901 uraufgeführt, verbindet heitere Unbeschwertheit mit tiefer Ernsthaftigkeit und reflektiert die Themen Tod und Ewigkeit auf versöhnliche Weise.

Der erste Satz erklang mit kammermusikalischer Transparenz, McFall legte Wert auf Ausgewogenheit und Klangschönheit. Die Holzbläser, insbesondere Flöten und Klarinetten, zeichneten warme, schimmernde Farben, während die Streicher mit samtigem Ton unterstützten. Der Satz wirkte wohlgeformt, blieb jedoch im Ausdruck eher kontrolliert als beseelt.

Im zweiten Satz hätte die groteske Doppeldeutigkeit, die Mahler anlegte, stärker hervortreten können. Die solistisch erhöhte Violine, die den Tod ironisch karikiert, klang zwar präzise, aber gestalterisch zu brav. Hier hätte McFall deutlicher an der Gestaltung des musikalischen Subtextes arbeiten können. Die „Musik hinter den Noten“, das Unheimliche, wurde nicht ganz ausgelotet.

Der dritte Satz ist das Herzstück der Sinfonie, mit einer idyllischen Ruhe, die sich in einen überwältigenden Ausbruch steigert. Hier blieb McFall seinem Ansatz treu: Statt den dramatischen Höhepunkt mit voller Kraft passioniert auszukosten, bewahrte er zu deutliche Zurückhaltung. Dadurch verlor die E-Dur-Apotheose schmerzlich an Strahlkraft, der visionäre Moment ätherischer Öffnung wurde nur angedeutet. Eine kühnere Gestaltung hätte hier für mehr emotionale Wucht sorgen können.

Der finale vierte Satz präsentiert das „himmlische Leben“ in einer kindlich-naiven Perspektive. Alyona Rostovskaya verfügte über eine gut geführte, klangschöne Sopranstimme, doch ihre Textverständlichkeit war eingeschränkt. Zudem fehlte es ihrem Vortrag an narrativer Gestaltungskraft und jener märchenhaften Unschuld, die den Satz so besonders macht. Auch McFall blieb seiner Linie treu: korrekt, ausgewogen, aber ohne die interpretatorische Zuspitzung, die den berührenden Kern dieser Musik ganz erschließen würde.

So endete ein Konzert, das durch hohe orchestrale Qualität und die überragende Solistenleistung von Steven Osborne beeindruckte, jedoch in der Mahler-Sinfonie eine künstlerische Dimension ungenutzt ließ. Langer Beifall für alle Beteiligten.

Dirk Schauß, 29. Januar 2025

Konzert im Kurhaus Wiesbaden am 28. Januar 2025

 

 

 

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