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WIESBADEN/ Hessisches Staatstheater: MANON – Quelle misère!

06.11.2017 | Oper

WIESBADEN: Manon – Quelle misère!5.11.2017

Es ist Sonntag, es ist die zweite Vorstellung einer Neuinszenierung und……das Hessische Staatstheater ist lediglich zur Hälfte besucht. Warum? Die französische Oper hat es an deutschen Bühnen immer noch sehr schwer, die ihrer Bedeutung zustehende Präsenz zu erfahren. Vielleicht sind die rein sprachlichen und stilistische Anforderungen, die daraus resultierenden Notwendigkeiten zu aufwendig.

Umso mehr ist jeder Versuch zu begrüßen, wenn ein Opernhaus hier für Abhilfe sorgt. So geschehen nun am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, wo es nach Jahrzehnten der Abwesenheit, Jules Massenets „Manon“ in der Inszenierung von Bernd Mottl zu sehen gibt. Dabei gehört die „Manon“ zu Massenets größten Erfolgen und doch wird sie deutlich weniger gespielt als sein „Werther“. Nicht zu reden davon, dass Massenet mit 27 Opern eine reiche Auswahl an vielfältigen, merlodienseligen und sehr reizvollen Werken hinterließ. Eine gute Entscheidung also vom Intendanten Uwe Eric Laufenberg. Hoffentlich kommt da in der Zukunft mehr!
Massenets Meisterwerk ist klar historisch verortet und weist auch mit seiner Musik, die unzählige Tanzanleihen zitiert, in diese Richtung. Allerdings folgte Regisseur Mottl dem Zeitgeist und ignorierte nahezu völlig den historischen Kontext. Das Handlungsgeschehen wirkt dadurch nicht selten veristisch übersteigert, was weder die Vorlage durch die historische Verankerung, noch die musikalische Stilistik, nahelegt. Seine Inszenierung überzeugt trotz dieser Einwände. In der Personenführung hat die Inszenierung ihre Stärken. Der Chor darf szenisch deutliches Profil zeigen. Immer werden Tänze ins Handlungsgeschehen eingebunden. Die Charaktere sind klar herausgearbeitet und die Interaktion verläuft konform zur Musik. So spielt auch diese „Manon“ in eine sehr gegenwärtigen Welt, die visuelle Anleihen in den 1950ziger und 1960ziger Jahren sucht. Lediglich im „Cours de la Reine“, eine Party im Barockkostüm, ist der historische Rahmen zu erahnen. Die Zeitverschiebung ergibt keinen tieferen Sinn und verschenkt die große Gelegenheit, ein Publikum für die französische Oper zu gewinnen, das sich mit einer Bildästhetik besser anfreunden kann, in welcher es leichter das betreffende Werk erkennen kann. Immerhin bleibt Mottl dem Handlungsverlauf treu. So verwundert es nicht das die Bühnenraumgestaltung von Friedrich Eggert keine visuelle Kulinarik bietet. Stattdessen sieht der Zuschauer trostlos, schäbiges Ambiente. Etwas mehr handwerkliche Sorgfalt wäre dabei wünschenswert gewesen. Es wirkt unfreiwillig komisch, wenn Des Grieux Halt an einer Wand sucht und diese bei seiner Bewegung bedenklich zu wackeln beginnt….

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Christina Pasaroiu und Ioan Hotea, Foto: Monika und Karl Forster

Herausragend und sehr erfreulich ist die musikalische Umsetzung gelungen. Wiesbaden hat eine hingebungsvolle agierende Besetzung zu bieten. Cristina Pasaroiu ist eine ideale Besetzung für die fordernde Titelpartie. Mit viel Bühnenpräsenz zeigte sie überzeugend die vielen Facetten ihres Rollencharakters. Ihr reiches Mienenspiel zeigte eine tiefe Identifikation mit der Rolle. Der Aufstieg und Fall der Manon geriet intensiv und berührend. Ihre schöne Sopranstimme war in allen Bereichen sehr sicher zu vernehmen. Die Koloraturen perlten exakt, die Höhen leuchteten und hinzu kamen berückende Pianofärbungen. Ein beeindruckende Leistung, die sehr viel besser zu den Möglichkeiten der Sängerin passt, als zu frühe Ausflüge in viel zu dramatische Partien (z.B. Adriana Lecouvreur in Frankfurt).
An ihrer Seite ihr rumänischer Landsmann Ioan Hotea als Des Grieux. Diese Partie wird häufig unterschätzt. Sie erfordert sehr viele Pianofärbungen, aber auch dramatische Höhenattacke. Feine Pianissimi sind weniger seine Welt. So fehlte der „Traumerzählung“ der magische Zauber, der erst bei feinster Mezzavoce entsteht. Dennoch beeindruckten seine Emphase und die Verschmelzung mit der Rolle sehr. So realisierte er die dramatischen Anforderungen im St-Suplice-Bild mit staunenswerter Souveränität. Die etwas zu häufig gesetzten Schluchzer sind gar nicht notwendig. Sein Gesang berührt auch so.

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Nathanel Webster und Christina Pasaroiu. Foto: Monika und Karl Forster

Wichtig bei Massenet sind auch die übrigen ergänzenden Rollen. Und auch da hatte Wiesbaden viel Qualität zu bieten. Als hintergründiger Lescaut, in der Inszenierung ein Mix aus Edelrocker und Elvis, zeigte Christopher Bolduc sehr gut die Vorzüge seiner Baritonstimme. Sekundiert wurde er von Benjamin Russell als schmieriger de Bretigny und dem ungemein charakteristischen Erik Biegel als Montfortaine. Sonor und mit Autorität in der Stimme agierte Florian Kontschak als Des Grieuxs Vater. Das quirlige Damentrio der Kokotten Pousette, Javotte, Rousette verkörperten Shira Patchornik, Stella An und Silvia Hauer mit überschäumender Spiellaune.

Spielfreudig und stimmlich gut einstudiert wirkte abermals der engagiert wirkende Chor des Staatstheaters in der Einstudierung von Albert Horne.

Am Pult des Staatsorchesters präsentierte sich erstmals in einer Einstudierung Dirigent Jochen Rieder. Seine Einstudierung ist rundum gelungen. Geschmeidig, rythmisch prägnant, klug in der Balance, äußerst sensibel in der Sängerbegleitung, ließen Orchester und Dirigent keine Wünsche offen. Eine sehr gute und völlig überzeugende Arbeit.

Viel Jubel im wenig gut besuchtem Haus.

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Christina Pasaroiu. Foto: Monika und Karl Forster

Jules Massenet
Manon
Besuchte Vorstellung am Staatstheater Wiesbaden am 05. November 2017

Dirk Schauß

 

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