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WIESBADEN/ Hessisches Staatstheater: JEPHTA von Händel – Achim Freyers Inszenierung. Fatales Gelübde, Janusköpfe, offenes Ende

05.02.2018 | Oper

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Achim Freyer nach der Premiere. Copyright: Andrea Masek

WIESBADEN / Hessisches Staatstheater: FATALES GELÜBDE, JANUSKÖPFE, OFFENES ENDE – Achim Freyers Inszenierung von Händels Szenischem Oratorium „JEPHTHA“

4.2. 2018 -Karl Masek

 Im Prinzip ist die Geschichte rasch erzählt. Israel in vorchristlicher Zeit. Eine kriegerische Zeit. Mit dem immer wiederkehrenden Grund, warum man „Krieg führen muss“. Diesmal: Die „barbarischen Ammoniter“ müssen in Schach gehalten werden.

Jephtha, einst verstoßen als „einer Fremden Sohn“ (die Umschreibung für: der Sohn einer Prostituierten), ist nun in den Augen seines Halbbruders Zebul der Geeignete, um diese Schlacht zu schlagen. Und Jephtha spricht  sehr voreilig ein fatales Gelübde aus. Er verspricht Jahwe für eine siegreiche Heimkehr aus der Schlacht jenes Geschöpf als Opfer, das ihm als erstes an der Türschwelle begegnet. Es ist Iphis, seine Tochter. Und der Vater gerät in einen unauflöslichen Konflikt.

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Alle fünf Protagonisten (Terry Wey, Anna Alàs i Jové, Gloria Rehm, Mirko Roschkowski, Wolf  Matthias Friedrich. Copyrigh: Karl und Monika Forster

Achim Freyer zu seinem Inszenierungskonzept: „Diese fast dreitausend Jahre alte Geschichte ist ein archetypisches Modell, das an die Grenzen des Menschseins rührt…, mein Handeln dabei ist sehr zart, ich arbeite mit Pinsel, mit Farben, mit Ausdruck, mit Spiel…,und Spiel kann sehr ernst werden … und Schreckliches ist Mahnung für unser Verhalten. Wir müssen eine zweite Sprache, eine Bildsprache, entwickeln zu der anderen Sprache, die uns oft zum Hals raushängt in den seit Jahrhunderten immer wiederkehrenden Worthülsen, wenn man nur an die Sprache der Politiker denkt, wenn Kriege gerechtfertigt werden, von Bedrohungen gesprochen wird oder einem gerechten Krieg folgen zu müssen. Ich hab natürlich gut reden, ich nehme Farbe, Pinsel, Bilder zum Kämpfen…“, so Freyer in  einem Interview.

 Antworten und das Ende des Stücks lässt Freyer auf diese zeitlosen Fragen offen. BarockesLieto finewie es Georg Friedrich Händel und sein Librettist Thomas Morell in der gemilderten Version des alttestamentarischen Stoffes vorsehen, wird ausgespart, kein Engel tritt auf, um die Tochter zu retten. Ob es den Opfertod Iphisgibt oder Jephtha den Schwur bricht, die geliebte Tochter schützt und damit die göttliche Rache provoziert: Schritte ins Unbekannte für das Publikum samt verrätselter Metaphorik. Und am Schluss immer leiser werdende Musik, ein gefühlt unendliches „Morendo“ bis hin zu absoluter Stille. Zugleich wird die Bühnenwand immer „weißer“, von aller vorherigen Freyerschen klecksenden Farbigkeit (dessen eigene Worte!) befreit. Wie eine leere Seite, auf die man Antworten schreiben könnte …

Folge ist natürlich, dass es musikalisch umfangreiche Striche gibt. Fast der gesamte 3.Akt fällt diesem Konzept zum Opfer. Das mag die eingefleischten Händel-Fans schmerzen.  Sie werden vermutlich die eine oder andere besonders kühne, ergreifende, schöne,… Stelle hinein reklamieren. Allerdings: Auch Händel hat selbst aus mannigfachen (pragmatischen) Gründen gestrichen oder wie im Falle seines letzten Oratoriums wegen seiner fortgeschrittenen Augenerkrankung sogar Musiknummern anderer Komponisten eingebaut.

 Der Altmeister besticht auch in dieser Arbeit mit „Zu Theater gewordener bildender Kunst“. Die ihm eigene Bildhaftigkeit kommt wieder eindrücklich zur Geltung. Mit Farbsymbolik wird vielfach gespielt. Der Bühnenraum wird inspiriert durch gleichsam verbrannte Holzstäbe. Dies wurde farblich nachempfunden, wie „expressive schwarze Schreie auf weißem Hintergrund“. Zwei Mauern, verschiebbar.

Drei Podeste, unterschiedlich hoch, für die männlichen Protagonisten. Jephtha, sein Stiefbruder Zebul und der junge Bräutigam von Jephthas einziger Tochter Iphis, Hamor, stehen über weite Strecken des Abends darauf. Iphis agiert von der Höhe der Mauer aus, erwartet  die baldige Hochzeit nach dem so genannten Befreiungskrieg gegen die „Fremdherrschaft“ der Ammoiter, an dem Hamor mit strahlender Begeisterung teilnimmt. Storgè, die Gattin Jephthas, bleibt als die Realistin auf dem Bühnenboden. Sie sieht als Erste das Unheil kommen, ahnt das fatale Versprechen Jephthas seinem Gott gegenüber und die alle traumatisierenden Folgen voraus (Scenes of horror, scenes of woe). Die Männer hingegen beschäftigen sich mit Kriegsspielzeug. Symbolisiert durch waffenartig anmutende Stäbe. Der Stab des Einpeitschers Zebul weist keine Blutflecken auf, jener des jugendlichen Hamor ist schon an der Spitze in Blut getaucht. Und die „Waffe“ Jephthas ist über  und über mit Blut besudelt. Die Kostüme der drei erinnern auf den ersten Blick durchaus an Hermann Nitsch und sein Orgien- und Mysterientheater, sind aber doch ureigenster Freyer-Stil mit seiner subtilen, hintersinnigen Ästhetik.

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Anna Alàs i Jové  Storgė bei der Vision des Unheils. C:Karl und Monika Forster

Prächtig die Kostüme (Freyer, der Gesamtkünstler), suggestiv die das Auge beschäftigende farbige Lichtregie (kongenial die Mitarbeit von Sebastian Sommer, Petra Weikert, Andreas Frank).

Stark vor allem die Szene, als klar scheint, dass Jephtha seine geliebte Tochter zu opfern bereit ist und dieser die sichere Mauer („der Boden“) unter den Füßen weggezogen wird, und die sich frei schwebend vom Leben verabschiedet. Und es bleibt in Schwebe: Ist es wirklich ein Abschied? Und dann die Ratlosigkeit des Volkes. Keiner weiß, was zu tun ist, so die letzten Worte der Inhaltsangabe im Programmheft. Da ist für mich die Ähnlichkeit groß mit dem ersterbenden Schluss der legendären Chowanschtschina-Inszenierung von Alfred Kirchner/Erich Wonder in Wien 1989, wenn Dossifei und seine Altgläubigen in unendlicher Langsamkeit einem möglichen Vereisungstod entgegen schreiten.

Wir sind bei der musikalischen Realisierung. Konrad Junghänel und das Hessische Staatsorchester Wiesbaden steigern sich mit Fortdauer des Abends zu einer Klasseleistung barocker Authentizität. Schon die Ouvertüre überzeugt mit mannigfaltigen Valeurs und der Prägnanz der punktierten Rhythmik. Da wird engagiert „an der Sesselkante“ gespielt, volles Risiko genommen. Mit dem klaren Ergebnis: Wer wagt, gewinnt. Zusätzlich hervorzuheben das herrlich gespielte aparte Flötensolo bei Iphis’ Arie, wo sie für das Hochzeitsaufgebot „Flöte, Laute und Harfe“ bestellt. Verlässlich und stilkundig das Continuo (Benjamin Schneider am Cembalo und Johann Ludwig am Violoncello).

Schon für Eduard Hanslick war in Händels letztem Oratorium der Chor der Hauptheld. Und der Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden bestand in allen Ehren. Kraft- wie klangvoll, mit großer Ausdrucks-Bandbreite erklangen die kühnen, zutiefst berührenden Chöre“How dark o Lord“ und das ergebene „Whatever is, is right“.

Mirko Roschkowski war mit tenoraler Leuchtkraft und großer Bühnenpräsenz der Jephtha in der Zerrissenheit zwischen religiöser Verpflichtung einem rächenden Gott gegenüber und Menschlichkeit.

Das blutjunge. Ensemblemitglied Gloria Rehm als Iphis erfreute mit frischer, junger Sopranstimme, blitzsauberen Koloraturen, schwebenden Legati und anrührendem Spiel.

Das spanische Ensemblemitglied Anna Alàs i Jové setzte „barocke Gestik“ mit persönlich gefärbter Ausdrucksintensität um, ließ durch ausnehmend schönen Mezzosopran aufhorchen, bewältigte die schwierige Partie mit Bravour und ließ nur wenig anmerken, dass ihr Teile der Storgè-Partie eigentlich zu tief liegen.

Terry Wey war jeder Zoll der jünglingshaft strahlende Kämpfer und noble, sensible Liebhaber Hamor. In der „barocken Gestik“ war er bis in die Fingerspitzen konzentriert. Stimmlich idealtypisch mit stratosphärischen Legatobögen und sozusagen todsicheren Koloraturen.

Der Routinier in einem sonst sehr jungen Ensemble war der markige, aber auch koloraturenagile Wolf Matthias Friedrich als Zebul.

Ein durchschlagender Erfolg, diese Premiere! Bravi für alle Solisten, für Chor, das Orchester und besonders nachhaltig für Konrad Junghänel. Der 83-jährige AchimFreyer wurde groß gefeiert und sprang – fit wie ein Turnschuh und nach der Premierenanspannung zu jungenhaftem Schabernack aufgelegt, auf der Bühne hin und her. Tolle Stimmung nach einer Musiktheateraufführung zum Mit- und Weiterdenken.

Karl Masek

 

 

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