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WIESBADEN/ Kurhaus: DEUTSCHE KAMMERPHILHARMONIE BREMEN, Dir.: Jeremie Rohrer; Bruce Liu /Klavier. (Pjtor Tschaikowski Klavierkonzert Nr. 1 b-moll Sinfonie Nr. 6 h-moll)

29.06.2024 | Konzert/Liederabende

WIESBADEN/ Kurhaus: DEUTSCHE KAMMERPHILHARMONIE BREMEN, Dir.: Jeremie Rohrer; Bruce Liu /Klavier. (Pjtor Tschaikowski Klavierkonzert Nr. 1 b-moll Sinfonie Nr. 6 h-moll)

Romantische Wechselbäder im Kurhaus Wiesbaden

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Copyright: Ansgar Klostermann

Wohl kaum ein Klavierkonzert ist weltweit so bekannt und beliebt wie das erste Konzert von Peter Tschaikowski. Die strahlende Hornfanfare und die wuchtigen Akkorde im Klavier sind Symbol geworden für romantisch-schwelgerische Klangkunst. In Wiesbaden gab es Gelegenheit, mit Fokus-Künstler und Gewinner des hochrenommierten Warschauer Chopin-Wettbewerbs Bruce Liu nicht nur einen nachgefragten Pianisten unserer Zeit, sondern auch mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen einen Klangkörper zu erleben, dessen Name bereits ein Gütesiegel für besonderen Musiziergenuss verspricht. Abgerundet wurde der Abend mit der nicht minder beliebten klangschönen sechsten Sinfonie des russischen Romantikers, deren Beiname „Pathétique“ bereits große Leidenschaft verspricht.

Seit dem 20. Oktober 2021, dem Tag, an dem er den ersten Preis beim 18. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau gewonnen hat, spielt Bruce Liu auf allen großen Bühnen der Konzertwelt und an der Seite bedeutender Klangkörper. Auf dem Boden geblieben ist er dabei trotzdem, durchschreitet seinen Karriereweg mit einem Augenzwinkern und einer gehörigen Portion Selbstironie. Das fängt schon bei seinem Künstlernamen an, den er sich in Anlehnung an die Karate-Ikone Bruce Lee gegeben hat. Und noch nach seinem Erfolg in Warschau erklärte er: „Ich glaube, ich habe nie beschlossen, ein professioneller Pianist zu werden. Ich möchte das Klavierspielen als Hobby behalten.“ Wobei dann doch auch klar war: „Ich widme mich diesem Hobby mehr als anderen – das ist sicher.“

Am 28. Juni 2024 verwandelte sich der Friedrich-von-Thiersch-Saal im Kurhaus Wiesbaden in einen Ort für Liebhaber der russischen Musik. Der prachtvolle Saal bot die perfekte Bühne für ein Konzert, das sowohl in Bezug auf die künstlerische Leistung als auch auf die emotionale Intensität Überraschungen ergab. Bruce Liu und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Jérémie Rhorer präsentierten ein Programm, das die Gefühlswelt von Tschaikowski auf beeindruckende Weise zum Leben erweckte.

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Bruce Liu. Copyright: Ansgar Klostermann

Das Konzert begann mit Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll. Die majestätischen Bläser, die das Werk eröffneten, setzten sofort ein Zeichen der Dramatik und Aufmerksamkeit. Bruce Liu beeindruckte von Anfang an mit seiner virtuosen Technik und seinem betont kraftvollen Zugriff. Mit klanglicher Dominanz und ausdauernder Sonorität wirkte sein Vortrag geradezu orchestral, sodass das ihn begleitende Orchester mitunter allzu deutlich in den Hintergrund trat. Ein besonders denkwürdiger Moment des Abends war das berühmte Andante semplice. Bruce Liu zeigte hier seine Fähigkeit zur Nuancierung und Gestaltung. Die lyrischen Passagen wurden mit Zartheit und Innigkeit gespielt, dass der gesamte Saal gebannt lauschte. Das Publikum konnte förmlich die melancholische Sehnsucht spüren, die Tschaikowski in diese Musik gelegt hat. Natürlich war Liu im flotten Finale ganz in seinem Element und fetzte die Notenwerte hin, als gäbe es keinen nächsten Tag. Das Zusammenspiel zwischen Liu und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen war teilweise recht unausgewogen. Das Orchester spielte zwar sehr transparent, sodass vor allem die Strukturen der Orchesterstimmen gut zu vernehmen waren. Allerdings blieb es klanglich allzu sehr im Hintergrund und das Zusammenspiel klapperte hin und wieder. Auch die Soli der Holzbläser kamen über einen akademischen Vortrag nicht hinaus und blieben unter ihren Möglichkeiten. Orchester und Solist spielten mehr neben- als miteinander. Insgesamt wirkte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen stilistisch nicht ganz zu Hause bei Tschaikowski. Dirigent Jérémie Rhorer übernahm hier eher die Rolle des musikalischen Sachwalters. Das Publikum applaudierte ausdauernd, großer Enthusiasmus wollte sich nicht einstellen und erhielt dennoch großzügig von Liu zwei Zugaben von Tschaikowski und Satie.

Dirigent Jérémie Rhorer studierte Cembalo, Musiktheorie und Komposition am Conservatoire National Supérieur in Paris und wurde Assistent von Marc Minkowski und William Christie. 2005 gründete er zusammen mit Julien Chauvin das Orchester Le Cercle de l’Harmonie. Gastspiele im In- und Ausland führten ihn an große Opernhäuser und zu internationalen Orchestern.

Nach der Pause folgte Tschaikowskis Sinfonie Nr. 6 in h-Moll, die „Pathétique“. Die Komposition, die als eine der persönlichsten und emotional aufgeladenen Werke Tschaikowskis gilt, wurde von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen mit großer Intensität und Ausdruckskraft interpretiert. Plötzlich konnte man in Wiesbaden den Eindruck gewinnen, als säße nun ein anderes Orchester auf dem Podium! Rhorer führte es durch die komplexen und kontrastreichen Sätze mit sicherer Hand, und die Musiker folgten ihm mit bemerkenswerter Hingabe und Präzision. Mit starker Sonorität und deutlich mehr Persönlichkeit, lieferte der Klangkörper eine bemerkenswerte Lesart. Rhorer entschied sich für flotte Tempi und markante Akzente, ohne jemals in Sentimentalität abzudriften. Die dynamischen Kontraste und die emotionale Tiefe der Sinfonie wurden in dieser Aufführung eindrucksvoll herausgearbeitet, sodass das Publikum die Tragik und Schönheit des Werkes hautnah erleben konnte. Der erste Satz war voller deutlicher Kontraste. Das folgende Kantabile schwebte mit leichter Note durch den Saal. Mit zugespitztem Tempo erklang dann geradezu fulminant der dritte Satz mit obligatem Zwischenapplaus. Ein Höhepunkt war das Finale der Sinfonie, das Adagio lamentoso. Hier schuf das Orchester unter Rhorers Leitung einen Klangteppich von schier überwältigender Emotionalität. Die langsamen, absteigenden Melodielinien und die düsteren Harmonien wurden mit einer Intensität gespielt, die die Zuhörer in ihren Bann zog und ihnen einen tiefen Einblick in Tschaikowskis inneres Seelenleben gewährte. Besonders intensiv erklang das Tamtam und leitete über zu den finalen Lebensmomenten. Dann ein langes Ausatmen mit folgender Stille. Nach dem orchestral zurückhaltend vorgetragenen Klavierkonzert, war diese Aufführung eine veritable Überraschung, die ob ihrer Unerbittlichkeit und Dramatik einen tiefen Eindruck hinterließ!

Die Deutsche Kammerphilharmonie konnte in diesem besonderen Vortrag an allen Pulten überzeugen. Ganz besonders innig gelangen die Soli der Klarinette, die mit viel Wärme vorgetragen wurden. Die Streichergruppe variierte sehr unterschiedlich die Intensität des Vibratos, während die Blechbläser zupackend und sicher sekundierten. Hervorragend war die selbstbewusst agierende Pauke, rhythmisch pointiert und ebenso das übrige Schlagzeug.

Das Konzert war ausverkauft, und das Publikum zeigte sich angetan. Die Darbietung der „Pathétique“ wurde mit großer Begeisterung aufgenommen, und der Dirigent musste mehrfach zurück auf die Bühne, um den Applaus der Zuhörer entgegenzunehmen. Der Abend im Kurhaus Wiesbaden war ein Erlebnis, das die Gefühlswelt von Tschaikowski nachdrücklich beleuchtete. Bruce Liu und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Jérémie Rhorer boten eine Interpretation, die viele Farbgebungen offerierte. Besonders beeindruckend war die Fähigkeit der Künstler, die Musik lebendig werden zu lassen und dem Publikum die komplexen emotionalen Schichten von Tschaikowskis Werken auf eindrucksvolle Weise nahezubringen. Ein Abend, der zeigte, dass die Musik von Tschaikowski auch heute noch ihre ungebrochene Kraft und Faszination entfaltet.

 

Dirk Schauß, 29. Juni 2024

Besuchtes Konzert im Kurhaus Wiesbaden am 28. Juni 2024

Pjtor Tschaikowski

Klavierkonzert Nr. 1 b-moll

Sinfonie Nr. 6 h-moll

Bruce Liu, Klavier

Deutsche Kammerphilharmonie

Jérémie Rhorer, Leitung

 

 

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